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Breites Bündnis will nachhaltige Finanzreform

Mit Steuern den ökologischen und sozialen Wandel steuern, das will die neue Initiative Nachhaltige Finanzreform. In ihr sind von Unternehmerverbänden, Gewerkschaften bis Umweltschutzverbänden und Ernährungsinitiativen über 19 Organisationen und Dachverbände vertreten. Sie wollen damit ihre Kräfte für eine neue Steuerpolitik, Subventionsabbau und einen gerechten CO2-Preis verstärken.

Gestern trafen sie sich in der Landesvertretung Baden-Württemberg in Berlin: "Wie nachhaltig ist die deutsche Finanz- und Steuerpolitik" war das Thema der Diskussionsveranstaltung. Zu der hatten die baden-württembergische Finanzministerin und ihr Kollege aus dem Umweltministerium, das OECD Berlin Centre, das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) und der Umweltdachverband Deutscher Naturschutzring (DNR) eingeladen. Es war der Auftakt des neuen Bündnis Nachhaltige Finanzreform, das sich mit 19 unterschiedlichsten Mitgliederorganisationen aus Wirtschaft, Naturschutz und Ernährung zunächst in den Bundestagswahlkampf einmischen will, um ökosoziale Finanzreform einzuleiten.

Mit sechs Thesen skizziert das Bündnis die gegenwärtigen Finanzpolitik und ihre Folgen und bietet Lösungsansätze für eine nachhaltige Finanzreform:

1. Weil das deutsche Steuersystem in die falsche Richtung lenke, müsse ein effektives System besteuern, was vermieden werden soll und nicht, was sich die Gesellschaft wünscht ("tax bads, not goods"). Statt Arbeit müsse der Staat die Nutzung natürlicher Ressourcen besteuern, damit würden die Ressourceneffizienz steigen und Arbeitsplätze erhalten.

2. Umweltschädliche Subventionen ermöglichten umweltschädliches Verhalten – und würden nachhaltiges Handeln verhindern. Mit 57 Milliarden jährlich stütze der Staat die geringere Besteuerung von Diesel, den Energiebezug der Industrie, den Luftverkehr und den Dienstwagenabsatz mit erheblichen Auswirkungen auf Klima und Umwelt. Diese Mittel fehlen zur Förderung ressourceneffizienten und kohlenstoffarmen Wirtschaftens.

3. Deutschland verfehle sein Klimaziel 2020 - auch weil keine effektiven marktwirtschaftlichen Instrumente genutzt würden. 40 Prozent weniger CO2-Ausstoß bis 2020, fast vollständige Dekarbonisierung bis 2050: beide Ziele werde die Bundesregierung verfehlen, wenn nicht finanz- und steuerpolitische Instrumente genutzt werden. Dabei bewerte die Bundesregierung selbst  die Strom- und Energiebesteuerung als effektivstes Instrument, um CO2 einzusparen.

4. Erfolgreicher Klimaschutz benötige einen wirksamen CO2-Preis, denn ohne ein solches Preissignal seien fairer Wettbewerb und ernsthafter Klimaschutz nicht möglich. Weil das europäische Emissionshandelssystem auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein werde, einen ausreichenden Anreiz für die Investition in klimafreundliche Technologien zu setzen, werde auch CO2-reduzierendes Wirtschaften und Handeln nicht belohnt. Eine CO2-Abgabe oder -Steuer bzw. ein CO2-Mindestpreis in den Sektoren Strom, Wärme und Verkehr würde dagegen ein verlässliches, stabiles Preissignal für den Weg zur Dekarbonisierung der Wirtschaft setzen. Deutschland hängt da anderen EU-Ländern hinterher, wie auch im factory-Magazin Divestment  beschrieben: Ein nationales CO2-Preisinstrument wurde in der EU bereits in Großbritannien, Frankreich, Schweden und Dänemark erfolgreich eingeführt – ohne dass die Wirtschaft in diesen Ländern zusammengebrochen ist.

5. Die Energiesteuern müssen auf Klimaschutz ausgerichtet werden, weil das historisch gewachsene deutsche System der Steuern, Abgaben und Umlagen auf Energie sogar Anreize für klimaschädigendes Verhalten enthalte. Bisher werden klimaschädliche Energieträger wie Heizöl und Kohle bezogen auf den CO2-Gehalt wesentlich geringer besteuert als klimafreundlichere Alternativen. Außerdem sollten die Steuersätze an einen Preisindex gekoppelt werden, um die schleichende Entwertung durch die Inflation auszugleichen und die Funktionalität der Umweltsteuern zu schützen – so wie es der Club-of-Rome Vorsitzende Ernst-Ulrich von Weizsäcker im factory-Magazin Sisyphos mit dem Ping-Pong-Effekt erklärt.

6. Die aktuell gute Wirtschaftslage verstelle den Blick auf strukturelle Herausforderungen: Der demografische Wandel stellt die soziale Marktwirtschaft vor ungekannte Probleme, die öffentlichen Haushalte ächzen immer noch unter der Schuldenlast und dringend notwendige Investitionen in Infrastrukturen sind über Jahre vernachlässigt worden. Daher müssen Steuern und Subventionen konsequent an übergeordneten politischen Zielen ausgerichtet werden, um auf diese Weise neue Spielräume und Anreize für Zukunftsinvestitionen zu schaffen. Fazit: Derzeit besitzt Deutschland keine tragfähige Steuerstruktur, die gerecht ist und gleichzeitig einen Beitrag zu mehr Umweltschutz leistet.

Mit diesen Thesen trat das Bündnis gestern in Berlin für eine neue Steuerpolitik an. Auf dem Podium saßen Finanzministerin Edith Sitzmann, Umweltminister Franz Untersteller, Christian Kastrop (OECD), Andreas Jung MdB (CDU), Kai Niebert (DNR) und Bundesminister a. D. Hans Eichel, der als Beiratsmitglied des FÖS seit einiger Zeit vehement für eine ökologische Steuerreform eintritt – und die erste Ökosteuer seinerzeit als erster Bundesfinanzminister eingeführt hatte.

Umweltschädliche Subventionen abbauen

Weil die bestehende Subventionspolitik Unternehmen und Verbrauchern ökonomische Fehlanreize setze, bestehe hier das größte Hebelmoment: "Wenn wir wollen, dass zukunftsfähige Lebensstile nicht länger ein Anschwimmen gegen den Strom sind, sondern zum Massensport werden, müssen wir hier umlenken", kommentierte DNR-Präsident Kai Niebert. Statt die fossile Vergangenheit zu zementieren, brauche die Republik eine gerechte Finanzpolitik. "Die Generationenaufgabe Klimaschutz müssen wir auch mithilfe der Finanz- und Steuerpolitik angehen", ergänzte Bundesminister a. D. und FÖS-Beiratsvorsitzender Hans Eichel. Dieses Instrument sei viel zu lange nicht mehr genutzt worden. „Ein gerechter CO2-Preis findet weltweit große Unterstützung, jetzt muss er auch in Deutschland diskutiert werden", forderte Eichel. Immerhin habe die Bundesregierung auch die „Carbon PricingLeadership Coalition“ mitgegründet.

Mit in Berlin dabei war auch der Vorsitzende des umweltfreundlichen Unternehmensverbandes B.A.U.M. e. V., Prof. Dr. Maximilian Gege. Er forderte, dass „das Steuersystem so ausgestaltet wird, dass Folgekosten den Verursachern in Rechnung gestellt, klimaschädliche Fehlanreize beseitigt und finanzielle Mittel für den Klimaschutz generiert werden.“ Weil der Verkehrssektor mit 30 Millionen Euro jährlich den größten Teil der umweltschädlichen Subventionen erhält, habe auch der Gütertransport auf der Schiene statt auf den belasteten Straßen keine Chance. „Während der Straßentransport immer billiger gemacht wird, können die Güterbahnen kaum noch wirtschaftlich fahren", sagte Alexander Kirchner, Vorsitzender der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), denn die Ware suche sich immer den günstigsten Weg, ohne an Klimaziele oder soziale Aspekte zu denken.

Für den steuerlichen Wandel im Verkehrssektor will im Bündnis neben der EVG auch die Allianz pro Schiene kämpfen, schließlich stiegen die Emissionen vor allem im Straßenverkehr gegenüber allen anderen Bereichen wie Haushalten, Energieerzeugung und Industrie sogar weiter an, sagte der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege. "Vielfältige Gesundheitsschäden und die Einbuße von Lebensqualität sind die Folge. Den Preis dafür zahlt die Gesamtgesellschaft und nur zum kleinen Teil die Verursacher." Seine Forderung: Umweltschädliches Verhalten dürfe der Staat nicht mehr belohnen.

Neben der Allianz pro Schiene, der EVG, B.A.U.M. e.V., DNR und FÖS sind auch der Unternehmerverband Unternehmensgrün und die Klima-Allianz Deutschland im Bündnis, der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE), der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der Naturschutzbund Deutschland (NABU) und Greenpeace. Die Kirchen sind vertreten durch das Bischöfliches Hilfswerk Misereor und das Institut für Kirche und Gesellschaft der Evangelischen Kirche Westfalen. Für die steuerliche Agrarwende plädieren im Konsortium der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), der Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN), Slow Food Deutschland, der Vegetarierbund Deutschland (VEBU) und Soil & More International. Als mächtiger alternativer Verkehrsclub ist auch der VCD dabei.

Nachdem die Weltgemeinschaft im Dezember 2015 in Paris beschlossen habe, die Wirtschaft auf klimafreundlicher zu machen, müsse auch die Steuer- und Finanzpolitik dem Ziel Rechnung tragen, fordert das Bündnis. Daneben fördere eine solche Politik auch Innovation, Wettbewerbsfähigkeit, wirtschaftlichen Erfolg und gute Arbeit. Sie belohne diejenigen, die entlang der Grundsätze von Nachhaltigkeit wirtschaften und sich für eine gerechte Gesellschaft einsetzen. Richtschnur sollte sein, dass diejenigen profitieren, die sich umweltfreundlich verhalten.

Mit diesem Plädoyer will das Bündnis vor allem politische Entscheidungsträger*innen für ein Umsteuern in der Finanz- und Steuerpolitik gewinnen. Ziel sei, sich sowohl im Bundestagswahlkampf als auch in den Koalitionsverhandlungen und darüber hinaus konstruktiv einzubringen, hieß es gestern in Berlin. Hoffen wir, dass das gelingt.

Mehr Informationen und den Erfolg einer Robin-Hood-Steuer für CO2 im factory-Magazin Divestment.

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