Es sind über zehntausend Demonstrierende, die am 13. August 2021 zum ersten Mal nach langer Zeit der Corona-bedingten Zwangspause dem Aufruf von Fridays for future nach Frankfurt gefolgt sind. Ihr Ziel ist der Protest gegen die Banken- und Finanzwelt, die mit ihren Investitionsverhalten weiterhin die Klimakrise antreibt und Milliarden Menschen die Lebensgrundlagen ruiniert, wie FFF Frankfurt in ihrer Erklärung dazu schreiben. Sie fordern erneut einen "System Change", eine klare Divestment-Politik für die Definanzierung des fossilen Sektors als größtem Klimawandeltreiber.
Schließlich hatte erst im März das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einem wegweisenden Urteil festgestellt, dass das Klimaschutzgesetz nachgebessert werden müsse, um die Pariser Klimaziele von 1,5 bzw. 2 Grad maximaler Erderwärmung zu erreichen. Der Staat sei zum Klimaschutz durch Artikel 20a des Grundgesetzes verpflichtet. Die "Schonung künftiger Freiheit verlangt auch, den Übergang zur Klimaneutralität rechtzeitig einzuleiten." Die Maßgaben müssten "Entwicklungsdruck und Planungssicherheit vermitteln", heißt es zur Entscheidung vom BVerfG. Weitere Entwicklungen zum Schutz der Grundrechte müssten überhaupt erst ermöglicht werden, erklären die Verfassungsrichter*innen.
Und in der zweiten Augustwoche 2021 bestätigte der sechste Bericht des Weltklimarats IPCC erneut, dass die klimawandelinduzierten "Wetterkatastrophen" mit Bränden, Fluten, Stürmen und tausenden Toten nicht nur häufiger geworden sind, sondern mit der schneller voranschreitenden Erwärmung auch noch häufiger werden.
Trotzdem agiert die Finanzbranche immer noch so, als gäbe es diese düstere Zukunft einer klimagewandelten Welt nicht, als wäre sie nicht mitverantwortlich für diese Entwicklung, wenn sie für ihren und den Gewinn ihrer Anleger*innen an ihrem bisherigen Investitionsverhalten festhält. Und so ist trotz des Pariser Abkommens ist die Kohleindustrie weltweit auf Expansionskurs.
Dabei sind Investitionen durchaus erforderlich: In den Ausbau erneuerbarer Energien, den Umbau der Industrie, der Produktion, der Landwirtschaft, die Kreislaufführung der Rohstoffe, Infrastrukturen für Mobilität, Digitalisierung, Bildung, den Ausbau der CO2-Speicherkapazitäten durch Wälder und Moore, Holz- statt Betonbau, den Erhalt und Wiederaufbau der Biodiversität. die offene Gesellschaft. Am besten wirken diese Investments dazu, wenn sie dezentral und gemeinwohlorientiert erfolgen, also mit öffentlicher Beteiligung – und statt Gewinnen ökologische und soziale Gerechtigkeit im Vordergrund stehen.
Das Perfide an der fortgesetzten Finanzierung der Kohleindustrie auch aus Deutschland ist, dass hierzulande die Kapitalerwartung durch den steigenden CO2-Preis inzwischen diskreditiert ist. Ein früherer Kohleausstieg als 2038 ist sogar wahrscheinlich, weil sich wegen der hohen "Umweltkosten" aufgrund eines hohen CO2-Handelspreises Finanzierung und Betrieb von Stein- und Braunkohlekraftwerken und die Ausbeutung von landzerstörenden Tagebauen hier nicht mehr lohnen. Anderswo in der Welt ist das aber nicht so. In sich entwickelnden Ländern investieren die Banken, Fonds und Versicherungen nicht in den Aufbau von erneuerbaren Energiequellen, sondern in die aufgrund von geringeren ökologischen und sozialen Vorschriften billige und schmutzige Kohle. Es ist, als hätte sich nichts geändert in der Welt.
Wer daran beteiligt ist und was sich dagegen unternehmen lässt, fasst eine gerade erschienene Broschüre zusammen. Unter dem Titel „Finance against Future – Machen wir die Finanzwelt kohlefrei“ gibt die Organisation urgewald darin einen detailreichen Überblick über den Status quo des fossilen Brennstoffs und seiner Finanziers. Die Bestandsaufnahme ist zwar düster, das Kompendium soll aber gerade dadurch dazu motivieren, Druck auf die Finanzwelt auszuüben.
"Kund*innen können ihre Bank auffordern, keine fossilen Unternehmen mehr zu finanzieren, Studierende ihre Uni, ihr Geld aus Kohle, Öl und Gas abzuziehen, Bürger*innen ihre Kommune. Stiftungen können sich pariskompatibel aufstellen, Finanzverwalter*innen fossile Unternehmen aus ihren Portfolios streichen", erklärt Agnes Dieckmann als eine der Autor*innen.
Die Chancen, dadurch mehr zu erreichen, stehen gut. Denn Divestment, also der fossilen Industrie Kapital zu entziehen, bezeichnet urgewald als eines der schärfsten Schwerter im Kampf gegen Klimakrise und Menschenrechtsverstöße. Und der Global Coal Exit List, einer von der Organisation urgewald für die Finanzindustrie entwickelten Datenbank, kommt dabei eine große Bedeutung zu: Immerhin wenden inzwischen verantwortungsvollere Investoren, die ein Vermögen von über 16 Billionen US-Dollar repräsentieren (das sind knapp 20 Prozent des weltweit verwalteten Vermögens), bereits mindestens eines der drei Divestment-Kriterien der GCEL an. Sie entscheiden sich also gegen eine Unterstützung von Unternehmen, die einen der drei Werte für Kohleinvestitonen überschreiten. Dazu gehören zum Beispiel der Versicherer AXA, die französische Bank Crédit Mutuel oder die schweizerische Zurich Insurance Group.
Ob die Geschwindigkeit des Divestments jedoch ohne politisch wirksame Vorgaben ausreicht, um die Kohlefinanzierung schnell zu stoppen, ist bei der Bankenwende von unten nicht zu sagen. Weltweit wird immer noch über eine Billion US-Dollar in Kohleunternehmen investiert. Die Broschüre zeigt jedenfalls, wer wo und wie verantwortlich ist.
So fehlen bei den deutschen Großbanken und Sparkassenbanken Ausschlusskriterien für Kohleinvestititonen, die es in Frankreich, Italien und den Niederlanden längst gibt. Da investierte auch die staatlich gerettete Commerzbank zwischen 2018 und 2022 noch knapp 5,5 Milliarden Euro in die Kohleindustrie – trotz eigener "Kohlerichtlinie".
Selbst Sparkassen und genossenschaftliche Volks- und Raiffeisenbanken investieren über Deka Investments und DZ Bank weiterhin in Kohle, trotz "Kohle-Beschränkungen" bleiben sie bei RWE und Co. in ihren Fonds-Anlagen. Nachhaltige Exchange Trade Fonds mit geringen Gebühren sind ebenfalls nicht die Lösung, weil nur die wenigsten wirklich nachhaltig sind, wie Ecoreporter Jörg Weber in der Broschüre berichtet.
Immerhin will inzwischen selbst die Europäische Zentralbank, dass zukünftig nach Klimakriterien investiert wird – geschieht das nicht, könnte nicht nur das Kapital über kurz oder lang verloren sein.
Mehr zum Divestment, zum Ausstieg aus der Finanzierung der fossilen Wirtschaft und zum Einstieg in die wirklich wirkungsvollen Investitionen, lesen Sie auch im gleichnamigen factory-Magazin oder im Themenbereich, wo auch alle News dazu zu lesen sind.