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Vergesellschaftung kann Wohnraum gerecht und ökologisch organisieren

Wohnen ist in Deutschland für etwa 31 Prozent der nationalen CO2-Emissionen verantwortlich. Dabei treibt die Wohnfläche pro Kopf den Ressourcen-, Flächen- und Energieverbrauch, zudem ist sie sehr ungleich verteilt. Für die Emissionswende müsste die Fläche den Bedürfnissen entsprechend geteilt werden. Der Weg dahin wären mehr kommunale Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften, die soziale und ökologische Verantwortung ernst nehmen.

Der Gebäudesektor verbraucht mit Bauen und Wohnen immer noch die meisten Ressourcen in Deutschland – und ist damit einer der größten und unbeweglichsten Treibhausgasemittenten. Trotzdem herrscht in den Großstädten Wohnungsnot und Wohnen wird in Innenstädten immer teurer. Entsprechend ist in den meisten Städten und Kommunen "Bauen, bauen, bauen" die Devise. Doch selten genug spielen auch ökologische und soziale Kriterien eine Rolle oder wird auf den Ressourceneinsatz geachtet, wie beim Faktor-X-Haus. Bessere Verteilung verfügbaren Wohnraums und ressourcenschonendes Bauen im Bestand nutzen Kommunen kaum.

"Bauen wir weiter wie bisher, verbauen wir uns unsere Zukunft", heißt es im factory-Magazin Besser bauen. Zu groß, am falschen Ort, unflexibel, nicht im Bestand, unökologisch, zu aufwändig, zu wenig nachwachsende oder recycelte Materialien, zu unsozial – die Liste der Kritik ist lang.

Investor*innen und Bauindustrie haben dagegen bislang wenig Interesse, weniger Fläche und Ressourcen einzusetzen, denn das treibt Absatz und Marge. Selbst Kommunen machen das mit, obwohl sie eigentlich dem Gemeinwohl verpflichtet und meist im Klimanotstand – denn auch sie müssten so schnell wie möglich klimaneutral wirtschaften. Ressourcenintensives und unsoziales Bauen verschlechtert die Klima- und Gerechtigkeitsbilanz zusätzlich.

Vergesellschaftung verteilt gerechter

Eine Lösung, die – obwohl historisch erfolgreich – weder Investor*innen noch Kommunen heute gern wahrnehmen, hieße "Vergesellschaftung". Würde vorhandener und entstehender Wohnraum vergesellschaftet, würde das die so dringend benötigte gerechte und ökologisch sinnvollere Verteilung ermöglichen.

Die Gründe dafür versammelt das vom Konzeptwerk Neue Ökonomie veröffentlichte Dossier „Gerechte Wohnraumverteilung - Vergesellschaftung als Basis einer gerechten und ökologischen Wohnraumverteilung“, das im Vorfeld der Vergesellschaftungskonferenz vom 7. bis 9. Oktober 2022 erscheint.

Dabei sind die sozialen und auch die ökologischen Vorteile einer Vergesellschaftung von Wohnraum unbestritten – und vielfach praktisch bewiesen, wie die Beispiele des Dossiers zeigen. Denn Treiber der Emissionen in diesem Sektor sind bisher die ungerechte Verteilung der Wohnfläche und die mangelnde Mitbestimmung. Neben der notwendigen energetischen Sanierung muss deswegen die Wohnfläche pro Kopf sinken, um den Sektor auf einen 1,5°C-konformen Weg zu bringen.

„Wenn wir die Wohnfläche pro Kopf aus Klimaschutzgründen reduzieren wollen, geht das nur sozial. Und dafür brauchen wir eine bessere, also bedürfnisorientierte Verteilung von Wohnraum.“ so Kai Kuhnhenn, einer der Autor*innen.

Renditeorientierung sorgt nicht für Gemeinwohl

Das Dossier zeigt die Problemstellen bei der aktuellen Verteilung von Wohnraum. So belastet und verdrängt die immense Verteuerung insbesondere in Städten die Menschen mit geringen Einkommen. Für diejenigen, die ihren Wohnraum gern verkleinern würden, gibt es durch die Verteuerung kaum bezahlbare Alternativen.

Ein zentraler Grund für die problematischen Preisexplosionen im Wohnsektor liegt auf der Hand: Sie sind ganz im Interesse der Wohnungskonzerne, Bodenspekulant*innen und Investor*innen, die sich möglichst hohen Renditen verpflichtet haben.

Weil Immobiliengesellschaften, die selber im Wettbewerb stehen, weder Interesse noch Anreize hätten, eine bedürfnisgerechte Verteilung zu verwirklichen, sei die Vergesellschaftung von Wohnraum eine vielversprechende Strategie, erklärt Kai Kuhnhenn.

Mit ihr würden sich viele Möglichkeiten eröffnen, günstigen Wohnraum zu schaffen, diesen bedürfnisorientiert umzuverteilen und damit die durchschnittlichen Wohnflächen pro Person zu verringern.

Statt am möglichst hohem Gewinn müssten sich Neu- und Umbau an den Bedürfnissen der Bewohner*innen orientieren. Wohnraum ließe sich so gestalten, dass Mieter*innen bei geringerem Bedarf in kleinere Wohnungen wechseln könnten, ohne ihr Umfeld verlassen zu müssen.

Wohnflächen und ihre Verteilung könnten die Bewohner*innen in gemeinschaftlichen Strukturen demokratisch aushandeln, ebenso Gemeinschaftsräume, solidarische Mietrabatte und teilbare Ressourcen wie Waschräume, Werkstätten und ähnliches.

Mehr Klimaschutz allein durch Organisation

Wie groß die Wirkung von Vergesellschaftung für den Klimaschutz wäre, darüber gibt es noch keine Untersuchungen. Der Effekt einer Verringerung der individuellen Wohnfläche ist aber deutlich: bei drei Prozent pro Jahr von Zielgruppen mit überdurchschnittlichem Wohnraumverbrauch ließen sich etwa sechs Prozent der CO2-Emissionen des Bedarfsfelds Wohnen einsparen, errechnete das Öko-Institut.

Hinzu kämen die Einsparungen, die sich durch beschleunigte ressourcenschonende energetische Sanierung und weniger Neubau erreichen ließen. Praktische Beispiele dafür, wie das gelingen kann, haben Studierende aus aller Welt zuletzt beim Solar Decathlon in Wuppertal gezeigt.

Sicher ist auch, dass <link de news beitrag artikel besser-wirtschaften-kooperativ-fuer-gemeinwohl-statt-profite.html external-link>gemeinwohlorientierte Wohnungsgesellschaften Ressourcen besser und damit klimaschonender verarbeiten und verwalten als private gewinnorientierte Unternehmen.

Das Dossier diskutiert darüber hinaus Umsetzungsmöglichkeiten und Praxisbeispiele für eine Vergesellschaftung von Wohnraum z. B durch kommunale Wohnungsunternehmen, Genossenschaften oder – wie auch von der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ vorgeschlagen – die Übertragung in  eine Anstalt öffentlichen Rechts.

Dabei geht es nicht um Wohnungen in privatem und/oder selbst bewohntem Einzelbesitz, sondern um große Immobilienunternehmen, die vor allem in den großen Städten einen hohen Anteil der Mietwohnungen besitzen.

Vertieft werden soll diese Thematik auch auf der „Vergesellschaftungskonferenz – Strategien für eine demokratische Wirtschaft“ in Berlin. Die Anmeldung ist bereits geschlossen, per Livestream können jedoch alle teilnehmen. Das Konzeptwerk Neue Ökonomie ist Mitveranstalter der Konferenz, das Dossier Teil des Projektes Bausteine für Klimagerechtigkeit, in dessen Rahmen fortlaufend Politikvorschläge für eine sozial-ökologische Transformation veröffentlicht werden.

Mehr zum Thema im factory-Magazin Besser bauen und im entsprechenden Themenbereich. Was Kommunen und Unternehmen eigentlich tun müssten, um klimaneutral zu werden – und wie sie damit gegenwärtig umgehen, lässt sich im factory-Magazin Klimaneutral nachlesen.

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