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Schnelle Dekarbonisierung des Energiesystems spart Billionen

Die weltweite Energieerzeugung bis 2050 auf erneuerbare und damit treibhausgasneutrale Produktion umzustellen, wäre für Wirtschaft und Gesellschaft wesentlich kostengünstiger, als der bisher eingeschlagene fossile Weg. Ein klimaneutrales Energiesystem wäre nicht nur möglich, sondern auch profitabel, zeigt eine neue Studie der Universität Oxford.

Angesichts von Energie- und Preiskrise erhalten Vorstellungen eines Weiter-so wieder mehr Aufmerksamkeit. Die derzeitige Energiekrise treibt die Preise des täglichen Lebens, von Ernährung über Wohnen bis Mobilität. Und so sind Forderungen nach einem Weiterbetrieb von fossiler und nuklearer Energieerzeugung wieder attraktiv. Der für die Begrenzung des Klimawandels so wichtige Change zur klimaneutralen Energieerzeugung, zum schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien, erhält offenbar wieder weniger Zustimmung.

"43 Prozent der Bürgerinnen und Bürger finden, dass der Klimaschutz angesichts der aktuellen Krisen und Herausforderungen vorübergehend im politischen Handeln hintenanstehen sollte", schreibt die tagessschau zur DeutschlandTrend-Umfrage vom Juli 2022. "Eine knappe Mehrheit von 52 Prozent findet das nicht."

Dass die G7-Staaten auf einem 2,7-Grad-Kurs der Erderwärmung sind und die ersten Kipppunkte bereits in den nächsten Jahren erreicht werden könnten, scheint momentan keine Rolle spielen zu müssen. Von dieser Stimmung profitiert momentan auch die Industrie – und sie bzw. die Stimmung prägt die Politik.

Statt für notwendige soziale Absicherung der Menschen zu sorgen, gelingen die Ausgleichsmaßnahmen nicht oder nur teilweise. Siehe Gasumlage, von der auch die nicht-betroffenen Unternehmen profitieren, oder 9-Euro-Ticket ohne konsequente Verkehrswende. Übergewinnsteuern oder ein Klimageld für mehr soziale Gerechtigkeit bleiben ungenutzt – selbst wenn der Club of Rome diese als Bedingung für eine erfolgreiche Bekämpfung des Klimawandels beschreibt.

Wer sparen will, muss schneller wandeln

Umso passender erscheint jetzt eine Studie, die eigentlich auch die konservativen und neoliberalen Ökonom*innen beeindrucken müsste. Zwar gab es schon einige derartige Modellrechnungen, diese berücksichtigte aber erstmals die wesentlich schnellere Kostensenkung der erneuerbaren Technologien.

Schon der berühmte Stern-Report von Nicholas Stern hatte 2006 eine günstigere Lösung des schnellen statt späteren Handelns prognostiziert, allerdings noch viele Klimakosten unterschätzt. Das Wuppertal Institut hatte 2020 die Voraussetzungen und Kosten eines klimaneutralen Energiesystems in Deutschland bis 2035 untersucht.

Die neue Oxford-Studie zeigt, dass ein schneller Übergang zu sauberen Energie günstiger ist als eine langsame oder sogar ein Verzicht auf eine Transition. Und je eher dieser Wandel gelingt, umso günstiger wird er, je später er einsetzt, umso länger und teurer wird er.

Die Dekarbonisierung des globalen Energiesystems bis 2050 würde demnach rund 12 Billoonen US-Dollar günstiger sein gegenüber einem "Weiter-so"-Szenario des gegenwärtigen fossilen Brennstoffverbrauchs.

Das "Fast Transition"-Szenario des schnellen Wandels für ein fossil-freies System bis 2050 würde global 55 Prozent mehr Energie liefern als heute – durch eine Beschleunigung von Solar- und Windkraftanlagen, Speichersystemen, elektrischen Fahrzeugen und z. B. grünem Wasserstoff.

Frühere Modelle hätten zwar auch günstigere Energiekosten für die Zukunft beim Umstieg auf erneuerbare Energien vorhergesagt – allerdings um den Preis hoher Investitionen. Das habe Unternehmen und Politik von entsprechenden Maßnahmen zur Ablösung von fossilen Energien abgeschreckt, erklärt der Hauptautor der Studie, Dr. Rupert Way, Postdoktorand an der Smith School of Enterprise and the Environment. "Doch die Kosten für saubere Energie sind in den letzten zehn Jahren drastisch gesunken, und zwar viel schneller als in den Modellen erwartet."

"Die Ergebnisse zeigen, dass die Verbreitung grüner Schlüsseltechnologien die Kosten weiter senken werden, und je schneller wir vorankommen, desto mehr werden wir sparen", so Way.

Mit Einsparungen Akzeptanz erhöhen

Das Forschungsteam analysierte Tausende von Szenarien der Kosten des Übergangs mit verschiedenen Energiemodellen. Dabei nutzte es Daten zur Kostenentwicklung von 45 Jahren bei der Photovoltaik, 37 Jahren bei der Windkraft und 25 Jahren bei den Batteriespeichern. Demnach sanken die Kosten bei der Photovoltaik doppelt so schnell wie in den mutigsten Prognosen vorhergesagt.

Die Studie zeige, dass ehrgeizige politische Maßnahmen, die den Übergang zu einer sauberen Energiezukunft so schnell wie möglich drastisch beschleunigen, nicht nur aus Klimagründen dringend erforderlich seien, sondern der Welt auch Billionen an künftigen Energiekosten ersparen können, so Professor Doyne Farmer vom Institute for New Economic Thinking an der Oxford Martin School.

Die Politik könnte die Studie nutzen, um mit den wirtschaftlicheren Prognosen eine stärkere Regulierung durchzusetzen – ganz im Sinne von Wirtschaft und Gesellschaft. Denn schließlich wünschen sich Unternehmen eindeutigere und verbindliche Bedingungen für ihre Investitionen, wie auch aktuelle Untersuchungen immer noch zeigen.

Und obwohl die Studie mit den Daten aus der Zeit vor der aktuellen Krise arbeitete, bestätiget sie, dass die Reaktion auf die Krise darin bestehen müsse, den Übergang zu kostengünstiger, sauberer Energie zu beschleunigen. Alte fossile Abhängigkeiten von autokratischen Rohstofflieferstaaten ließen sich damit auch begrenzen – was sich zur Zeit viele Menschen ebenso wünschen.

Die Studie entstand in Zusammenarbeit des Institute for New Economic Thinking an der Oxford Martin School, des Oxford Martin Programme on the Post-Carbon Transition und der Smith School of Enterprise & Environment an der University of Oxford sowie den SoDa Labs an der Monash University.

Der Artikel "Empirically grounded technology forecasts and the energy transition" ist in der Zeitschrift Joule erschienen.

Mehr zum Change des Energie- und Wirtschaftssystems in den factory-Magazinen Change und Industrie. Und zu dem, was noch zum Wandel gehört, im factory-Magazin Klimaneutral. Oder in den jeweiligen Themenbereichen.

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