Eigentlich ist seit langem klar, was wo zu tun ist, um so schnell wie möglich die Emissionswende einzuleiten. Besonders starke Wirkung hätten Maßnahmen im Sektor Verkehr: Schienen müssten gebaut, Strecken elektrifiziert, emissionfreie Fahrzeuge angeschafft und das Fahrpreissystem revolutioniert werden. Letzteres beispielsweise so, wie mit dem 9-Euro-Ticket im Entlastungspaket für drei Monate geschehen.
Gleichzeitg halten es die klimaorientierten Verkehrsexpert+Innen für notwendig, den Verkehr mit Auto und Lkw weniger attraktiv zu gestalten und den Straßenraum neu zu verteilen. Mindestens im städtischen Raum, wie mit ressourcenleichten Pop-Up-Radwegen. Dazu müssten Tempolimits und Zufahrtsbeschränkungen in Innenstädten kommen.
Ökologisch wahre Preise für den Autoverkehr könnten entsprechendes beitragen, wie es seinerzeit mit dem CO2-Preis für Brennstoffe geplant war.
Inzwischen sind wir in der Phase, wo der Staat die klimaschützende Preisentwicklung von fossilen Stoffen wieder ausbremst. Statt Krisengewinner*innen und Vermögende stärker an den Kosten der Krisenentwicklung zu beteiligen, fallen ihm lediglich staatlich und so von allen zu tragende Stützen wie Tankrabatt, Energiepreisdeckel oder CO2-Preis-Aussetzung ein.
Zumindest in Deutschland ist das so, während Spanien mit Übergewinnen einen kostenlosen ÖPNV für alle finanziert. Immerhin soll der Energiepreisdeckel nun doch auch in Deutschland mit den Übergewinnen der Energiekonzerne finanziert werden.
Dekarbonisierung wäre möglich
Dabei wäre eine Dekarbonisierung der Mobilität in Deutschland sogar bis 2030 möglich gewesen – zumindest noch bis vor einigen Jahren. Und zwar durch Elektrifizierung und Digitalisierung. Die Wege zu einem komplett emissionsfreien Verkehrssystem bis 2035 hatte das Wuppertal Institut bereits 2017 vorgestellt.
Die derzeitige Verkehrspolitik der Bundesregierung sieht trotz ambitioniertem Koalitionsvertrag aber weiterhin düster aus. Die Elektrifizierung der Mobilität müsste wesentlich schneller voran kommen, parallel zu einer schnelleren Energiewende, die zudem auch noch günstiger wäre, als eine langsame.
Der öffentliche Nahverkehr und auch der Fernverkehr müssten für alle Verkehrsteilnehmer*innen preisliche und komfortable Alternativen zum eigenen Fahrzeug werden – so dass Individualmobilität über große wie kurze Entfernungen weniger attraktiv würden.
Mit einer Begrenzung der Zulassungszahlen, City-Mauts und CO2-abhängigen Treibstoffpreisen ließe sich dann auch die automobile Abhängigkeit verringern, so dass die Zahl der Fahrzeuge insgesamt sinken sollte.
"Die Raumstrukturen sind stärker verdichtet, die Wege kürzer. Bundesweit haben 1000 Einwohner nur noch 200 Pkw statt wie bisher rund 460", heißt es im emissionsfreien Verkehrswendeszenario 2035 des WI. "Die so genannte 'Sharing Mobility' ist in Städten allgegenwärtig und wird auch im ländlichen Raum zunehmend genutzt. 98 Prozent der Pkw auf deutschen Straßen sind Elektroautos, die mit Strom aus Erneuerbaren Energien betrieben werden."
Weniger Autos, aber elektrische
Das wäre die Idee für Elektromobilität in Form von Pkw, die einer treibhausgasneutralen Zukunft gerecht würde: Eine um 50 Prozent gegenüber heute verringerte Anzahl an Fahrzeugen, die elektrisch angetrieben werden.
Und hier kommen die ressourcenleichten Fahrzeuge ins Spiel, die vornehmlich in den Ländern Asiens gebaut werden, während sich die europäische Automobilindustrie außer vielversprechenden aber teuren Kleinstmodellen wie den Aachener e.go-Mobilen vornehmlich auf große, schwere und margenreiche Fahrzeugtypen konzentriert. Neue ressourcenschonende Geschäftsmodelle, wie Mobilität als Dienstleistung anzubieten, sind zudem seitens der Industrie bisher kaum zu entdecken.
China macht dagegen eindeutig Industriepolitik in Richtung E-Mobilität. Brasilien und Indien haben sich sich angeschlossen, bis 2030 will Indien einen Elektroanteil von 30 Prozent an den Pkw-Neuzulassungen erreichen.
Insofern ist jetzt die Ankündigung eines neuen Elektro-Tata interessant. Schon 2016 hatten Studierende einen Verbrenner-Tata auf Elektroantrieb umgestellt. Diesen viersitzige Kleinstwagen bot Tata ab etwa 2200 Euro an. Die Kosten für die Umrüstung auf Elektro mit einer Batteriereichweite von 80 Kilometern sollten seinerzeit bei unter 7000 Euro liegen.
Mit einem Startpreis von tatsächlich knapp 10.000 Euro bringt Tata nun als erster der beiden Elektro-Autokonzerne Indiens den günstigsten Elektro-Pkw des Landes. Der Tata Tiago EV ist eine elektrische Version des erfolgreichen Verbrennermodells – in Indien, dem viergrößten Automarkt der Welt, liegt der Preis der meistverkauften Fahrzeuge unter 15.000 Euro.
Der neue Elektro-Tata als Signal
Damit ist der Tiago EV knapp 50 Prozent günstiger als die Tata Tigor-Limousine. In China jedoch starten die Preise für die günstigsten chinesischen Elektro-Pkw bereits bei knapp 4500 Euro.
Die Betriebskosten des Tata Tiago sollen bei einem Siebtel der Benziner-Version liegen, die Reichweite bei 250 Kilometern, eine etwas teurere Version kommt auf 317 Kilometer.
Die Daten der Nutzung früherer Tata-Elektromodelle hätten gezeigt, dass die meisten Nutzer*innen nur einen täglichen Bedarf von 50 Kilometern gehabt hätten – deswegen habe Tata das neue Modell mit einer geringen Reichweite günstiger produzieren können.
Tata will bis 2026 zehn elektrische Pkw-Modelle auf den Markt bringen. Allerdings ist der indische Automarkt klein im Vergleich zu seiner Bevölkerung. Gerade mal ein Prozent von drei Millionen Fahrzeugen macht der Verkauf elektrischer Modelle aus. Inzwischen hat sich die indische Regierung das Ziel von 30 Prozent bis 2030 gesetzt.
Für die Disruption der deutschen Autoindustrie sind die günstigen Modelle aus Indien gute Signale. Denn viel zu sehr setzt die hiesige Industrie weiter auf fossile, schwere und teure Modelle – weil mit diesen wie zuvor mit den Verbrenner-SUV eine höhere Marge zu erzielen ist. Doch größere Modelle mit längeren Reichweiten benötigen auch mehr Ressourcen – und Ressourcen sind die Achillesferse der klimaneutralen Antriebswende.
Schließlich sind Elektroautos in der Klimabilanz wesentlich günstiger als Verbrenner. Selbst ihre Ressourcenbilanz wäre besser, wenn die Fahrzeuge lange genutzt und Batterien wiederverwendet würden. Insgesamt geht es ohnehin auch hierbei um möglichst komplette Kreislaufwirtschaft der Materialien.
Schnell günstige Elektroautos statt langsamer teurer ÖV-Ausbau?
Wenn also der Ausbau des ÖPNV nicht entsprechend schnell vorankommt – und zudem benötigt er für Trassen, Brücken und Fahrzeuge ebenfalls enorme Mengen Ressourcen –, ließe sich dann nicht mit einer entsprechend flächendeckenden Versorgung mit "Elektroautos für alle" ein schnellerer und höherer Gewinn für den Klima- und Ressourcenschutz erreichen? Und wäre dieser nicht sogar auch sozial gerechter?
Diese These vertritt der Physiker Timo Daum, der sich seit langem mit Elektromobilität und "Digitalem Kapitalismus" beschäftigt. Von günstigen kleinen Elektroauto-Modellen erhofft er sich nicht nur eine sozial bzw. ökonomisch gerechtere Mobilität für alle, sondern auch ein entsprechendes Durchrütteln der deutschen Autoindustrie.
Schließlich kämen die E-Auto-Förderungen von bis 9000 Euro vor allem Vermögenden zugute. Und unter den 15 günstigsten E-Auto-Modellen wäre kein einziges von Volkswagen, BMW, Audi oder Mercedes. In Frankreich dagegen gibt es den Citroën Ami, der besonders ressourcenschonend konstruiert ist, für knapp 7400 Euro. In Deutschland wird er als Opel Rocks-e für 8000 Euro angeboten – 75 km Reichweite und 45 km/h, deswegen bereits ab 15 Jahren fahrbar.
Physiker Daum und dem Mobilitätsoziologen Weert Canzler geht es um politische Entscheidungen. Sie müssten dazu führen, dass sich "die Armen" Elektroautos leihen könnten. Ähnlich wie das 9-Euro-Ticket zum ersten Mal viele Ärmere zu einer größeren Deutschland-Mobilität befähigt hatte.
Damit die deutschen Autohersteller kleinere, günstige und ressourcenschonende Modelle produzieren, müsste z. B. das Dienstwagenprivileg fallen, das dazu führt, das über 60 Prozent der neu zugelassenen Pkw schwere und emissionsintensive Firmenwagen sind.
Dazu müsste eine Kfz- und/oder eine Zulassungssteuer kommen, die nach Gewicht, Größe und Motorleistung gestaffelt ist.
Auf das Tempo kommt es an
Vielleicht, so schreibt Daum bei heise.de, wäre es an der Zeit, die Realität anzuerkennen und aus Verkehrswende-Sicht die Niederlage des Öffentlichen Verkehrs gegen das private Auto einzugestehen?
"Ist es an der Zeit, den Sieg des privaten Autos auszurufen und wenigstens für seine ökologische Modernisierung, sprich Elektrifizierung zu sorgen, und das möglichst sozialverträglich?", fragt Daum und schlägt weiter vor:
"Private PKW ja, aber bitte elektrisch, klein, als Teil des Stromnetzes und mit der Option geteilter Nutzung?"
In Deutschland ist bisher jedenfalls noch kein Tata angekommen, weder als Verbrenner noch als Elektromodell. Solange die Politik die Automobilindustrie nicht zu mehr Klimaschutz drängt, wird sich also auch nichts ändern am bisherigen ressourcenintensiven Geschäftsmodell.
Dabei wäre eine schnelle Dekarbonisierung wesentlich günstiger als eine weiter verzögerte. Ließe sich also die Emissionswende im Verkehr beschleunigen, indem man schneller auf günstige Elektroautos umstellte, statt über Jahrzehnte den Öffentlichen Nah- und Fernverkehr nur verzögert, wäre sicher Zeit gewonnen.
Würde die Politik die entsprechende Rahmenbedingungen setzen, könnte sie mit den oben genannten Maßnahmen wie Wegfall des Dienstwagenprivilegs, einer ressourcenorientierten Kfz-Steuer einen entsprechenden Wandel der Autoindustrie hin zu kleineren ressourcenschonenden Modellen setzen.
Die gesparten Subventionen ließen sich für den Ausbau des Öffentlichen Verkehrs nutzen. Günstige Elektroautos zum Leihen für alle, könnte die gerechte Mobilitätsgarantie für alle sein, mit der sich die Gesellschaft für den Klimaschutz gewinnen ließe.
Mehr zur Verkehrswende im factory-Magazin Mobilität und im entsprechenden Themenbereich mit allen aktuellen News dazu.