Sisyphos
So lasst uns denn die Macht ergreifen
Die internationale Politik könnte ein kraftvoller Motor der Transformation sein, um den Klimawandel zu begrenzen. Sie bleibt aber in den eigenen Bedingungen stecken. Jenseits von Enttäuschungen ist dennoch genug Raum für unkoordiniert Wirksames.
Von Hans-Jochen Luhmann
Macht wird innerhalb von Nationalstaaten ausgeübt durch Recht. In einem nationalstaatlichen Mehrebenengebilde europäisch-neuzeitlicher Tradition gilt rechtsinstitutionell „Ober sticht Unter“. Was binnen-nationalstaatlich für alle Ebenen gilt, wird beim Verhältnis der Ebenen Nationalstaat zu UN durchbrochen. Dort herrscht die Besonderheit: Recht hat keine Macht mehr – das internationale Völkerrecht basiert nicht auf Macht zur Durchsetzung. Selbst WTO-Recht nicht.
Globale Politik als UN-Politik
Im Klimakontext hat uns daran zuletzt das Vorgehen Kanadas erinnert. Das Land wollte seine Ölsande nutzen und ist diesen Weg auch gegangen – und hat dafür seine vorher international eingegangenen Verpflichtungen zur nationalen Emissionsbegrenzung in den Wind geschlagen. „Tschuldigung“ wurde noch gemurmelt. Das war’s dann auch.
Der Vorgang zeigt etwas Generelles. Es wird meist nicht hinreichend präsent, dass die internationale Klimapolitik Gegenstand der Außenpolitiken der Nationalstaaten ist. Die jeweilige Außenpolitik eines Nationalstaates aber ist eine Funktion seiner Innenpolitik. Daraus folgt Zweierlei:
Ein Gelingen der Koordination nationaler Innenpolitiken hinsichtlich deren außenpolitischer Ziele ist jenseits des realistisch Erwartbaren, zumindest wenn es um nationalstaatlich Essenzielles geht. Der Zug des Chaotischen und rational Unzureichenden ist der Ebene der UN, also auch oder sogar insbesondere der Klimarahmenkonvention UNFCCC, somit unvermeidbar inhärent.
Die eigentliche treibende Kraft der internationalen Klimapolitik liegt in den nationalstaatlichen Innenpolitiken – also bei uns, auf je unserer Ebene. Wir sind mächtig! Dieser Satz ist wichtig. Er ist kein Akt der Selbst-Suggestion, man muss ihn nur richtig verstehen. Er sagt nicht, dass wir allmächtig sind, dass wir das gewünschte oder erforderliche Ergebnis hinzudrehen die Macht hätten. Das nicht. Aber die Besinnung besagt: Es gibt keinen mächtigeren Hebelpunkt als den, an dem wir ansetzen, die nationalstaatliche Innenpolitik. Dass das Klimaanliegen innerhalb derer nur begrenzten Einfluss hat, das ist eben gerade so. Das gilt es zu ändern!
In dem, was wir, die wir Teil der Szene sind, regelmäßig an Realitätsbedingungen gedanklich wegdrücken, kommt etwas Sehnsuchtsvolles zum Ausdruck, und das mit vollem Recht. Präsent ist uns, am Beispiel der Klimapolitik, die Notwendigkeit der Weltinnenpolitik. Gelingende Weltinnenpolitik ist Bedingung der Fortexistenz der Menschheit im Allgemeinen und also auch gelingender Klimapolitik im Besonderen. Diese Einsicht ist jedoch kein Grund dafür, zu überspielen, dass Weltinnenpolitik heute kein real-politisches, sondern nur ein utopisches Politik-Konzept ist. Diese Spannung ist auszuhalten – in beiderlei Richtung.
Einerseits: Das Aufscheinen der Differenz von Soll und Ist in Ergebnissen ist kein legitimer Grund übermäßiger Enttäuschung – sie ist als Normalfall zu erwarten. Wer den Eintritt des Unwahrscheinlichen erwartet, hat eben zu warten – das Wort sagt es bereits.
Andererseits: Eine Form des Überspielens des Utopischen ist, zu versuchen, utopische Konzepte realpolitisch zu verfolgen. Ein Beispiel dafür hat jüngst EU-Kommissar Öttinger geliefert. Er hat sich, Medienberichten zufolge, gerade vom Minus-40-Prozent-Ziel des Gremiums, dem er angehört, der EU-Kommission, distanziert. Er erklärt vielmehr ein „global commitment”, also einen Weltklimavertrag, zur Voraussetzung EU-weiter, also nationalstaatlicher Klimapolitik.
Der Versuchung zu utopischer Politik jedoch ist zu widerstehen. Man muss nüchtern bleiben und Realpolitik machen.
Globale Politik als Real-Politik, als Weltmacht-Politik
Internationale Klimapolitik ist natürlich nicht nur als UNFCCC-Politik vorstellbar. Es gibt noch die realpolitischen Sitten wirklicher Weltmachtpolitik. Auch die sind im Sinne einer globalen Klimapolitik einsetzbar – leider aber auch dagegen.
Zum Wesen der Weltmachtpolitik gehört, extraterritorial wirken zu wollen. Dieser Wille steht in einer gewissen Spannung zu den Grundsätzen der UN, die eine Versammlung der Regierungen von „souveränen“ Territorialstaaten ist, die, so die Definition, auf ihrem Territorium zu herrschen das Recht haben, ohne Intervention von außen. Wirkliche Weltmächte, wie die USA, bedienen sich dieses Politikansatzes dessen ungeachtet virtuos und erfolgreich. Gesetze, die außerhalb des US-Territoriums gelten, sind zum Beispiel die Regeln gegen Geldwäsche oder das FATCA-Gesetz, das ausländische Banken mit Niederlassungen in den USA zwingt, Daten über Auslandskonten von US-Bürgern an die amerikanischen Steuerbehörden zu melden.
Auch das Vorgänger-Regime zur UNFCCC, das UN-Regime zum Schutz der Ozonschicht, ist realpolitisch durchgesetzt worden, in einem Club-Ansatz, mit strikter handelspolitischer Pönalisierung aller Staaten, die sich geweigert hätten mitzumachen – also haben alle mitgemacht. Die Sanktionen, die im Raume standen, mit der Autorität der USA dahinter, waren einfach zu hoch.
Diesen Ansatz hat sich die EU ebenfalls auf die Fahne geschrieben, in ihrem höchst ambitionierten und globalpolitisch innovativen 20-20-20-Paket von 2008 bzw. 2009. Da hat sie vier Doppel-Felder und Politikansätze bestimmt, die extraterritorial wirken. Ein fünfter Ansatz, der weitestgehende, mit Außenschutz durch Steuerausgleich für im Ausland „schmutzig“ hergestellte Güter, hat es nur in die Entwürfe geschafft, nicht in die Endfassung. Da machte sich schon Angst vor der eigenen Courage bemerkbar.
Die Felder waren erstens und zweitens die Vorleistungsemissionen von importierten Kraftstoffen – das richtete sich konkret gegen Kanadas Teersande und Agro-Kraftstoffe aus Quellen von abenteuerlichen Standorten in Südostasien und Südamerika. Und drittens sowie viertens hatte die EU sich die Regulierung der Emissionen vorgenommen, die in Regionen der Erdoberfläche stattfinden, die unter UN-Herrschaft herrenlos sind, auf oder über den Meeren. Die EU griff auf die dortigen Emissionen zu, vorreitend in ihrem Flaggschiffprojekt zu ihrem internationalen Luftverkehr. Der ist für etwa ein Drittel der globalen Luftfahrt-Emissionen verantwortlich, und den bezog sie ein in ihren Emissionshandel. Beginn 2012. Mutig.
Der Mut hat sie aber schon wieder verlassen, als die USA, China, Russland, Indien, Japan u.a. einen Katalog von wirtschaftlichen Gegenmaßnahmen beschlossen, der einen schon das Gruseln lehren kann. Also trat die EU den Rückzug vom Ausflug in einen weltmachtpolitischen Ansatz in ihrer internationalen Klimapolitik an. Sie gibt das Konzept ihrer Klimaaußenpolitik auf. Die Ansätze zur Seeschifffahrt und zur Kraftstoffqualität sind nicht mehr zu halten. Seitdem ist klar: Weltmachtpolitische Ansätze in der Klimapolitik haben sich die USA und China vorbehalten; und die EU hat das akzeptiert. Internationale Klimapolitik, mehr bleibt ihr nicht, hat dann die Form der Einflussnahme auf die Innenpolitiken der USA und Chinas zu haben.
Was bleibt: Global Unkoordiniertes
Die Optionen erdweiter politischer Koordination sind damit weitgehend erschöpfend behandelt – mir fallen nur noch zwei Optionen ein, die es wert wären, dass sie erneut auf den Prüfstand gestellt werden. Da wäre a) Nixons Vorschlag, das Umweltthema nicht der UN zu übergeben, wie es dann mit der Konferenz von Stockholm im Jahre 1972 vollzogen wurde, sondern der NATO. Und b): Der Ansatz der UNFCCC ist allein nachfrageseitig fokussiert. Man könnte komplementär das Angebot fossiler Energieträger, den Ausstieg daraus, zum Gegenstand international koordinierter Politik machen.
Was dann bleibt, ist Unkoordiniertes – auch das ist international möglich. Davon greife ich drei Punkte auf.
Infrastrukturen
Infrastrukturen zeichnet Zweierlei aus. Sie sind längstlebige Investitionsgüter; und sie sind in der Regel komplementär zu Technologien, die Energie verbrauchen. Bei Infrastrukturen herrscht eine fast völlige Unabhängigkeit von (internationalem) Wettbewerbsdruck und Marktpreisen sowie, trotz Globalisierung, regional Freiheit in der Gestaltung. Auch der Irreführung durch z. B. kurzfristige Marktpreise für CO2 kann man hier leicht entkommen: Man kann die Investitionen gemäß CO2-Preisen auslegen, die Schadenskosten entsprechen, also weit über heutigen, lediglich irreführenden Marktpreisen liegen. In Entwicklungsländern, deren Projekte durch Internationale Entwicklungsbanken finanziert werden, haben die finanzierenden Staaten das den Empfängern längst auferlegt. Es liegt nahe, diese kluge Regel auch bei uns anzuwenden – man kann auch von Entwicklungsländern lernen.
Oder nehmen wir unsere Gebäude. Deren Energiebedarf ist qua Gesetz geregelt. Die einschlägige Passage lautet: Jedes Gebäude ist so auszulegen, dass es nicht mehr Energie verbraucht als wirtschaftlich ist – das Nähere regelt eine Verordnung. Unterstellt man nun in der Verordnung, dass die jeweils geltenden Öl- und Gas-Preise über die nächsten Jahrzehnte konstant sind, gar noch nominell, und negiert die CO2-Preise, dann produziert man allein mit dieser Maxime jene Altlast in der energetischen Auslegung der Gebäude, wie wir sie in Deutschland beispielsweise haben – von Großbritannien nicht zu sprechen. Dieser immense Sanierungsbedarf heute ist produziert, er ist nichts anderes als der Effekt einer unprofessionellen Auslegung der Gesetzesforderung über nun 40 Jahre – das wenigstens für die Zukunft zu vermeiden, braucht es nicht viel. Nur Verstand. Und das global.
Technologien
Technologieentwicklung ist ein zentraler Treiber und Hoffnungsträger. Ich denke vom Ende her: Dass wir das Klimaproblem gelöst haben werden, mit Treibhausgasemissionen von Null oder ab 2070 sogar netto-negativ, bei CO2-Preisen um 100 €/t und mehr, durch ein System von Herrschaft, das auf einer Kontrolle der Währung CO2 beruht, die das einigermaßen missbrauchsfrei leistet, kann ich mir nicht vorstellen. Die Herrschaft dann wird nicht besser sein können als die heutige Kontrolle von Finanzflüssen – alles andere ist Illusion. Es wird immer Kleinbauern und mafiöse Strukturen geben, die sich bei solchen Werten einer Herrschaft entziehen.
Eine Lösung sehe ich nur, wenn die klimaschädlichen Optionen auskonkurrenziert werden durch klimafreundliche. Das Drehen dieses Wettbewerbsverhältnisses hat Technologieentwicklung zu leisten. Dieser Anforderung ist mit Technologieentwicklungspolitik in traditioneller Form nur ansatzweise, jedoch nicht wirklich gerecht zu werden. Es bedarf dafür vielmehr eines qualitativen Sprungs. Die Photovoltaik-Entwicklung mittels des deutschen EEG war erstmals ein solcher Sprung. Will man das wiederholen und übertragen, dann muss man sich die Bedingungen dieses Erfolgs näher anschauen. Zu sagen, das war das EEG, reicht nicht. Von den Bedingungen hebe ich vier hervor:
- die Modularität ist entscheidend;
- man muss dazu stehen, dass Entwicklung und Markteinführung interdependent sind – reißt man das nach alter Lehre auseinander, dann ist die Bedingung des Erfolgs zerstört;
- das ist deshalb sehr, sehr aufwändig – das ist aus den Budgets klassischer F&E-Politik nicht zu leisten – insofern steht hier internationaler Koordinationsbedarf dann doch an;
- ohne zumindest temporären Außenschutz im Welthandel, etwa nach dem Patentprinzip, geht das nicht – was mit der deutschen PV-Industrie passiert ist, ist eine Katastrophe für die Akzeptanz solch großskaliger Form der Technologieentwicklung.
Gesellschaftmodell / Suffizienz
Ein Letztes; wahrscheinlich das schwerste. Aber auch das meistversprechende.
Europa hat mit der fossil basierten Industriegesellschaft das Modell einer Gesellschaft geschaffen, das als Vorbild heute global konkurrenzlos ist – ein unglaublicher Erfolg einer „Marke“. Damit ist zugleich ein zentraler Wirkmechanismus der Klimapolitik beschrieben, wenn auch hier im Modus des Negativen, der Klimaschädigung: Es ist der Mechanismus von Vorbild und Abbild, des Drangs des Hineinwachsens der nachfolgenden Eliten – und dann der Massen – in ein Wohlstandsmodell, in die vorgelebten Statussymbole von Reichtum, Erotik und Macht.
Dieser Mechanismus wirkt, unabhängig von der Konkretion der Statussymbole. Also kann man die Energie des Hineinwachsens leicht nutzen, indem man das Bild ändert, dessen Kopie die Menschen vielfältig zu erreichen versuchen. Der Kopf muss sich ändern. Mehr nicht. Dafür sagen wir am Wuppertal Institut Suffizienz.
Dr. Hans-Jochen Luhmann ist Senior Expert am Wuppertal Institut. Der Beitrag ist ein leicht angepasster Auszug aus seinem Vortrag beim KLIMA.FORUM NRW „Ohne Grenzen: Effektive Klimapolitik von Essen bis Brüssel“ am 30. Januar 2014 in der Düsseldorfer Turbinenhalle. Zuletzt schrieb er in factory über eine Biografie der Umweltpionierin Rachel Carson.
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