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  • Titelbild des Faktenchecks zeigt Flaggen vor EU-Parlament
    Der Faktencheck der Umwelt- und Entwicklungsorganisationen entkräftet die Befürchtungen der Wirtschaft zur EU-Entwaldungsrichtlinie (EUDR). Quelle: WWF & Co.

EU-Verordnung für entwaldungsfreie Produkte: Verschiebung ohne Mehrwert für Wirtschaft

Bestehende Wälder und besonders Tropenwälder sind wichtige CO2-Senken, aber durch Entwaldung massiv bedroht. Eigentlich sollen Unternehmen in der EU ab 2025 nachweisen, dass ihre Produkte nicht zur Entwaldung beitragen. Bundesagrarminister Özdemir fordert wiederholt die Verschiebung. Dabei wäre die Umsetzung ein Gewinn für das nachhaltige Wirtschaften, Klima- und Umweltschutz – und könnte weltweit als Vorbild wirken.

Nach langen Debatten hatte sich die Europäische Union Ende 2022 auf ein Gesetz gegen die Entwaldung für die Produktion bestimmter Waren wie Soja über Palmöl bis Kakao geeinigt. Es ist weltweit das erste Gesetz dieser Art und dürfte Signalwirkung haben. Denn Regierungen sind nach globalen Abkommen wie Kunming-Montreal und Paris Klima- und Naturschutzziele ohnehin in der Pflicht, diese mit wirksamen Maßnahmen zu erreichen.

Zumindest in Europa könnte sich damit erstmals eine entwaldungsfreie Lieferkette durchsetzen – neben dem EU-Lieferkettengesetz, das die Menschenrechte und Umweltschutz grundsätzlich einfordert, von konservativen Wirtschaftsinteressen aber ebenso in Frage gestellt wird und dessen Geltungsbereich im März 2024 um 70 Prozent beschränkt wurde.

Dabei hat die EU-Wirtschaft keine geringe Verantwortung für die globalen Waldverluste: Der EU-Import von Soja, Rindfleisch, Palmöl, Holz, Kaffee und Kakao führte 2022 zu 16 Prozent der globalen Tropenwaldabholzung. Platz Zwei nach China (24 Prozent) vor Indien (9 Prozent) und den USA (7 Prozent). Und weil der EU-Markt so groß ist, dürften auch die Lieferländer Interesse am ökologischen Wandel haben, siehe das Beispiel Bolivien, wo der ökonomische Druck zur Entwaldung groß ist, naturerhaltende Anbaumethoden jedoch nicht honoriert werden.

 

Faktencheck contra vermeintlicher Wirtschaftsinteressen

Trotzdem fordert Bundesagrarminister Cem Özdemir erneut eine Verschiebung des Anwendungsstarts der "EU-Verordnung für entwaldungsfreie Produkte (EUDR)". Das irritiert ebenfalls erneut die umweltpolitischen Naturschutzorganisationen. Trotz der bestehenden Vereinbarung, die Verordnung ab dem 30. Dezember 2024 anzuwenden, drängt Özdemir auf eine Verschiebung auf Juli 2025.

Seine Begründung: Fehlende Einstufungen Deutschlands als Land mit geringem Entwaldungsrisiko und unzureichende Umsetzungselemente vor Ort. Doch gerade diese Argumentation trifft bei Umweltverbänden und NGOs wie dem WWF, Germanwatch und OroVerde auf scharfe Kritik.

In einem Statement des WWF äußerte sich Thorsten Steuerwald, Wald-Campaigner der Organisation, deutlich: „Es ist ein fatales Zeichen, dass Minister Özdemir einen weiteren Aufschub fordert. Entwaldungsfreie Lieferketten sind ein zentraler Baustein im Kampf gegen die importierte Naturzerstörung, die zur Beschleunigung des Klimawandels und des Artensterbens beiträgt." Laut Steuerwald sei die Verordnung, die seit eineinhalb Jahren existiert, ein Schlüsselelement des Green Deals und der EU-Biodiversitätsstrategie.

Zudem stellte ein breites Bündnis von NGOs, darunter der WWF und die Deutsche Umwelthilfe, in einem umfangreichen Faktencheck klar, dass die EUDR keine übermäßige bürokratische Belastung darstelle. Vor allem kleine Waldbesitzer seien nicht von den höheren Auflagen betroffen, und die technischen Anforderungen seien bereits weitgehend erfüllt. Der WWF warnt: Jeder weitere Aufschub bedeute unaufhaltsame Waldverluste und verheerende Konsequenzen für das globale Klima.

 

Warum Özdemir eine Verschiebung fordert

Hinter Özdemirs Vorstoß dürften verschiedene Motive stehen. Einerseits versucht die deutsche Regierung, den landwirtschaftlichen Akteuren mehr Zeit für die Implementierung der Verordnung zu geben. Die Bauernproteste vom Winter 2023/2024 haben bereits Wirkung gezeigt. Özdemir will zudem im Frühjahr 2026 als Ministerpräsident in Baden-Württemberg kandidieren. Die Bundestagswahl wird am 28. September 2025 stattfinden – falls nicht vorher Neuwahlen erforderlich sein sollten.

Vor allem Wirtschaftsvertreter*innen argumentieren, dass die Einstufung Deutschlands als Niedrigrisikostandort noch nicht abgeschlossen sei und Unsicherheiten bei der Umsetzung bestünden. Die NGOs halten das für ein schwaches Argument, da viele Unternehmen sich bereits intensiv auf die Verordnung vorbereitet hätten und Rechtssicherheit erwarteten.

 

EUDR: Vorteile für Klima, Biodiversität und Wirtschaft

Die Vorteile für Wirtschaft, Klima und Biodiversität sind dabei offensichtlich: Die EUDR ist ein zentrales Instrument zur Bekämpfung der globalen Entwaldung, die für rund 90 Prozent der landwirtschaftlichen Flächenausdehnungen verantwortlich ist. Alle 90 Sekunden verschwindet laut WWF allein für EU-Importe wie Soja, Palmöl oder Kautschuk eine Waldfläche der Größe eines Fußballfeldes.

Die Umsetzung der EUDR könnte einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten, indem sie jährlich etwa 14 Prozent der menschengemachten CO₂-Emissionen vermeidet. Zusätzlich sichert die Verordnung die globale Biodiversität, indem sie Lebensräume schützt und zur Stabilisierung von Ökosystemen beiträgt.

Unternehmen, die sich bereits darauf vorbereitet haben, profitieren von stabileren, fairen Lieferketten und klaren internationalen Standards. Schließlich ist es das, was man erreichen will, wenn man Standards in Richtung Nachhaltiges Wirtschaften setzt. 

 

EUDR-Umsetzung in Stufen

Noch einmal zusammengefasst: In Kraft getreten ist die EU-Verordnung 2023/1115 zur Bekämpfung von Entwaldung und Waldschädigung (EU Deforestation Regulation, EUDR) bereits am 29. Juni 2023. Sie ersetzt die EU Holzhandelsverordnung EU 995/2010 und beinhaltet Vorschriften für Erzeuger und Händler von Holz-, Kautschuk-, Rinder-, Kaffee-, Kakao-, Palmöl- und Soja-Produkten.

Als Kern der Regelungen müssen laut einem Briefing Papier des Deutschen Rechnungslegungs Standards Committee e.V. (DRSC) Erzeuger und Händler sicherstellen, dass (1) Rohstoffe und Erzeugnisse der genannten Produktgruppen entwaldungsfrei sind, (2) diese gemäß den einschlägigen Rechtsvorschriften des Erzeugerlandes erzeugt wurden und (3) eine sogenannte Sorgfaltserklärung vorliegt, die die Punkte (1) und (2) dokumentiert.

Die Anforderungen an die Sammlung und Prüfung von Informationen bezeichnet die DSRC als hoch; so muss unter anderem sichergestellt werden, dass die Rohstoffe bzw. Erzeugnisse eines Marktteilnehmers bis zum Grundstück der Erzeugung zurückverfolgt werden können.

Die Pflichten der Verordnung gelten dabei unabhängig von Menge und Wert der Rohstoffe bzw. Erzeugnisse. Kommen Marktteilnehmer ihren Pflichten nicht nach, drohen Sanktionen mit einem Höchstbetrag von mindestens vier Prozent des unionsweiten jährlichen Gesamtumsatzes des Unternehmens.

Die erstmalige Anwendung für große und mittlere Unternehmen und Händler ist 18 Monate nach Inkrafttreten der Verordnung (am 30. Dezember 2024) vorgesehen. Kleinst- und Kleinunternehmen müssen die Vorgaben der EUDR ab dem 30. Juni 2025 beachten.

Gegenwärtig enthält die Verordnung keine gesonderten Regelungen für Finanzinstitute. Im Rahmen einer Folgenabschätzung der EUDR soll allerdings spätestens zum 30. Juni 2025 geprüft werden, “ob Finanzinstitute eine Rolle dabei spielen können, Finanzströme zu unter- binden, die zu Entwaldung und Waldschädigung beitragen”. Weiterhin soll dann geprüft werden, die Verordnung auf weitere Ökosysteme und Erzeugnisse bzw. Rohstoffe auszuweiten.

Die mangelnde Geltung der EUDR für die Finanzindustrie hatten NGOs seit Beginn der Debatte eingefordert, denn noch immer investieren Banken und Investoren in die entwaldungsintensive Industrie. Nach einem Jahr Praxis der Verordnung dürfte sich das kaum geändert haben.

Mehr zur Notwendigkeit eines anderen Umgangs mit Stoffen aus der Natur im factory-Magazin Ressourcen – und im kommenden Magazin Kapital zeigen wir, wie das auch mit der Umlenkung der Finanzströme gelingen kann. Das Thema Divestment ist jedenfalls nicht neu, aber für den Wandel fehlt es an entsprechenden ordnungspolitischen Setzungen.

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