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Deutsche wünschen sich starken Staat für besseren Umwelt- und Klimaschutz

Nach Migration und Stabilität sind Umweltthemen für die Deutschen am wichtigsten. Die große Mehrheit möchte eine grundlegende Umgestaltung der energie- und ressourcenintensiven Wirtschafts- und Lebensweise. Weil die Industrie dafür nicht genug unternehme, wünschen sich die Menschen eine stärkere Regulierung durch die Bundesregierung. Das geht aus der aktuellen Studie "Umweltbewusstsein in Deutschland" hervor.

Alle zwei Jahre fragen das Bundesumweltministerium und das Umweltbundesamt die Menschen in Deutschland: "Wie halten Sie es mit der Umwelt?" Meist ist in der Presse nach der Veröffentlichung der Studie zu lesen, dass die Deutschen zwar ein hohes Bewusstsein für die Umwelt besitzen, sie in ihrem Handeln aber weit dahinter zurückbleiben – ökologische Verbesserungen in Politik, Produkten und Dienstleistungen würden sie zu wenig honorieren. Das muss dann als Erklärung dafür herhalten, dass eine engagierte Umwelt-, Klima-, Energie-, Wirtschafts- und Sozialpolitik sich nicht lohnen würde, weder für die Industrie noch für die Politik. Doch in der neuen Studie können Industrie und Politik deutlich lesen, dass die Bevölkerung mit ihren Bemühungen um Nachhaltigkeit nicht zufrieden ist – sie wünscht sich mehr Wandel durch stärkere Regulierung.

Immerhin für ein Fünftel der Deutschen – befragt und interviewt wurden von Forsa und IÖW 2000 Menschen aus allen Milieus über 14 Jahre – sind Umwelt- und Klimaschutz die beiden wichtigsten aktuellen Probleme. Dieses Empfinden hält sich seit Beginn der Befragung vor 16 Jahren – mit zwei Ausreißern nach oben. Seit der letzten Studie 2014 stieg es um zwei Prozent. Damit liegen die Ökothemen derzeit an dritter Stelle: 55 Prozent halten "Zuwanderung, Migration" und 47 Prozent "Kriminalität, Frieden, Sicherheit" für wichtiger, beide lagen 2014 bei rund 20 Prozent. Es dominieren die Sorgen um Frieden und Stabilität. Gleichzeitig ist aber auch der "Vertrauensverlust in Politik" um drei Prozentpunkte auf 15 Prozent gestiegen.

Doch die Bevölkerung nimmt die langfristige Gefährdung ihrer natürlichen Lebensgrundlagen sehr ernst. So empfinden über 90 Prozent der Befragten die Risiken durch Plastikmüll in den Weltmeeren oder die Abholzung von Wäldern als bedrohlich. "Drei Viertel der Befragten stimmen voll und ganz oder eher zu, dass unsere energie-, ressourcen- und abfallintensive Wirtschafts- und Lebensweise grundlegend umgestaltet werden sollte", heißt es in der Studie. Die Zweifel an Markt und Wirtschaft sind überdeutlich: Marktmechanismen allein reichen nicht aus, um die erforderlichen Veränderungen umzusetzen, meinen 61 Prozent der Befragten. Vielmehr hält es die große Mehrheit (91 Prozent) für erforderlich, Wirtschaft und Märkte so zu regulieren, dass Umweltbelastungen gering gehalten werden – ein deutliches Zeichen für die Politik.

 

Politik und Wirtschaft tun zu wenig

Insbesondere im Klimaschutz müsse sich Deutschland verbessern: Für 52 Prozent der Bevölkerung ist das Ziel der Treibhausgasneutralität sehr wichtig. Ähnliche Zustimmung erhalten die verschiedenen Maßnahmen des staatlichen Klimaschutzes – allen voran der Abbau von klimaschädlichen Subventionen, der Ausbau erneuerbarer Energien sowie das Verbot besonders klimaschädlicher Produkte.

Doch vom künftigen Erfolg der deutschen Klimapolitik ist eine Mehrheit nicht überzeugt. Bisher werde zu wenig für umwelt- und klimapolitische Zielsetzungen getan – insbesondere die Bemühungen seitens der Industrie und der Bundesregierung, aber auch der Bürgerinnen und Bürger selbst seien zu gering. So sind beispielsweise nur 15 Prozent der Meinung, dass die Industrie genug oder eher genug unternimmt, um Umwelt und Klima zu schützen. Nur ein Drittel findet, dass die Bundesregierung genug oder eher genug für den Umwelt- und Klimaschutz tut, fassen die Studienautor*innen zusammen.

Dabei sehen die meisten Menschen Umwelt- und Klimaschutz als Chance für Verbesserungen auch in anderen Politikfeldern. Damit ließen sich Zukunftsaufgaben wie die Globalisierung (67 Prozent Zustimmung) bewältigen sowie Wohlstand (58 Prozent) und Wettbewerbsfähigkeit (51 Prozent) sichern. Im Vergleich zu 2014 sind diese Werte leicht gestiegen. "Die Befragten nehmen also zunehmend Synergiepotenziale zwischen Umwelt- und Klimapolitik und anderen politischen Handlungsfeldern wahr", schließen die Autor*innen.

Mehr als die Hälfte der Befragten (58 Prozent) meint sogar, dass eine nachhaltige Entwicklung zu mehr Gemeinschaft der Menschen untereinander führen kann. Zudem erwarten die Befragten, dass durch eine nachhaltige Entwicklung sich Lebensweisen stärker verbreiten dürften, in denen eine Orientierung an materiellem Besitz weniger wichtig wird. Eine Chance für mehr Suffizienzpolitik.

Konflikte zwischen Umwelt- und Sozialpolitik gibt es nach wie vor: Immerhin 37 Prozent (mehr als in vorherigen Studien) der Befragten glauben, dass sich durch Umwelt- und Klimaschutz mehr soziale Gerechtigkeit erreichen lasse. Für Kompromisse in der Umwelt- und Klimaschutzpolitik wenn es um soziale Fragen geht, plädiert jedoch ebenfalls ein Drittel. Nur 17 Prozent wollen zunächst Fortschritte bei der Gerechtigkeit, bevor man sich Umwelt- und Klimaschutz leisten könne.

Die Deutschen sind für Veränderungen

Dass eine nachhaltige Entwicklung zu besserer Gesundheit führen wird, glauben 84 Prozent der Befragten, 81 Prozent erwarten mehr Lebensqualität und 76 Prozent mehr Naturverbundenheit. Insgesamt schätzen die Deutschen die Umweltqualität als relativ hochwertig (75 Prozent), sie sorgen sich jedoch um Schadstoffe und Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln (44 Prozent) ebenso wie um Chemikalien in Produkten (44 Prozent) oder Plastikpartikeln in Trinkwasser und Lebensmitteln (39 Prozent). Dabei empfinden sich sozial benachteiligte Menschen gesundheitlich stärker gefährdet als Menschen mit mehr Bildung und Vermögen. Umweltschutz müsse deswegen auch Fragen der Gerechtigkeit stärker berücksichtigen, fordern die Autor*innen.

Nur knapp ein Zehntel der Befragten engagiert sich häufig für soziale oder ökologische Belange. Ein knappes Drittel engagiert sich, allerdings weniger häufig, so die Ergebnisse. Deutlich wird ein facettenreiches Bild des Engagements: "Manche treten aktiv für Werte wie Fairness oder Chancengleichheit ein, andere kaufen gezielt fair gehandelte und umweltschonend hergestellte Produkte. Weitere beteiligen sich an Kampagnen, um ökologischen und sozialen Anliegen mehr Nachdruck zu verleihen. Wer bereit ist, sich selbst für Nachhaltigkeit einzusetzen, engagiert sich meist gleichermaßen für soziale wie auch für ökologische Zielsetzungen", so die Studie.

Eine echte Mobilitätswende ist noch nicht in Sicht, aber immerhin: Die Veränderungsbereitschaft ist gestiegen. Zwar nutzen 70 Prozent der Befragten täglich oder mehrmals wöchentlich ein Auto. Doch auch regelmäßige Autofahrerinnen und Autofahrer zeigen sich unter bestimmten Bedingungen zum Wechsel bereit. Eine Stadt- oder Regionalentwicklung, die das Auto leichter verzichtbar macht, trifft bei über 90 Pro- zent der Befragten auf grundsätzliche Akzeptanz. Auch neue Entwicklungen beim Carsharing oder im Bereich der Fahrradmobilität finden viele interessant. In Städten oder Gemeinden, in denen Carsharing verfügbar ist, haben 14 Prozent der Befragten mit Führerschein dies schon praktiziert. Um die Umweltbelastungen zu reduzieren, wünschen sich über 90 Prozent der Befragten eine Verlagerung der Gütertransporte vom Lkw auf die Schiene, knapp 60 Prozent sind für ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen. Bereits 16 Prozent der Befragten haben Erfahrungen mit Elektrofahrrädern. Elektro- und Hybridautos stehen hingegen noch in den Startlöchern und sind lediglich in zwei Prozent der Haushalte, die einen Personenkraftwagen (Pkw) besitzen, vorhanden.

Dafür hat sich der Anteil der Menschen, die immer oder sehr häufig Bio-Produkte wählen, von 20 auf 29 Prozent in den letzten zwei Jahren erhöht. Im selben Zeitraum nahm der Fleischkonsum leicht ab: Der Anteil der Menschen, die sich vegetarisch oder vegan ernähren, ist von zwei auf vier Prozent gestiegen und der Anteil der Personen, die nur einmal pro Woche oder seltener Fleisch essen, von 22 auf 25 Prozent. Beim Thema Lebensmittelverschwendung herrscht ein ausgeprägtes Problembewusstsein. Allerdings wirft immer noch ein Drittel der Befragten regelmäßig Lebensmittel in den Müll.

Mehrheit für mehr Umwelt- und Klimaschutzpolitik 

In den einzelnen sozialen Milieus sind die Erwartungen zur Nachhaltigkeit traditionell sehr unterschiedlich: Während sich die vermögenden, konservativen und bürgerlichen Schichten um den Umgang mit knappen Ressourcen, Umwelt und Soziales sorgen, die jungen Milieus trotz hohen Bewusstseins noch nicht festgelegt sind und für die kritisch-kreativen Nachhaltigkeit zur Identität gehört, stehen in den prekären Mileus mehr soziale Sicherheit und bessere Teilhabemöglichkeiten im Vordergrund. Nachhal- tigkeitsansätze und entsprechende Kommunikation sollten das berücksichtigen, empfehlen die Autor*innen.

Tatsächlich zeigt die Umweltbewusstseinsstudie 2016, dass Konzepte des sozial-ökologischen Wandels in Deutschland grundsätzlich auf eine breite Akzeptanz stoßen. Doch das bisherige Engagement der Wirtschaft und der Bundesregierung bewerten viele Menschen kritisch – sie halten es für nicht ausreichend. Die Empfehlung der Autor*innen an die Politik: Eine noch ambitioniertere und couragiertere Nachhaltigkeitspolitik, die neben Problemen des Umwelt- und Klimaschutzes auch das gesellschaftliche Zusammenleben adressiert, könne daher mit dem Rückhalt weiter Teile der Bevölkerung rechnen.

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