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Mehr Fleisch aus Massentierhaltung, während mehr Kleinbauern aufgeben – doch es geht auch anders

Die gegenwärtige Agrarpolitik fördert weiter die Intensivierung der Fleischproduktion – mit allen bekannten Folgen. Obwohl der Fleischhunger nachlässt und Kunden die tiergerechte Haltung wünschen, produzieren immer weniger Betriebe immer mehr Fleisch, stellt der neue Fleischatlas 2016 fest.

Eigentlich weiß es jeder: Wir Menschen in diesem Land essen zu viel zu günstiges Fleisch und belohnen zu wenig die tiergerechte Haltung. Welche Konsequenzen das allerdings genau hat – da hört es mit dem Wissen auf. Der Fleischatlas von Heinrich-Böll-Stiftung und dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) schafft da seit einigen Jahren Abhilfe. Jetzt ist rechtzeitig zur Grünen Woche, einer der größten Ernährungsmessen der Welt in Berlin, eine neue Ausgabe erschienen, die den Fokus auf die regionalen Entwicklungen legt. Passend, denn regionale Landwirtschaft steht auch im Mittelpunkt der Messemacher Bauernverband und Lebensmittelindustrie.

Der Fleischatlas Deutschland Regional 2016 fasst Daten, Fakten und Grafiken zu Fleischproduktion und -konsum in den 16 deutschen Bundesländern zusammen. Das erschreckende aber logische Ergebnis wird schnell deutlich: Die Produktion von Fleisch konzentriert sich auf immer weniger Betriebe, zugleich setzt sich das Höfesterben ungebremst fort.

Demnach gaben bis zu 80 Prozent der Betriebe bzw. Bauernhöfe in den letzten 15 Jahren die Tierhaltung auf. Gleichzeitig wird bundesweit bis zu 50 Prozent mehr Fleisch produziert. Höfesterben, Konzentrationsprozesse und die zunehmende Industrialisierung sind vor allem in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen in der Rinder- und Schweinezucht zu registrieren, erklärte Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, bei der Vorstellung des Atlas in Berlin. Doch auch in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg nimmt zwar die absolute Zahl der Schweine- und Hühnerhaltungen ab, die Betriebe werden jedoch immer größer. "Wenn bei steigenden Produktionsmengen in Bayern fast 30.000 Betriebe und in Niedersachsen mehr als 13.000 Höfe die Schweinehaltung aufgeben, dann haben wir es mit einem tiefgreifenden Strukturwandel zu Lasten kleinbäuerlicher und mittelständischer Betriebe zu tun. Dies befördert weiter eine agroindustrielle Landwirtschaft, deren Folgen für das Tierwohl und die natürlichen Lebensgrundlagen auf immer weniger gesellschaftliche Akzeptanz stoßen." Zugleich mache diese Landwirtschaft noch abhängiger von Futtermittelimporten aus dem Ausland, wo Sojamonokulturen bereits heute soziale und ökologische Verheerungen anrichteten, sagte Unmüßig.

Laut "Fleischatlas Deutschland Regional 2016" wächst die Fleischproduktion in jenen Bundesländern am stärksten, in denen bereits überdurchschnittlich viele Tiere gemästet werden. "Der Trend zu Megamastanlagen geht weiter. Neue Tierfabriken werden geplant, wo die Auswirkungen der Fleischindustrie bereits am deutlichsten zu spüren sind. Dort sind die Ammoniak-Emissionen aus den Ställen und die Nitratwerte im Grundwasser jetzt schon inakzeptabel hoch", sagte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger.

Neben Nordrhein-Westfalen gelte dies insbesondere für Niedersachsen, wo Mitte 2015 bereits rund vier Millionen Mastschweine gezählt worden seien. Nach Recherchen des BUND wurden zwischen 2012 und 2015 von den niedersächsischen Behörden über hundertfünfzigtausend Schweinemastplätze neu genehmigt. "Allein im Landkreis Vechta wurden zwischen 2013 und 2014 trotz einer bereits existierenden extrem hohen Schweinedichte über 87.000 neue Schweinemastplätze genehmigt. Im Kreis Vechta produzieren knapp 800 Schweinemäster mehr Tiere als in ganz Schleswig-Holstein oder Hessen. Dies gefährdet die Trinkwasserversorgung und geht oftmals mit einer Missachtung des Tierwohls einher", sagte Weiger.

Eine ähnliche Entwicklung sieht der BUND-Vorsitzende in der Geflügelfleischproduktion. Neben Niedersachsen solle beispielsweise auch in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Sachsen in immer größeren Anlagen immer mehr Geflügel gezüchtet werden. Würden alle beantragten Tierplätze genehmigt, könnte die Masthühnchen-Haltung in Brandenburg noch einmal um knapp acht Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern um mehr als 16 Prozent, in Sachsen-Anhalt sogar um über 30 Prozent wachsen. Auch in Sachsen seien hohe Steigerungsraten zu erwarten.

Eine andere Agrarpolitik ist nötig

Die Herausgeber des Fleischatlas sind sich einig: Das mit dem Wachstum großer Masttieranlagen verbundene Höfesterben lasse sich nur stoppen, wenn Agrarsubventionen künftig stärker an Kriterien wie die Leistung der Betriebe für das öffentliche Wohl gebunden würden. Weiger: "Dumpingpreise für Lebensmittel treiben viele Bauern in den Ruin. Die Bundesregierung und insbesondere Bundesagrarminister Christian Schmidt müssen endlich gegensteuern und den Irrsinn von Massenproduktion, Export und der Maximierung von Profiten beenden. Nur dann können bessere Tier- und Naturschutzstandards gewährleistet werden."

Barbara Unmüßig ergänzte: "Auch bei den Schlachtbetrieben sind es die zehn größten Konzerne, die mehr als 70 Prozent aller Schweine schlachten. Die riesigen Anlagen liegen dicht an dicht - fast alle in Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen. Inzwischen führen die qualvolle Tierhaltung, der unkontrollierte Einsatz von Antibiotika und eine massive Umweltverschmutzung dazu, dass die Menschen immer weniger Vertrauen in die Fleischwirtschaft haben."

Inzwischen seien über 80 Prozent der Deutschen bereit, höhere Preise für Fleisch und Wurst zu zahlen, wenn sie dadurch zu besseren Haltungsbedingungen der Tiere beitragen könnten. "Doch statt diese Chance zu ergreifen, setzt die deutsche Agrarpolitik weiter vor allem auf Dumpingpreise und massive Exporte auf den Weltmarkt und schadet so den Bauern, der Umwelt und den Tieren hier und weltweit", sagte Unmüßig.

Wie es anders geht

Dass auch von anderer Seite Druck aufgebaut wird, zeigt sich in der zunehmenden Kontamination von Grundwasser mit Nitrat, das aus der Überdüngung und Massentierhaltung stammt. Im factory-Beitrag Mit Bio das Wasser schützen stellt Heike Mayer vier Regionen in Deutschland vor, in denen Wasserversorger die ökologische Landwirtschaft fördern. Sie tun das nicht, um die Massentierhaltung zu beeenden, sondern um weniger in die zunehmend kostenintensivere Wasseraufbereitung investieren zu müssen. Das rechnet sich dann auch für die Verbraucher. Dass ökologische Landwirtschaft und Massentierhaltung nicht zusammen passen, ist dann ein weiterer Schritt.

Diesen gehen konsequent ökologisch produzierende Höfe, die nur so viel Vieh halten, wie ihr eigenes Land produzieren kann. Für sie gehören viele verschiedene Tiere zur bäuerlichen Kreislaufwirtschaft dazu. Fleisch, Eier und Milchprodukte gibt es dort nicht in Massen, aber in guter Qualität – aber vor allem geht es den Tieren dort gut. Die Kunden honorieren das ebenfalls, es wird eben weniger Fleisch gegessen, weil es bis dreimal teurer ist, aber dafür profitieren Mensch, Tier und Umwelt davon. Wer sich selbst mal ein Bild machen möchte, besuche einmal solch einen Hof. Es sind zwar nur wenige, aber sie gibt es. Eine alternative Agrarpolitik würde viel stärker solche Höfe fördern und die Investitionen in die Massentierhaltung und Intensivwirtschaft weniger lohnenswert machen. Zwar würde auch eine Vielzahl kleiner Betriebe nicht mehr so viel Fleisch produzieren, aber das wäre ohnehin besser für Umwelt und Klima – wie jeder weiß. Wir haben für das factory-Magazin Glück-Wunsch einen solchen Betrieb besucht. Die ganze Geschichte von glücklichen Schweinen lesen Sie im Magazin. Die Bilder oben stammen aus der Reportage.

Infos:

Der neue Fleischatlas "Deutschland Regional" der Heinrich-Böll-Stiftung und des BUND präsentiert auf über 50 Seiten und in zahlreichen Grafiken erstmalig die Zahlen und Fakten rund um Fleischproduktion und -konsum in jedem der 16 deutschen Bundesländer. Er steht unter www.boell.de/fleischatlas bzw. www.bund.net/fleischatlas zum Download zur Verfügung. Ebenso sind alle Grafiken und Tabellen einzeln in verschiedenen Formaten zur freien Verwendung verfügbar.

Die Ergebnisse einer BUND-Recherche zu geplanten Tiermast-Plätzen in Deutschland finden Sie als Landkreis-genaue interaktive Karte im Internet unter: www.bund.net/mastanlagen

Quellen:
Gemeinsame Pressemitteilung von Heinrich-Böll-Stiftung und Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)

factory Baden gehen, factory Glück-Wunsch

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