Die Zukunft des Klima- und Ressourcenschutzes wird in den Städten entschieden. Weil in wenigen Jahrzehnten weltweit die meisten Menschen dort leben werden, sind ihre Weiterplanung, der Aus- und Umbau ihrer Mobilitäts-, Energie- und Kreislaufwirtschaftsstrukturen der Schlüssel für einen Erfolg der Begrenzung der globalen Erwärmung. Im Anschluss an die Klimakonferenz im Dezember 2015 in Paris hätte die nur einmal alle zwanzig Jahre – also einmal pro Generation – stattfindende UN-Siedlungskonferenz Habitat die logische urbane Umsetzungsdebatte sein müssen, um die richtigen Weichen für eine ressourcenschonende und gerechte Stadtentwicklung zu stellen.
Doch nach dem Abschluss in der ecuadorianischen Hauptstadt Quito sind viele Experten, Beteiligte und Nichtregierungsorganisationen enttäuscht von der Konferenz. Sie springe zu kurz, urteilt nicht nur der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU).
Zwar konnte sich die internationale Staatengemeinschaft auf einige wichtige Politikziele einigen: die Handlungsfähigkeit von Städten, die inklusive und menschengerechte Siedlungsentwicklung und der Ressourcenschutz sollen vorangebracht werden. Doch die Urbanisierung zu einem zentralen Thema der multilateralen Verhandlungen zu machen gelang leider nicht, bedauert der WBGU. Tatsächlich fiel die weltweite Berichterstattung über die Habitat-Konferenz äußerst schwach aus, gerade im Vergleich mit Klimakonferenzen oder dem TTIP-Prozess. Auch die große Dringlichkeit des strategischen Umsteuerns nicht berücksichtigt, denn die Staaten haben erneut vereinbart, dass die nächste Zusammenkunft dieser Art erst in 20 Jahren stattfinden soll. Zudem waren auf der Konferenz unter den 30.000 Teilnehmern aus 193 Ländern kaum Spitzenpolitiker_innen vertreten, um die Bedeutung des Umbaus zu unterstreichen: Aus Deutschland waren weder Bundesbau- und -umweltministerin Barbara Hendricks dabei, noch Bundesentwicklungsminister Gerd Müller. Nur zwei Staats- und Regierungschefs waren anwesend, immerhin zehn Minister aus den G20-Staaten, allerdings nur wenige aus EU-Ländern.
Genau das, was das Pariser Klimaabkommen ausmacht, fehlt in der New Urban Agenda: Eine langfristige Vision und konkrete Zielvorgaben, an denen sich ein verbindliches Engagement messen lässt. "Wichtige Themen, wie beispielsweise integrative Stadtentwicklung, die Vermeidung nicht-nachhaltiger Pfadabhängigkeiten, die Stärkung polyzentrischer Strukturen oder der Umgang mit informellen Siedlungen, sind nicht oder kaum im Text angesprochen“, so Frauke Kraas, Mitglied des WBGU.
Gerade der so wichtige globale Umwelt- und Klimaschutz tauche lediglich erratisch in der Agenda auf, bemängelt der Vorsitzende des WBGU Hans Joachim Schellnhuber. Das Manifest falle somit weit hinter vergleichbare internationale Abkommen zurück. "Das Dokument macht nicht deutlich, dass es eines Paradigmenwechsels bedarf in der Art, wie Städte gebaut und gestaltet werden, um die planetaren Leitplanken zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen nicht zu durchbrechen", so Schellnhuber. Habitat III hat offenbar völlig autonom agiert. „Fast scheint es so, als hätte man den historischen Klimavertrag von Paris bewusst ausgeblendet“. Werden die Häuser für ihre bis 2050 hinzuziehenden zwei Milliarden Zuwanderer nach westlichen Standards in Beton gebaut, würden allein dadurch gigantische Mengen CO2 freigesetzt. Bleibt der Städtebau auf dem jetzigen Ressourcenniveau, ist das Pariser Klimaziel von zwei oder sogar nur 1,5 Grad Celsius nicht zu schaffen – ebensowenig die UN-Agenda 2030 mit ihren Sustainable Development Goals. Statt einer zumindest orientierenden Festlegung auf alternative Baustoffe auf der Basis nachwachsender Rohstoffe wie Holz, bleibt das 23-seitige Dokument vage.
Immerhin ist der nun beschlossene Umsetzungsplan (Quito Implementation Plan) ein erster Schritt in Richtung Realisierung der Agenda, stellt der WBGU fest. Jetzt komme es aber darauf an, dass Vorreiterstädte die Urbanisierungsdynamik mit einem kraftvollen Maßnahmenbündel nachhaltig gestalten. Auch durch internationale Zusammenarbeit könne der globale Urbanisierungsschub in richtige Bahnen gelenkt werden, so die Regierungsberater. Die deutsche Initiative für klimaverträgliche und inklusive Mobilitätsinvestitionen sei dafür ein gutes Beispiel.
Auf die jetzt in Quito beschlossene New Urban Agenda hatten sich die UN-Mitgliedsstaaten bereits im September nach langen Vorverhandlungen geeinigt. Während die nachhaltige Stadtentwicklung und die Anpassung an den Klimawandel Kernpunkte sind, bleibt die Armutsbekämpfung, das Ziel der UN-Habitat-II-Konferenz in Istanbul 1996, weiterhin zentrale Aufgabe. Festgeschrieben wurde auch die Integration von Minderheit und Flüchtlingen. Als politische Richtschnur für eine nachhaltige Stadtentwicklung in den kommenden 20 Jahren ist die Agenda völkerrechtlich nicht verpflichtend.
Tatsächlich ist auch das Recht auf Stadt im Dokument festgeschrieben. Das soll Schutz vor Vertreibung bieten und die soziale Spaltung der Städte mildern. Das Recht auf brauchbare Häuser und sauberes Wasser, auf Bildung und Mobilität ist ebenfalls Teil der Agenda. Wenn die sozialen Bewegungen dies nutzen, könnten sie die Verwaltungen damit unter Druck setzen, sagte Leilani Farhi, UN-Sonderberichterstatterin in Sachen Wohnen für den Hohen Kommissar für Menschenrechte auf einer Konferenz der NGOs in Quito.
Die Staaten haben sich außerdem dazu bekannt, dass ihre Kommunen und lokalen Entscheidungsträger stärker in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden sollen. Im Vorfeld der Habitat III war das noch nicht so. Die New Urban Agenda entstand ohne Beteiligung der Betroffenen. Dass die Agenda eine wesentliche Transformation bewirken könne, bezweifeln viele Aktivisten. "Nur durch Streik und lokale Partizipation lassen sich städtische Reformen erreichen", erklärt Isabella Goncalves, Mitglied der brasilianischen NGO Brigadas Populares gegenüber IPS.
Wie wichtig die lokale Beteiligung und Integration der Bevölkerung in die Planungs- und Entscheidungspolitik der Städte und Kommenen ist, zeigt das Beispiel von Ludwigsburg. Auf sie hat Oberbürgermeister Werner Spec schon früh gesetzt, mit alle drei Jahre stattfindenden Zukunftskonferenzen. Inzwischen ist Ludwigsburg Gewinner beim Deutschen Lokalen Nachhaltigkeitspreis „Zeitzeichen", steht auf dem ersten Platz beim Wettbewerb Deutscher Nachhaltigkeitspreis 2014, ist in der zweiten Runde des „Zukunftsstadt"-Wettbewerbs des Bundesforschungsministeriums und steht wie keine andere Stadt in Deutschland für Nachhaltige Stadtentwicklung. Spec war ebenfalls in Quito, erzählt er im Interview auf den Seiten des Deutschen Nachhaltigkeitsrats: "Der Erfahrungsaustausch auf der HABITAT III belegt erneut, dass es darum geht, die dezentralen Strukturen zu stärken. Wir müssen für unsere Eigenverantwortlichkeit kämpfen, weil wir nur so vor Ort etwas bewegen können."
Die Erfolge in Ludwigsburg führt er ganz auf die starke Partizipation zurück: "Die frühe und ergebnisoffene Bürgerbeteiligung und die tatsächliche Einbeziehung vieler Ideen und Maßnahmen in die Beschlüsse des Gemeinderats sorgten für eine hohe Motivation der Beteiligten, es erwuchs eine hohe Identifikation mit der Stadt, durchaus auch Bürgerstolz. Und die proaktive strategische Politikgestaltung führte zu einer eigenen Entwicklungsdynamik."
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