Big Oil (and Gas) ist weiterhin nicht zu trauen. Klimaneutralität haben zwar auch sie sich auf die Fahnen geschrieben und sich damit zum Pariser Klimaschutzziel bekannt, die tatsächlich geplanten Projekte der großen Öl- und Gaskonzerne sprechen aber eine andere Sprache. Das geht aus einer am 24. Mai veröffentlichten Studie von Oil Change International (OCI) hervor.
Treibhausgasneutralität bis 2050 und dadurch eine Begrenzung der Erderhitzung auf maximal zwei Grad, besser 1,5 Grad, ist das Ziel des Pariser Abkommens von 2015. Dieses Ziel müssen und haben auch die meisten Unternehmen der fossilen Industrie übernommen – und werben sogar damit, manche produzieren schon jetzt "klimaneutrales" Heizöl. Wie das funktioniert, beschreibt z. B. das factory-Magazin Klimaneutralität.
Der Krieg in der Ukraine, die Ankündigung von Öl- und Gasembargos, Genehmigung und Bau von Flüssiggasterminals verheißen den Konzernen aber eine weiterhin profitable Zukunft, wie es aussieht. Ohnehin scheinen ihre eigentlichen Pläne ganz andere als die der globalen Gemeinschaft zum Klimaschutz zu sein.
Der jetzt erschienene Big Oil Reality Check der US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation OCI beteiligte neben der deutschen NGO urgewald über 35 weitere Organisationen aus der ganzen Welt an der Analyse. Die zeigt, dass trotz einer ganzen Reihe neuer "Netto-Null"-Verpflichtungen über die letzten zwei Jahre, die Klimaversprechen der großen US-amerikanischen und europäischen Öl- und Gasunternehmen immer noch nicht einmal das Mindestmaß dessen erfüllen, um mit dem Pariser Abkommen im Einklang zu sein.
„Die Klimazusagen und -pläne der großen Öl- und Gasunternehmen scheinen darauf ausgelegt zu sein, zu desinformieren und abzulenken, statt die Klimakrise ernsthaft anzugehen", sagt David Tong, Hauptautor von „Big Oil Reality Check" und Kampaigner bei Oil Change International. „Unsere neue Studie zeigt, dass nicht einmal einer der acht untersuchten Konzerne auch nur annähernd dabei ist, sein Geschäft auf die Erfordernisse von 1,5 °C auszurichten.“
Die neue Studie, die eine Vorgängerstudie aus dem Jahr 2020 aktualisiert, analysiert die jüngsten Klimazusagen von BP, Chevron, Eni, Equinor, ExxonMobil, Repsol, Shell und TotalEnergies anhand von zehn Mindestkriterien für die Einhaltung der im Pariser Abkommen festgelegten 1,5 °C (siehe Grafik).
Die Analyse liefert neue Daten über die Klimabedrohung, die von den kurzfristigen Expansionsplänen der acht untersuchten Unternehmen im Bereich der Öl- und Gasförderung ausgeht – Pläne, die im klaren Widerspruch zu der Schlussfolgerung der Internationalen Energieagentur (IEA) stehen, dass für die Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels keine neuen Öl- und Gasvorkommen nach 2021 erschlossen werden dürfen.
Der Studie zufolge planen die großen Öl- und Gaskonzerne über 200 Expansionsprojekte, die zwischen 2022 und 2025 genehmigt werden sollen und bei tatsächlicher Durchführung zusätzliche 8,6 Milliarden Tonnen (Gt) an Emissionen verursachen würden - dies entspräche den Emissionen von 77 neuen Kohlekraftwerken (über die Lebensdauer betrachtet).
Ein Bericht des britischen Guardian fasst zusammen, dass allein die in den nächsten Jahren geplanten Öl- und Gas-Projekte Treibhausgase in der Höhe der Emissionen Chinas über zehn Jahre produzieren werden.
Die zwölf größten Ölkonzerne planen offenbar bis Ende 2030 jeden Tag 103 Millionen US-Dollar in die Exploration weiterer Öl- und Gasfelder zu stecken.
Dabei sind der Mittlere Osten und Russland offenbar die Regionen, auf die sich die Konzerne konzentrieren. Aber auch die USA, Kanada und Australien sind unter den Ländern mit großen Genehmigungsvorhaben für die "Carbon-Bombs" – zudem sind das die Länder mit den weltweit höchsten Treibstoffverbräuchen pro Kopf.
Eine erst letzte Woche veröffentlichte wissenschaftliche Studie ergab: allein die Verbrennung von Öl, Gas und Kohle aus bereits in Betrieb befindlichen Feldern und Minen wird das verbleibende CO2-Budget für 1,5 °C bei weitem überschreiten.
Die Studie von Oil Change International kommt auch zu dem Schluss, dass die wenigen Öl- und Gasunternehmen, die einen Rückgang der Gesamtproduktion bis 2030 prognostizieren, offenbar die Strategie verfolgen, ihre schmutzigen Anlagen zu verkaufen, damit andere Unternehmen sie weiter ausbeuten können – anstatt sie selbst zurückzufahren und zuz schließen. Die Klimazusagen und -pläne aller acht Unternehmen werden insgesamt als höchst unzureichend eingestuft, wobei dies am stärksten auf Chevron und ExxonMobil zutrifft.
Mit einer weltweit erhöhten Ölnachfrage auf dem Niveau von vor der Pandemie sind die Ölpreise auf Rekordhöhe als Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine gestiegen. Das verhilft den großen Öl- und Gasunternehmen zu Rekordgewinnen. Dabei würden die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen, dass es dringend notwendig sei, die Expansion der Öl- und Gasindustrie zu beenden und einen raschen, kontrollierten Rückgang der fossilen Brennstoffe herbeizuführen, erklärt Nils Bartsch, Leiter Öl- und Gas-Research bei urgewald.
Erst im März kam ein Bericht von Forschern des Tyndall Centre zu dem Schluss, dass die wohlhabendsten Nationen die Öl- und Gasförderung bis 2034 einstellen müssen, um eine 50-prozentige Chance zu wahren, die Erwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen.
Auch der jüngste Bericht des IPCC zeigt, dass die weltweiten Emissionen fossiler Brennstoffe - an denen Öl und Gas den größten Anteil haben - sofort zurückgehen müssen, um die Chance zu wahren, die globale Erwärmung unter 1,5 °C zu halten.
„Den Unternehmen, die am meisten zur Klimakrise beigetragen haben, kann man nicht zutrauen, dass sie ihr sinnvoll begegnen", fügt Tong hinzu. „Die großen Öl- und Gasunternehmen werden ihren eigenen Niedergang herbeiführen. Investoren und Regierungen müssen sich engagieren und uns allen helfen, aus dem instabilen ‚Boom-Bust-Zyklus‘ der fossilen Energiewirtschaft auszubrechen."
Mehr zur Notwendigkeit der Klimaneutralität und wie sie Länder, Unternehmen und Institutionen wirklich erreichen können, steht im factory-Magazin Klimaneutral und im entsprechenden Themenbereich.