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Stopp russischer Energieimporte würde BIP um drei Prozent reduzieren und Energiewende beschleunigen

Würde Deutschland wegen eines Lieferstopps oder Embargos kein Gas, Öl oder Kohle mehr aus Russland beziehen, käme es zu einer wirtschaftlichen Rezession, die vergleichbar mit der durch die Corona-Pandemie verursachten wäre. Die Folgen müssten dann mit einer entsprechenden Wirtschaftspolitik begrenzt werden. Notwendige Investitionen in die Energiewende würden aber vorgezogen, der Klima- und Ressourcenschutz schneller verstärkt, die Energieabhängigkeit verringert. Das zeigt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW in Berlin.

Es ist eine Forderung, wie sie nicht nur auf den Klimastreiks von Fridays-for-Future zu hören ist: Deutschland soll sofort auf fossile Brennstoffe aus Russland verzichten, um dessen Krieg gegen die Ukraine zu beenden – oder zumindest die Verhandlungs- und Einflussposition zu verbessern.

Gesellschaftlich scheint es das Votum einer knappen Mehrheit gegen die Energielieferungen zu geben: In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov im Auftrag des Handelsblatts hatten sich Anfang März 54 Prozent der Befragten für einen Verzicht ausgesprochen.

Mit der russischen Drohung eines Lieferstopps ist die Debatte über die Wirkung noch einmal neu angeheizt worden. Bisher hatte die Bundesregierung auf Forderungen nach einem Embargo abgelehnt, auch die Industrie wollte eher auf den eigenen Umbau setzen.

Nun liegen zwei Studien vor, die sich mit den Folgen für die Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland durch einen Stopp oder ein Embargo auseinandergesetzt haben.

Ergebnis: "Ein Wegfall russischer Energieträger hätte weitreichende Folgen für die Wirtschaft in Deutschland", so das Fazit der Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW), das auch die vorherige Studie des Ökonomen Rüdiger Bachmann miteinbezogen hatte.

Die DIW-Analyse errechnete durch das Embargo eine geringere Produktivität und eine Vernichtung investierten Kapitals. Diese führe zu einer langanhaltenden Rezession, die nach sechs Quartalen mit drei Prozent ihren Höhepunkt erreiche.

Die Schwere der Rezession sei vergleichbar mit der Rezession, die durch die Corona-Pandemie verursacht wurde. Sie könne dementsprechend mit zielgenauer makroökonomischer Wirtschaftspolitik deutlich begrenzt werden.

Die Messgröße des wirtschaftlichen Wohlstands, das Bruttoinlandsprodukt (BIP), würde auch durch die hohen Kosten für den Energieimport aus anderen Ländern entstehen.

Darin enthalten seien aber auch ohnehin notwendige Investitionen für die Energiewende, die nun vorgezogen würden. "Eine stimulierende Fiskalpolitik, die hier Investitionsanreize setzt, kann daher die kurz- wie langfristigen Kosten mildern", empfiehlt das DIW. "Wichtig ist aber auch, dass die Politik die Wirtschaft auf einen Lieferstopp vorbereitet, um die Schwere des möglichen Schocks abzuschwächen."

"Im DIW-Basisszenario erstrecken sich die BIP-Verluste über rund zehn Jahre und erreichen ihren Höhepunkt nach 18 Monaten mit einem Minus von drei Prozent. Gleichzeitig würde ein Importstopp zu einem Anstieg der Inflation um bis zu 2,3 Prozentpunkte führen", erläutern die Wissenschaftler*innen auf der Website des DIW.

BIP-Verluste in ähnlicher Größenordnung hatte es laut Statistischem Bundesamt bereits 2009 (minus 5,7 Prozent) und 2020 (minus 4,9 Prozent) gegeben.

Alle Annahmen seien auch mit Unsicherheiten verbunden, da es noch nie ein solches Embargo in einer solchen Situation gegeben habe, schreiben die DIW-Forscher*innen. "Die Resultate auf Basis des Modells deuten die Größenordnung der Effekte eines Embargos an und sollen dazu dienen, der Politik eine Orientierung bei einem möglichen Lieferstopp zu geben."

Weil Russland knapp 30 Prozent seines BIP durch den Verkauf von Öl, Kohle und Gas erwirtschaftet, habe ein Energieimportstopp das Potenzial, Druck auf die russische Regierung auszuüben, ihren Vernichtungskrieg gegen die Ukraine einzustellen, so die Studie.

"Ein wichtiger Faktor dabei ist auch, dass ein Importstopp Substitutionsprozesse bei den Industrien in Westeuropa auslösen wird, wie zum Beispiel ein schnellerer Umstieg auf erneuerbare Energien." Diese Neuausrichtung werde – auch vor dem Hintergrund anstehender Klimaschutzinvestitionen – wirtschaftlich irreversibel sein und somit den Markt für russische Energie auch nach dem Krieg, wie auch immer er ausgehen mag, langfristig schwächen.

Dass diese Investitionen in den Klimaschutz, Kreislaufführung und Ressourceneffizienz ohnehin kommen, führt Stefan Lechtenböhmer auch im factory-Magazin Industrie aus. "Die Technik ist da, finanzierbar ist es auch", so Lechtenböhmer. Fraglich sei nur, ob auch die Gesellschaft für den Umbau bereit wäre.

Mit dem Krieg gegen die Ukraine und der nun für die Öffentlichkeit allzu deutlich gewordenen Abhängigkeit von Autokratien wie Russland, Katar oder Vereinigten Arabischen Emiraten dürfte die gesellschaftliche Akzeptanz für den Wandel groß sein – wenn die Folgen sozial gerecht geteilt werden.

Mehr zu den Themen Wandel und Industrieumbau in den factory-Magazinen Change und Industrie – oder in den entsprechenden Online-Themenbereichen.

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