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  • Titel der ZEW-Studie zur Einführung eines reduzierten Industriestrompreises

Subventionierte Industriestrompreise führen nicht zu klimaneutraler Produktion

Mit einem so genannten Brückenstrompreis bis 2030 will das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz die notwendige Transformation für die energieintensive Industrie erleichtern. Eine Untersuchung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zeigt, dass subventionierte Strompreise die Transformation jedoch eher gefährden, höhere dagegen nicht einmal Umsatz und Beschäftigung.

Europa hat 2022 neue Rekorde erreicht: Bei Hitze, Trockenheit und Gletscherschmelze. Bis 2050 will es klimaneutral werden, um seine Verpflichtung zur Begrenzung der Erderwärmung zu erfüllen, Deutschland will bis 2045 soweit sein.

Dabei sind das nicht lediglich dehnbare Ziele zur Erfüllung des Pariser Abkommens, sondern ihre Erreichung ist essenziell, um das Schlimmste wie unumkehrbare Kipppunkte zu verhindern. Die Entwicklung – siehe oben – ist da eindeutig.

Deutschland hat sich Ziele gesetzt, die es jedoch bis 2030 nicht erreichen kann. Statt um 1,9 Prozent wie 2022, müssten die CO2-Emissionen um jährlich sechs Prozent sinken.

Das ist auch die Aufgabe für die Industrie, und insbesondere die energieintensive, die Grundstoffe wie Stahl, Chemie, Zement, Papier und Glas produziert. Schließlich verantwortet sie den größten Teil des Umsatzes an Ressourcen und demzufolge einen hohen Anteil der Treibhausgasemissionen.

2022 hat aber auch gezeigt, dass die Industrie Ressourcen sparen kann, wenn diese teurer als zuvor sind. Plötzlich werden Strategien eingesetzt, wie Brennöfen zur Keramikherstellung nicht 24 Stunden sieben Tage durchlaufen zu lassen, sondern im Wochenrhythmus Batch-Produktion zu betreiben. Vorher war der Dauerbetrieb günstiger, weil das Gas günstiger war, heißt es bei einem mittelständischen Porzellanhersteller in Thüringen.

Der Wandel der fossilen Industrie zur klimaneutralen wird aber teuer, reine Organisationskunst wird da nicht reichen. Allein die Stahlindustrie spricht von 30 Milliarden Euro. Vor allem braucht es sehr viel erneuerbare Energie. Doch die Technik dafür ist da, sagt Prof. Stefan Lechtenböhmer vom Wuppertal Institut im factory-Interview, finanzierbar sei sie auch.

Niedrigere Industriestrompreise für die Standortsicherung?

Nun steht angesichts hoher Strompreise wieder die Debatte um eine Entlastung der Industrie durch so genannte Brückenstrompreise an. Diese sollen zu subventionierten Industriestrompreisen von eta 6 Cent pro Kilowattstunde führen und den Industriestandort erhalten, bis das Land genügend erneuerbaren Strom produzieren kann und die Preise entsprechend gefallen sind.

Verhindern will das BMWK so eine befürchtete Deindustrialisierung, den Verlust von Produktion und Arbeitsplätzen durch Standortverlagerung zu günstigeren Strompreisländern. Gewerkschaften und Industrieverbände wollen das selbstverständlich auch.

Eine aktuelle Studie von ZEW Mannheim und der Universität Mannheim zeigt aber, dass der notwendige klimaneutrale Wandel der Industrie dadurch eher gefährdet als erleichtert wird.

Denn eine breite Subventionierung industrieller Strompreise senke den Anreiz zum Stromsparen, mache Innovationen weniger attraktiv und gefährde so die Transformation der deutschen Wirtschaft hin zu einer klimaneutralen Produktion.

Die Untersuchungen der Wissenschaftler*innen zeigen, dass die Industrie auf steigende Strompreise mit niedrigerem Stromverbrauch reagiert. Gleichzeitig finden die Untersuchungen keine empirische Evidenz dafür, dass höhere Strompreise die Wettbewerbsfähigkeit - gemessen durch Umsätze und Beschäftigung - geschädigt haben.

Kein Anreiz zur Einsparung

„Wenn wir niedrigere Strompreise einführen, wird der Anreiz, Strom zu sparen abgeschwächt“, erklärt Kathrine von Graevenitz, stellvertretende Leiterin des ZEW-Forschungsbereichs „Umwelt- und Klimaökonomik“. Das zeige die Analyse der Besonderen Ausgleichsregelung (BesAR): Demnach sparten Betriebe, die damit von der EEG-Umlage befreit wurden, weniger Strom ein als Betriebe, die nicht befreit wurden.

Stromintensive Produktion und Klimaneutralität passe in Deutschland auch nicht zusammen. „Wenn Deutschland CO2-neutral werden will, muss es sich fragen, ob es dann noch eine Industrie haben wird, die sehr stromintensiv ist", sagt von Graevenitz. Denn Deutschland werde auch in Zukunft nur eine begrenzte Menge an Strom selbst erzeugen können. "Gleichzeitig brauchen wir überall Strom: für E-Autos, Wärmepumpen und die Elektrifizierung der Industrie", fügt sie hinzu.

Wettbewerbsfähigkeit hängt nicht nur von Energiepreisen ab

Energieintensive Sektoren wie Glas, Papier, Chemie und Stahl machen mehr als zwei Drittel des Gesamtenergieverbrauchs im verarbeitenden Gewerbe aus. Die Sektoren hätten in den vergangenen Jahren bis 2017 ihren Energieverbrauch eher erhöht als reduziert – trotz Emissionshandel und EEG-Umlage, von der allerdings einige Betriebe befreit waren, 

Aus wissenschaftlicher Sicht gäbe es keine Hinweise auf einen negativen Einfluss der Strompreise auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Industrieunternehmen, heißt es von den Autor*innen der Studie.

Bei den meisten Unternehmen liege der Energiekostenanteil am Umsatz deutlich unter fünf Prozent. Energiekosten seien für die meisten Betriebe nicht der Hauptwettbewerbsfaktor.

Die Forschenden heben hervor, dass Standortfaktoren wie qualifizierte Fachkräfte, belastbare Infrastruktur, politische Stabilität und Zugang zum Binnenmarkt vermutlich relevanter für die internationale Wettbewerbsfähigkeit sind.

Elektrifizierung nur durch Effizienz erreichbar

"Die Klimaziele werden sich nur durch massive Elektrifizierung erreichen lassen. Wärmepumpen sind ein heißes Thema – knapp 65 Prozent der deutschen Haushalte heizen noch mit fossilen Brennstoffen, und nicht alle werden auf Biomasse umsteigen können", heißt es in der Pressemitteilung des ZEW.

Zudem seien von den Anfang 2023 zugelassenen 48,8 Millionen PKWs in Deutschland nur eine Million E-Autos. Allein die Elektrifizierung der Autoflotte werde zu einem deutlich höheren Strombedarf führen.

Insgesamt werde die Nachfrage nach Strom über alle Sektoren hinweg deutlich steigen. "Um diesen Bedarf decken zu können, müssen überall hohe Anreize für Energieeffizienz vorhanden sein. Ein Industriestrompreis ist problematisch, weil er solche Anreize für mehr Energieeffizienz abschwächen kann", so die ZEW-Forscher*innen.

Produktionsverlagerung kann sinnvoll sein ...

heißt es zudem in der Untersuchung. Denn es sei nicht klar, dass deutsche Strompreise nach einem Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung zwangsläufig geringer sein werden, als in Ländern mit größerer Verfügbarkeit von Sonne und Wind.

Wenn es in anderen Ländern dauerhaft günstiger ist, Strom CO2-neutral zu erzeugen, stelle sich grundsätzlich die Frage, warum stromintensive Produkte in Deutschland hergestellt werden müssten.

So sieht das auch der Energieexperte Prof. Lechtenböhmer im factory-Magazin Industrie. Denn das träfe nicht nur für die Energie wie Strom und Wasserstoff sondern auch für die zu verarbeitenden Rohstoffe zu. Eine klimaneutrale Produktion im globalen Süden an den Orten günstiger Energie und Rohstoffe könne auch zu mehr Wertschöpfung und damit Wohlstandsgerechtigkeit führen.

Wenn sich die Grundbedingungen der Wirtschaft verändern, müssten sich auch die Wirtschaftsstrukturen ändern. "Das geschieht in der Regel auf effiziente Art und Weise über den Markt. Dauerhafte Subventionen greifen in den Marktmechanismus ein und verhindern die effiziente Verteilung der Ressourcen", heißt es in der Studie nüchtern.

Die Politik habe die Aufgabe, Marktversagen zu korrigieren, indem negative externe Effekte wie CO2-Emissionen eingepreist werden, um die Kosten des Klimawandels abzubilden – durch Emissionshandelssysteme, die Anreize zum klimaneutralen Wirtschaften schaffen sollen. "Das bedeutet aber auch, dass manche Produkte teurer werden und auch, dass manche Unternehmen ihre Produktion einstellen."

Transformation muss alle Bereiche umfassen

Zwar sei Versorgungssicherheit angesichts der Erfahrungen in der Corona- und der Ukraine-Krise ebenfalls ein Parameter für politisches Handeln – die Gefahr in Abhängigkeiten zu geraten aber gering bei Produkten, die in vielen Ländern hergestellt werden.

Gleichzeitig sei die Gefahr gering, dass an diesen Standorten mittelfristig nicht klimaneutral produziert werde, denn mit dem geplanten CO2-Grenzausgleich der EU, dem Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM), werden nicht CO2-neutrale Produkte mit Zöllen belegt.

Gegen weitreichende Produktionsverlagerungen spräche, dass Energie nicht der einzige und fu?r viele Betriebe nicht einmal der wichtigste Produktionsfaktor sei.

Qualifizierte Fachkräfte, Nähe zu zuverlässigen Lieferanten, Rahmenbedingungen wie belastbare Infrastruktur und politische Stabilität, sowie Zugang zum Binnenmarkt spielten ebenfalls eine wesentliche Rolle, wenn es um die Standortwahl gehe, heißt es im Fazit der Studie.

"Wollen wir es uns leisten, einige Sektoren von der Transformation zu „verschonen“? Transformation heißt nun mal Änderung – und dann kann nicht alles beim Alten bleiben", so ihr Schlusss.

Mehr zum Wandel der Industrie im gleichnamigen factory-Magazin bzw. im entsprechenden Themenbereich.

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