Der Rio+20-Gipfel im Sommer ist Gelegenheit, Bilanz zu ziehen: Wie nachhaltig arbeitet die Wirtschaft. Doch 20 Jahre nach dem entscheidenden Commitment zum Nachhaltigen Wirtschaften zeigt nur eine Minderheit der Unternehmen ausreichend Engagement für eine nachhaltige Entwicklung. Das geht aus dem Mitte März veröffentlichten oekom Corporate Responsibility Review 2012 hervor.
Insgesamt 543 und damit 17,1 Prozent der über 3.100 von oekom research bewerteten Unternehmen erhalten per 31.12.2011 den oekom Prime Status. Dazu zählen rund 300 konventionelle Großunternehmen aller Branchen sowie etwa 180 kleine und mittelständische Unternehmen aus Branchen, die etwa in den Bereichen erneuerbare Energien und Recycling einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten.
„Ein weiteres Viertel der Unternehmen zeigt gute erste Ansätze im Nachhaltigkeitsmanagement, ihnen fehlt aber noch die systematische und flächendeckende Verankerung entsprechender Aspekte im Management,“ erläutert Matthias Bönning, COO und Head of Research von oekom research, die Ergebnisse des Ratings. „Über 57 Prozent der von uns bewerteten Unternehmen sind aber bisher kaum oder gar nicht aktiv.“
In vielen Branchen, die eine Schlüsselrolle für eine nachhaltige Entwicklung haben, bleiben die Aktivitäten der Unternehmen in der Breite noch deutlich hinter dem aus Nachhaltigkeitssicht Notwendigen zurück. So zeigen beispielsweise nur 23 der von oekom research bewerteten 294 Banken (7,8 Prozent) ein ausreichendes Engagement, um den oekom Prime Status zu erreichen. Gerade sie hätten aber die Möglichkeit, etwa durch die Berücksichtigung von Umweltkriterien bei der Kreditvergabe und Kapitalanlage wichtige Weichen in Richtung einer Green Economy zu stellen.
Auch die Energie- und Wasserversorgung hat für eine nachhaltige Entwicklung eine zentrale Bedeutung. Obwohl ein großer Teil der 154 von oekom research bewerteten Energieversorger in erneuerbare Energien investiert, bilden Kohle, Öl und in einigen Ländern auch die Atomenergie noch immer das Rückgrat der Energieversorgung. Nur 13 Prozent der Unternehmen erreichen hier aktuell den oekom Prime Status. Aus Umweltsicht problematisch ist, dass die Ölförderung immer aufwändiger wird und häufig in geschützten Naturräumen etwa in Alaska und Florida stattfindet. Damit steigen sowohl die Energie- und damit die Treibhausgasintensität der Erschließung als auch das Risiko schwerer Umweltauswirkungen. Im Jahr 2011 gab es eine ganze Reihe von Unfällen, bei denen Öl in die Natur gelangte, beispielsweise bei der Trans Alaska Pipeline. Jedes dritte von oekom research bewertete Unternehmen der Öl- und Gasbranche verstößt aktuell gegen grundlegende Umweltstandards.
Deutliche Defizite bei den Arbeitsrechten gibt es in der IT-Branche, die in den vergangenen Jahren in großem Umfang die Fertigung in asiatische Schwellenländer verlegt hat. Hier hat man es häufig mit Diskriminierung, mangelhaften Gesundheits- und Arbeitssicherheitsstandards, massiven Zwangsüberstunden oder Bezahlungen unterhalb der Mindestlöhne zu tun. Nur 33 der insgesamt 205 bewerteten IT-Unternehmen erfüllen derzeit die Mindestanforderungen an das Nachhaltigkeitsmanagement.
Im Zuge der Globalisierung nicht nur der IT-Branche sind nach Schätzungen der Vereinten Nationen in den Schwellen- und Entwicklungsländern rund 20.000 so genannte „Emerging Markets Multinationals“ entstanden. Allein die taiwanesische Foxconn, die Produkte für zahlreiche US-amerikanische und europäische Handy- und Computerhersteller produziert, hat rund eine Million Arbeitnehmer. Das Ziel einer Green Economy wird nur zu erreichen sein, wenn auch diese Unternehmen ihren Beitrag leisten. „In Brasilien, Indien und anderen Schwellenländer gibt es erste Nachhaltigkeitspioniere“, stellt Matthias Bönning fest. „Noch erfüllen aber nur einzelne Unternehmen aus diesen Ländern die Voraussetzungen für den oekom Prime Status.“
Im Branchenvergleich erreichen die Hersteller von Haushaltsprodukten mit durchschnittlich 46,5 von 100 möglichen Punkten die beste Bewertung, Branchensieger ist hier der deutsche Wasch- und Reinigungsmittelhersteller Henkel. Auf die weiteren Ränge kommen die Computerhersteller (42,0) mit dem Spitzenreiter Ricoh (JP) und die Automobilindustrie (40,9), in der aktuell Renault (FR) die beste Nachhaltigkeitsleistung zeigt. Die niedrige Punktzahl selbst in den besten Branchen zeigt gleichzeitig, wie groß der Verbesserungsbedarf nach wie vor ist.
Im Ländervergleich haben europäische Unternehmen die Nase vorn. Auf Basis der im Aktienindex MSCI World gelisteten Unternehmen erreichen mehr als 40 Prozent der dänischen, deutschen und britischen Unternehmen den oekom Prime Status. Von den französischen Unternehmen schafft knapp jedes Dritte den Sprung in die Auswahl, in der Schweiz und Österreich gut jedes Vierte. In den wichtigen Industrienationen USA und Japan zeigt nicht einmal jedes zehnte Unternehmen ein ausreichendes Engagement für eine nachhaltige Entwicklung.
„Die Ambitioniertheit des Nachhaltigkeitsmanagements variiert deutlich zwischen den einzelnen Unternehmen, Branchen und Ländern“, fasst Matthias Bönning die Situation zusammen. „Um das Ziel einer grünen Wirtschaft zu erreichen, müssen die Anstrengungen deutlich intensiviert werden. Hierfür können die Regierungschefs in Rio wichtige Weichen stellen.“