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Neue Flüssiggas-Projekte gefährden das Pariser Klimaziel

Auf der Suche nach Ersatz für das Erdgas aus Russland stoßen Länder zahlreiche Projekte zur Flüssiggas-Produktion an. Die bisherigen Kapazitäten würden damit bis 2030 verdoppelt, das Ziel für Netto-Null CO2-Emissionen bis 2050 weit überschritten, zeigt eine Analyse der Climate Action Tracker-Initiative.

In der Folge des Krieges gegen die Ukraine und dem nahezuen Stopp der Erdgaslieferungen Russlands nach Europa planen Länder weltweit neue Gasprojekte. Dabei könnten sie weit über die kurzfristigen Notwendigkeiten hinausschießen, momentane Engpässe zu schließen und gasabhängige Wirtschaftszweige zu retten.

So sind neue Projekte in Afrika, Australien, Asien, USA, Kanada und im nahen Osten geplant. Das geförderte Gas soll dort verflüssigt werden und per Schiff zu den Kunden kommen. Der Markt für das so genannte Liquified Natural Gas (LNG) war 2022 so umkämpft, dass Energiekonzerne ihre LNG-Frachter auf den Weltmeeren zu den Meistbietenden umleiteten – und Länder wie Pakistan und Co. leer ausgingen.

Auf dem UN-Klimagipfel in Ägypten hat die Forschungsinitiative Climate Action Tracker (CAT) eine aktualisierte Studie vorgestellt, die den Beitrag der neuen Projekte zur Erhöhung der Erderwärmung analysiert.

Insgesamt würden die untersuchten Gasprojekte, die bis 2030 entstehen, genehmigt und vorgeschlagen sind, die bisherigen CO2-Emissionen der Gasinfrastruktur von 1,3 Gigatonnen (Gt) um 1,9 Gt CO2-Äquivalente erhöhen – eine Steigerung von 235 Prozent.

Netto-Null-Ziel so nicht erreichbar

Das gemeinsame CO2-Budget, das die Länder der Welt lediglich noch ausstoßen dürfen, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, würde damit um zehn Prozent überschritten. Schon jetzt reichen die Bemühungen der Staaten längst nicht aus, um selbst das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Und bereits 2030 stünden mit den neuen Gasprojekten Überkapazitäten von 500 Milliarden Tonnen LNG zur Verfügung – das Fünffache der Gasimporte der EU aus Russland im Jahr 2021 und das Doppelte der gesamten russischen Exporte.

Laut tagesschau.de muss die EU jährlich 155 Milliarden Tonnen Erdgas jährlich nun aus anderen Quellen beziehen. Im März hatte sie mit den USA einen Vertrag über 15 Milliarden Tonnen LNG jährlich abgeschlossen, langfristig sollen es 50 Mrd. t sein. Zu wesentlich höheren Kosten als bisher, da auch die Ökobilanz durch Verflüssigung und tiefgekühltem Transport (- 163 °C) schlechter als die von Erdgas ist, zudem stammt das US-Gas überwiegend aus umweltschädlicher Fracking-Produktion.

"Die Energiekrise hat die Klimakrise übernommen", beklagt Bill Hare, der Chef der CAT-Partner-Organisation Climate Analytics. Die Projekte würden weit mehr Gas produzieren als für den Ersatz des russischen Gases notwendig wäre. "Wir erleben einen massiven Schub für die Ausweitung von LNG-Export- und Import-Kapazitäten und die Erhöhung der fossilen Gas-Abhängigkeiten."

Auch in Deutschland entstehen neue LNG-Terminals für den Import von LNG. Das soll vor allem aus den Frackinggas-Projekten der USA kommen, aber auch aus Staaten wie Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten – deren Umgang mit Menschenrechten eigentlich ein Ausschlusskriterium sein sollte, falls man auf Gerechtigkeit in der Lieferkette Wert legt. Die Bundesregierung will zudem auch die Exploration von Erdgas im Senegal vorantreiben.

Bis zu zwölf LNG-Terminals sollen an den Küsten von Nord- und Ostsee entstehen, schreibt klimareporter.de. Sie sollen später auch für den Import von "grünem" Wasserstoff nutzbar sein, wirbt die Bundesregierung. Dass das möglich ist, bestreitet aber eine Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe. Grüner Wasserstoff soll in der Industrie fossile Energieträger ersetzen.

Die mit den Terminals entstehenden Infrastrukturen würden die fossile Energieversorgung jedoch über Jahrzehnte zementieren (so genannter "fossil-lock-in") und die Energiewende weiter behindern, kritisieren Umweltschützer*innen.

Fossile Investitionen verzögern Energiewende

Ohnehin sinken die Investitionen in fossile Energien zu wenig, um wirklich von einer Wende sprechen zu können. Die geplanten Investitionen von Banken und Konzernen in die fossile Infrastruktur würden jede Begrenzung der Erderwärmung unmöglich machen, zeigte der Big-Oil-Reality-Check im Mai 2022.

Auch der neue Bericht zum Carbon Budget zeigt, dass die CO2-Emissionen aus Öl- und Kohleverbrennung erneut Spitzenwerte erreichen und die Gesamtemissionen 2022 sogar wieder leicht über dem Niveau vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie 2019 liegen. Von Emissionswende keine Spur.

Mit einer schnellen Dekarbonisierung ließe sich dagegen nicht nur die Emissionswende schneller erreichen, dies wäre auch wesentlich günstiger für die globalen Gesellschaften und ihre jeweilige Wirtschaft.

Doch statt zum Beispiel die gasintensive Produktion von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln zugunsten einer artenschützenden und stärker CO2-bindenden ökologischen Landwirtschaft umzustellen, die ebenso ressourcenintensive Massentierhaltung samt schädlicher Futtermittelproduktion zugunsten einer pflanzenbasierten Ernährungskultur zu reduzieren und den Ausbau der erneuerbaren Energieproduktion und ressourcenleichte Lebensstile voranzutreiben, stützen Staaten und Finanzsektor immer noch die fossil-expansive Wirtschaft.

Von einem Wandel zu einer Circular Economy, die auf Retrofitting, Remanufacturing und Reparaturfähigkeit statt auf energieintensive immer neue Materialproduktion setzt, ganz Schweigen. Allerdings ließe sich das nur mit einem tiefgreifenden Wandel des herrschenden Wirtschaftssystems bewerkstelligen, wie ihn UN-Umweltprogramm-Direktorin Inger Andersen verlangt. Und danach sieht es im Moment nicht aus.

 

Kurs auf 2,7 Grad

Deswegen überrascht auch die aktualisierte Erwärmungsprognose des CAT auf dem Gipfel in Scharm el-Scheich nicht, die wie viele andere Studien zeigt, dass die Staaten keine Fortschritte auf dem Weg zum 1,5-Grad-Ziel machen, sondern stattdessen auf 2,7-Grad zusteuern.

Mit den bis zum Gipfel eingereichten nationalen Emissionsminderungsprojekten würden lediglich 2,4 Grad Begrenzung erreicht. Dabei wären 1,8 Grad noch erreichbar, würden die langfristigen Netto-Null-Ziele von Staaten wie der EU, USA und China tatsächlich umgesetzt.

Derzeit sieht es aber eher so aus, dass der "globale Treibhausgas-Ausstoß im Jahr 2030 nach dem aktuellen Stand trotz aller vorgeschlagenen Maßnahmen immer noch doppelt so hoch sein wird, wie er für die Begrenzung auf 1,5 Grad sein sollte", warnt CAT-Experte Niklas Höhne.

Zwar gebe es positive Nachrichten, wie das in diesem Jahr beschlossene Klima- bzw. Inflationsminderungspaket der USA, die Klimaschutzmaßnahmen im Chinas neum Fünfjahresplan und eine mögliche Übererfüllung der EU-Klimaziele, sagte Höhne. Doch bei der Finanzierung gäbe es zu wenig Bewegung und kaum Fortschritte bei den in Glasgow beschlossenen Initiativen zur Verbesserung einzelner Sektoren.


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