Sie sind nur die Spitze des Eisbergs: Die Übernahme des Saatgut- und Chemiekonzerns Monsanto durch Bayer oder die Aufteilung der Supermärkte von Kaiser's Tengelmann zwischen Edeka und Rewe. Inzwischen teilen sich vier Unternehmensgruppen 90 Prozent des deutschen Lebensmitteleinzelhandels, 60 Prozent des kommerziell gehandelten Saatguts liefern nur drei Konzerne. Über die Hälfte aller Landmaschinen weltweit kommen von den vier großen Herstellern. Es betrifft fast alle Ebenen der Produktion und Verarbeitung: Die Konzentrationsprozesse finden mit einer enormen Dynamik statt. Technologische Innovationen revolutionieren unterschiedlichste Bereiche wie Zucht oder Logistik im Lebensmittelhandel. Neue Konzernholdings aus Schwellenländern verschieben die Machtverhältnisse. Aber vor allem: Finanzfonds investieren auf allen Stufen des Ernährungssystems. Das große Geld wird nicht länger in der Öl- und Energieindustrie gemacht – die Investoren haben jetzt vor allem Land- und Ernährungswirtschaft als neue Ziele.
So konzentriert sich der Welthandel mit Agrarrohstoffen stark: Mittlerweile kontrollieren nur vier Großkonzerne – die berühmte ABCD-Gruppe mit Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und die Louis Dreyfus Company – rund 70 Prozent des Welthandels mit Agrarrohstoffen. Weizen, Mais und Soja sind die drei wichtigsten globalen Handelsgüter. In den vergangenen Jahren schloss der chinesische Getreidehändler Cofco auf und avancierte zum Hauptaufkäufer von brasilianischem Mais und Soja.
Doch die Gefahren dieser Veränderungen werden immer deutlicher, weil sie tief in das Leben von ProduzentInnen und KonsumentInnen eingreifen. Bauern und Bäuerinnen haben schlechte Verhandlungspositionen für die Vermarktung ihrer Produkte an die Supermärkte und sie können nicht mehr zwischen vielen verschiedenen Anbietern für Saatgut und Maschinen auswählen. Die großen Unternehmen bestimmen die Einkaufspreise, fair oder nachhaltig zu produzieren wird nicht belohnt, sie verhindern mit ihrer Lobbymacht eine Gesetzgebung für eine nachhaltige Agrarwende. Durch den Renditedruck werden die Arbeitsbedingungen in den letzten Jahrzehnten in vielen Bereichen im Agrar- und Ernährungssektor deutlich prekärer, die Ausbeutung hat vielfach zugenommen, das Leid in der Massentierhaltung nimmt kein Ende. Auch die Verbraucher profitieren nicht von der Verschlankung: Einkommensarme Konsumentinnen und Konsumenten bekommen – letztlich trotz der vermeintlichen Fülle des Angebots – eine immer eingeschränktere Auswahl an Lebensmitteln. Auffällig ist die enge Verbandelung von Politik, Forschung und Wirtschaft – die sich im letzten Jahr so deutlich im Streit um die Neuzulassung von Glyphosat gezeigt hat oder das besondere Engagement von Lobbyisten der Agrar- und Nahrungsmittelindustrien im Kontext der TTIP-Verhandlungen.
Mit dem Konzernatlas geben die HerausgeberInnen – Rosa-Luxemburg-Stiftung, Heinrich-Böll-Stiftung, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Germanwatch, Oxfam Deutschland und der deutschen Ausgabe der Le Monde Diplomatique – einen Überblick über die wichtigsten Akteure und ihre Geschäftsstrategien, über die verschiedenen Formen von Konzernmacht und deren Auswirkungen, über neue Technologien und Konzentrationsprozesse. Zwar skizziert der Atlas auch notwendige Bereiche der Regulierung und benennt Akteure, die Widerstand leisten und sich für Ernährungssouveränität einsetzen. Der erste Schritt ist jedoch informierte Kritik. Dazu will der Atlas einen Beitrag leisten, so die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Es sei höchste Zeit für eine kritische und breit geführte Diskussion, die über die Kritik an Geschäftspraktiken einzelner Konzerne wie Monsanto oder Wiesenhof hinausgeht.
Die Herausgeber haben zudem Zahlen zu aktuellen Fusionen von Agrarkonzernen zusammengestellt: Fünf der zwölf kapitalintensivsten Übernahmen börsennotierter Konzerne fanden 2015 und 2016 im Agrar- und Ernährungsbereich statt: Weltweite Zusammenschlüsse haben seit der Finanzkrise fast wieder das Ausmaß der Boomjahre erreicht. 2015 lag der Wert der Fusionen in diesem Bereich mit 347 Milliarden Dollar fünf Mal höher als der im Pharma- oder Ölsektor. „Die avisierten Mega-Fusionen bei den Saatgut- und Agrarchemiekonzernen – Bayer/Monsanto, Dow/DuPont, Syngenta/ChemChina – sind ein Weckruf“, so der Atlas. „Die Politik und die Wettbewerbsbehörden müssen sich mit den gesellschaftlich relevanten Folgen der Fusionen in bereits hochkonzentrierten Märkten beschäftigen. Sie müssen eine Reform des Wettbewerbsrechts vorantreiben, um eine weitere Konzentration entlang der gesamten Lieferkette zu verhindern“, lautet die Forderung der Organisationen.
"Die Politik muss die Verhandlungsmacht von Bauern und Bäuerinnen stärken", sagte Marion Lieser, Geschäftsführerin von Oxfam Deutschland e.V. "Sie muss Unternehmen verpflichten, ökologische und soziale Mindeststandards entlang der Lieferkette durchzusetzen und Menschenrechte konsequent einzuhalten."
Klaus Milke, Vorstandsvorsitzender der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch, betonte, dass es durchaus Alternativen zur wachsenden Konzernmacht gebe: "Mehr als zehn Millionen Kleinbetriebe weltweit bauen Reis nach agrarökologischen Methoden an und steigern so ihre Erträge, ohne von Konzernsaatgut oder -dünger abhängig zu werden. In Brasilien erhalten rund 45 Millionen Kinder Schulessen von regionalen Kleinbauern. Es ist an der Zeit, auch in Deutschland die öffentliche Beschaffung nach Kriterien wie bäuerlicher Erzeugung aus der Region, handwerklicher Verarbeitung und Ökolandbau auszurichten. So würde man viele regionale Akteure an der Wertschöpfung beteiligen anstatt überwiegend nur wenige Großunternehmen."
Der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger rief dazu auf, am 21. Januar gemeinsam mit vielen Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, mit Verbraucherschutz- und alternativen Bauernverbänden unter dem Motto Wir haben es satt gegen die herrschende Agrarpolitik auf die Straße zu gehen.
Den Konzernatlas gibt es entweder im Print-Format bei der Le Monde Diplomatique oder bei den Herausgebern als kostenloses PDF.