Städte sind die entscheidenden Player im Klimawandel, stellte schon der WBGU in seinem Gutachten 2016 zu ihrer transformativen Kraft fest. Damit meinten die Gutachter*innen nicht nur die Aussicht, wie Städte ihre Struktur gestalten und welche Ressourcen sie dafür einsetzen, wenn mehr als 70 Prozent der Menschen in die Städte drängen und sie sich vergrößern müssen. Denn geschieht das so, wie bisher, wird es nichts mit der Begrenzung der Erderwärmung – für einen Aus- und Weiterbau der Städte wie bisher ist der Ressourcenaufwand und der damit verbundene Treibhausgasausstoß viel zu hoch, als dass sich so ein Zwei-Grad-Ziel einhalten ließe.
Nicht nur braucht es eine andere Politik und eine grundsätzliche Wende in den Städten hin zu einer umweltfreundlicheren urbanen Mobilität, zu einer nachhaltigen Energie- und Nahrungsmittelproduktion, zu einer besseren Sozialpolitik und Beteiligung; auch die Infrastrukturen, Einkauf und Ausschreibungsvorgaben müssen den Kriterien eines geringeren Ressourcenverbrauchs folgen, so die Gutachter*innen.
Dass der "Impact" der Städte sogar noch größer ist, hat jetzt eine Studie des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung anhand einiger ausgewählter Städte herausgestellt. Für vier Städte aus Industrie- und Entwicklungsländern berechneten die Wissenschaftler*innen den ersten international vergleichbaren Treibhausgas-Fußabdruck: Berlin, New York, Mexico City und Delhi. Entgegen der landläufigen Auffassung sind hierbei nicht Konsumgüter wie Computer oder Turnschuhe am wichtigsten – also der private Verbrauch –, sondern Gebäude und Verkehr – Sektoren, in denen der Handlungsspielraum von Städten vergleichsweise groß ist.
“Es stellt sich heraus, dass dieselben Aktivitäten, die die meisten lokalen Emissionen städtischer Haushalte verursachen – Wohnen und Transport – auch für den Großteil der vorgelagerten Emissionen an anderer Stelle der Versorgungskette verantwortlich sind”, sagt der Leitautor Peter-Paul Pichler vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). „Oft heißt es, dass Bürgermeister wenig gegen den Klimawandel tun können, weil ihr Einfluss auf das Stadtgebiet begrenzt ist, aber tatsächlich kann ihr Handeln weitreichende Wirkung haben."
Schließlich reichen die auf dem UN-Gipfel bisher von den nationalen Regierungen vorgestellten Emissionsreduktionen zur Erreichung des Zwei-Grad-Ziels ganz klar nicht aus, betont Pichler.
Wohnen und Transport verursachen die meisten Emissionen von Städten, lokal wie auch indirekt
Die Produktion von Zement und Stahl für Gebäude zum Beispiel verbraucht eine große Menge an Energie – typischerweise aus fossilen Brennstoffen. Wenn eine Stadt stattdessen den Einsatz von weniger CO2-intensiven Baustoffen wie etwa Holz fördert, kann der indirekte Ausstoß von Treibhausgasen drastisch reduziert werden. Selbst Dinge, die Städte bereits heute tun, können weit entfernte Emissionen beeinflussen. Die Erhöhung der Dämmstandards für Gebäude zum Beispiel verringert die lokalen Emissionen durch die Senkung des Heizenergiebedarfs. Aber sie kann auch den Bedarf an elektrischer Kühlung im Sommer reduzieren, was die Stromerzeugung und damit den Ausstoß von Treibhausgasen in Kraftwerken außerhalb der Stadtgrenzen reduzieren kann.
Im Verkehrssektor können durch den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs lokale Emissionen aus dem Autoverkehr minimiert werden. Dies reduziert aber auch die Anzahl der Autos, die außerhalb der Stadtgrenzen mit großem Energieaufwand gebaut werden müssen. Dies ist also eine Win-Win-Situation. Aber es kann noch mehr getan werden. Die Städte können entscheiden, aus welchen Quellen sie den Strom beziehen, um beispielsweise ihre U-Bahnen oder Elektrobusse zu betreiben. Entscheiden sie sich für Energie aus Sonne oder Wind, so können Stadtverwaltungen damit entscheidend beitragen zur Schließung von weit entfernten Kohlekraftwerken.
Vergleich von Berlin, New York, Mexico City und Delhi ist anwendbar auf Städte weltweit
Interessanterweise sind die Unterschiede zwischen den Treibhausgas-Fußabdrücken in den vier untersuchten Städten zwar groß, sie schwanken zwischen 1,9 (Delhi) und 10,6 (New York) Tonnen CO2-Äquivalent pro Kopf und Jahr. Das Verhältnis zwischen lokalen und vorgelagerten Emissionen ist aber in allen Städten etwa gleich groß, und auch die relative Bedeutung von Wohnen und Verkehr für die Treibhausgasemissionen ist in allen untersuchten Städten sehr ähnlich. Die globale Reichweite der vorgelagerten Emissionen ist unterschiedlich, aber groß. Im Falle Berlins entstehen mehr als die Hälfte der vorgelagerten Emissionen außerhalb Deutschlands, vor allem in Russland und China, sowie in der Europäischen Union. Aber auch rund 20 Prozent der deutlich geringeren Emissionen von Mexiko-Stadt fallen außerhalb des Landes an, vor allem in den USA und China.
“Bisher wurde das Messen der indirekten Emissionen von städtischen Haushalten oft als nicht machbar angesehen, zumindest schien ein globaler Städtevergleich kaum möglich”, sagt Helga Weisz, Ko-Autorin der Studie und Ko-Leiterin des PIK-Forschungsbereichs Transdisziplinäre Konzepte und Methoden. “Wir zeigen, dass es durchaus möglich ist – aber man muss es eben tun, und der Aufwand ist erheblich.” Ihr Team analysierte riesige Mengen vorhandener Daten über den ökonomischen Input und Output aller Weltregionen und kombinierte diese erfolgreich mit Daten über die Emissionsintensität der Produktion in vielen verschiedenen Sektoren sowie dem Konsum von Haushalten in konkreten Städten. Die von den Wissenschaftlern entwickelte Methodik ist nun prinzipiell an jedem Ort anwendbar und ermöglicht eine effektivere Zusammenarbeit zwischen Städten, um ihren Treibhausgas-Fußabdruck zu verringern.
“Die Macht der Städte – als offene, verdichtete und vernetzte Systeme – den Klimawandel auch in Zeiten unsicherer nationaler und internationaler Klimapolitik anzugehen, wird von vielen lokalen Entscheidungsträgern und einem Großteil der internationalen Gemeinschaft unterschätzt”, sagt Weisz. „Weltweit müssen Städte ermutigt und befähigt werden, ihr gesamtes Emissionsspektrum – lokale und vorgelagerte Emissionen – zu beobachten. Erst dadurch können die notwendigen und ambitionierten Pläne vieler Städte zur Einhaltung der 2-Grad-Grenze verwirklicht werden.”
Das heißt gleichzeitig, dass auch die Stadtbewohner*innen mehr Einfluss haben, als gedacht. Sie können nicht nur mit ihren Konsumentscheidungen ihren privaten Verbrauch klimafreundlicher machen, sie können auch in lokalen Initiativen "ihre" Stadt so gestalten, dass städtische Strukturpolitik diesen Vorstellungen folgen muss – so wie es bereits an vielen Orten der Welt geschieht. siehe das Beispiel Köln, beschrieben im factory-Magazin Glück-Wunsch.