88 Prozent der deutschen Bevölkerung sind inzwischen bereit, mehr Geld für Fleisch auszugeben, wenn die Tiere besser gehalten werden, so das Ergebnis einer Umfrage des Bundeslandwirtschaftsministeriums 2016. Bundesweit wächst der lokale Widerstand gegen neue anonyme Riesenställe für Hühner und Schweine, deren Investor*innen auch noch EU-Subventionen erhalten. Die nicht abgestimmte Verlängerung des umstrittenen Pestizids Glyphosat durch Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) war in jedem Medium Thema. Jährlich gehen im Januar zur Eröffnung der größten Lebensmittelmesse der Welt, der Grünen Woche in Berlin, Zehntausende auf die Straße und fordern eine nachhaltige Agrarpolitik.
Denn die konventionelle scheint auf gesellschaftlicher Linie zu scheitern: Das bisherige Modell der Landwirtschaft und gerade der Fleischproduktion ist ressourcenintensiv und damit klima- und umweltschädlich; es profitieren nur wenige Großunternehmen, kleine und mittlere bäuerliche Betriebe haben das Nachsehen – nicht nur in Deutschland sondern auch global.
Doch gerade für Veränderungen im Fleischsektor gibt es eine große Veränderungsbereitschaft der Bevölkerung. Und gerade hier gibt es wirkungsvolle politische Instrumente, um einen grundlegenden Umbau der Tierhaltung zu erreichen. Es ist ein ganzer Kanon von Instrumenten, der sich an Konsument*innen, an den Handel und an Produzent*innen richtet, den der neue Fleischatlas von Heinrich-Böll-Stiftung, BUND und Le Monde Diplomatique vorstellt. Gleichzeitig zeigt er Finanzierungsmodelle für die Agrarwende und begleitende Kommunikationsinstrumente, so dass eigentlich nur noch der politische Mut fehlt, "sich mit denen anzulegen, die auf Kosten von Mensch, Tier und Natur am heutigen Produktionsmodell" verdienen, wie es im Vorwort heißt.
Instrumente wie ein Tierschutzlabel nach dem Vorbild der EU-Eier-Kennzeichnung, eine Ampelkennzeichnung für den Gesundheitswert und ein CO2-Fußabdruck-Label gehören dazu, ebenso wie "Nudging" (Anstupser) in Kantinen und Mensen, ebenso eine gezielte Mehrwertsteuererhöhung und -erniedrigung auf umweltschädtliche und umweltfreundliche Lebensmittel, eine Stickstoffabgabe und Düngemittelbilanz in der Produktion, ein Verzicht auf Subvention von Fleischexporten, die Vergrößerung von Mindest-Lebensflächen für Tiere und ein Umbau der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU.
Doch von all dem ist bisher wenig zu sehen. Zu Beginn der Grünen Woche gibt es die üblichen vollmundigen Ankündigungen des Agrarministers und ein paar Sätze in den Sondierungsplänen der Großkoalitionäre von SPD, CDU und CSU – allerdings ohne konkrete Zeit- und Finanzpläne.
Die Organisator*innen der „Wir haben es satt!“-Demonstration am 20. Januar zeichnen deswegen ein fatales Bild der deutschen Agrarpolitik. Schließlich sind die Konsequenzen des Einsatzes von Glyphosat für Menschen, Tiere und Umwelt verhängnisvoll: der Artenschwund ist unübersehbar groß, ebenso wächst die Krebsgefahr. Bäuerinnen und Bauern fehlt die Unterstützung der bisherigen Bundesregierung beim Pestizid-Ausstieg und dem Umbau der Ställe hin zu artgerechter Tierhaltung. Überdüngung verschmutzt das Grundwasser und ruinöse Agrar-Exporte beschleunigen das weltweite Höfesterben. Das „Wir haben es satt!“-Bündnis, dem mehr als 50 Organisationen aus Landwirtschaft und Zivilgesellschaft angehören, fordert deswegen die Politik zu mehr Mut für eine ambitionierte Agrarwende auf.
Getragen wird die Demonstration am Samstag von Tausenden Bäuerinnen und Bauern – konventionell und bio. Viele von ihnen reisen mit Traktoren aus dem gesamten Bundesgebiet an. Zusammen mit rund 100 Organisationen aus der Zivilgesellschaft treten sie für eine Landwirtschaft und Lebensmittelpolitik ein, in der Bauern und Lebensmittelhandwerker fair entlohnt werden und sich alle Menschen gesund ernähren können. Die Demonstration zieht in diesem Jahr zur internationalen Agrarministerkonferenz. Dort fordern die Teilnehmer die versammelten Agrarminister der Welt auf, mehr Tempo bei der Agrarwende zuzulegen. Die Gegendemonstration der Bäuer*innen und Bauern, die die herrschende Agrarpolitik unter dem Motto "Wir machen Euch satt" unterstützen, lockte im letzten Jahr nur wenige hunderte Teilnehmer an.