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  • Beim Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza 2013 wurden 1135 Menschen getötet und 2438 verletzt. Seitdem ist die Aufmerksamkeit für die Bedingungen der globale Lieferkette gewachsen.

Lieferkettengesetz: Unternehmen müssen ihre globale Produktion sozial und menschengerecht gestalten

Seit vielen Jahren sind die Arbeits- und Umweltbedingungen in der globalen Lieferketten der Kritik. Nach spektakulären Unfällen und Skandalen setzte die Regierung zunächst auf freiwillige Selbstverpflichtungen. In zwei Befragungsrunden sollte eine Auswahl von Unternehmen zeigen, wie sie Menschenrechte und soziale Mindeststandards in der Produktion einhält. Weil nur wenige Unternehmen ihren Sorgfaltspflichten nachkommen, soll sie ein bis 2021 zu schaffendes Lieferkettengesetz zur Einhaltung verpflichten.

Er nennt sich Nationaler Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte. Seine Umsetzung ist Teil des Koalitionsvertrags zwischen den Regierungsparteien. Der Plan soll dafür sorgen, dass Unternehmen, die im Ausland produzieren oder produzieren lassen, Verantwortung für die sozialen und ökologischen Bedingungen ihrer gesamten Wertschöpfung übernehmen. So dass die arbeitenden Menschen in dieser Kette geschützt sind vor Gefahren durch Ausbeutung und Arbeit, gerecht bezahlt werden und ökologische Standards eingehalten werden. Gerade in der Lieferkette der Textilindustrie hatte es zu viele Vorfälle mit tausenden Toten und Verletzten gegeben.

Im interministeriellen Ausschuss der Bundesregierung wurden heute die Ergebnisse dazu vorgestellt. In einem seit Jahren dauernden Prozess ging es zunächst um freiwillige Leistungen, aber bitte mit Nachweis. 7.300 größere deutsche Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden sollten zeigen, wie sie Menschenrechte und soziale Mindeststandards in ihren Wertschöpfungsketten sicherstellen. Nach einer ersten Fragerunde war das Ergebnis schon so dürftig, dass eine zweite Runde angesetzt wurde, in der die Standards in Absprache mit der Industrie noch einmal abgeschwächt wurden.

Weniger als 20 Prozent achten Standards

Doch auch von den rund 2.250 in der zweiten Fragerunde befragten Unternehmen meldeten nur 455 Unternehmen gültige Antworten zurück, berichten das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Das Ergebnis zeige, dass deutlich weniger als 50 Prozent ihrer unternehmerischen Sorgfaltspflicht nachkommen. Die Gruppe der „Erfüller“ habe sich im Vergleich zur Unternehmensbefragung 2019 in ihrer Größenordnung nicht maßgeblich verändert. Damit werde die nötige Quote zur Erfüllung klar verfehlt.

„Die Ergebnisse der zweiten Unternehmensbefragung sind erneut enttäuschend", stellt Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller fest. "Zur Verwirklichung von Menschenrechtsstandards, die entlang der Lieferketten Kinderarbeit ausschließen und grundlegende ökologische und soziale Mindeststandards sichern, brauchen wir jetzt einen gesetzlichen Rahmen, so wie im Koalitionsvertrag festgelegt."

Die Wirtschaft sei wieder eingeladen, sich offen und konstruktiv in den Prozess einzubringen. Fairer Handel in globalen Lieferketten sei der wichtigste Schlüssel für Entwicklung, die Schaffung von Arbeitsplätzen und den Schutz der Umwelt in den Entwicklungsländern. "Die Ausbeutung von Mensch und Natur sowie Kinderarbeit darf nicht zur Grundlage einer globalen Wirtschaft und unseres Wohlstandes werden. Das wäre ein Bumerang, der auf uns zurückschlägt. Unser öko-soziales Wirtschaftsmodell kann Vorbild für eine globale Wirtschaft sein.“

Lieferkettengesetz soll Sicherheit schaffen

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil monierte, dass Freiwilligkeit offenbar nicht ausreiche: "Wir brauchen ein nationales Gesetz, um auch für fairen Wettbewerb zu sorgen. Das Lieferkettengesetz wird nur verlangen, was machbar und verhältnismäßig ist. Und es schafft Rechts- und Handlungssicherheit für die Unternehmen.“

Den Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) hatte die Bundesregierung im Dezember 2016 verabschiedet. Dieser setzt die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte in Deutschland um. Die Bundesregierung hat zunächst auf das freiwillige Engagement der Unternehmen gesetzt, zugleich aber dessen Erfolg evaluiert.

In der ersten Runde des Monitorings hatten – nach zweimaliger Verlängerung und Ausweitung der Stichprobe – nur 465 von 3.300 angeschriebenen Unternehmen den Fragebogen ausgefüllt. Davon hatten nur rund 18 Prozent die Vorgaben erfüllt. Die zweite Befragungsrunde bestätigt nun diese Ergebnisse. Deswegen greift jetzt der Koalitionsvertrag. Dort heißt es: „Falls die wirksame und umfassende Überprüfung des NAP 2020 zu dem Ergebnis kommt, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreicht, werden wir national gesetzlich tätig und uns für eine EU-weite Regelung einsetzen.“

Eine gesetzliche Regelung erhält breite Unterstützung aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft. So fordern über 100 zivilgesellschaftliche Organisationen seit Jahren ein Gesetz. In einer Petition folgten dem 200.000 Bürger*innen. Immerhin mehr als 60 renommierte Unternehmen treten ebenfalls für ein Lieferketten-Gesetz, unter ihnen bekannte Marken wie Tchibo, REWE, Nestlé, Alfred Ritter (Ritter Sport).

"Erfüller" zeigen, dass es geht und sie dennoch wettbewerbsfähig sind

Der Rat für nachhaltige Entwicklung empfiehlt der Bundesregierung eine Vorreiterrolle Deutschlands bei der europäischen Gesetzgebung einzunehmen: Sie sollte dazu Eckpunkte für eine Lieferkettengesetzgebung in Deutschland verabschieden.

Die Bundesregierung setzt sich zudem im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft für einen EU-Aktionsplan zur Stärkung der Unternehmensverantwortung in globalen Lieferketten ein, der menschenrechtliche, soziale und ökologische Standards und Transparenz fördert und den Erfahrungen der COVID-19-Pandemie Rechnung trägt.

Die EU-Kommission plant darüber hinaus eine Gesetzesinitiative für 2021. Ein nationales Umsetzungsgesetz wird Deutschland dann in jedem Fall brauchen.

Das CorA-Netzwerk, das sich seit Jahren für ein globales Lieferkettengesetz einsetzt, weist noch einmal darauf hin, dass dieses vor allem auch geschlechtergerecht sein müsse. Denn in globalen Wertschöpfungsketten seien Frauen vielfach benachteiligt und größeren Risiken ausgesetzt als Männer. Die Bandbreite reiche von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz über Arbeitsbedingungen, die keine Rücksicht auf die Sorgearbeit von Frauen nehmen bis hin zu ungleicher Bezahlung. 

Geschlechtergerechtigkeit und Umweltschutz integrieren

„Das Lieferkettengesetz sollte klarstellen, dass Unternehmen die in der UN-Frauenrechtskonvention genannten Rechte achten. Es sollte Unternehmen dazu verpflichten, bei ihren Risiko- und Folgeabschätzungen geschlechtsspezifisch vorzugehen, auf familienfreundliche Arbeitsbedingungen, Entgeltgleichheit und existenzsichernde Löhne bei ihren Geschäftspartner*innen hinzuwirken und soziale Sicherungssysteme anzubieten. Die Unternehmen sollten all ihre Geschäftspartner*innen zu einer Null-Toleranz gegenüber Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz verpflichten,“ fordert Karolin Seitz, Leiterin des Programmbereichs Wirtschaft und Menschenrechte des Global Policy Forums.

Die Umweltverbände BUND, DUH und Greenpeace setzen sich im Rahmen der zivilgesellschaftlichen Initiative Lieferkettengesetz mit den mittlerweile mehr als hundert unterstützenden Organisationen dafür ein, dass auch Umweltaspekte bei einem Lieferkettengesetz Berücksichtigung finden müssen. Ein vom BUND beauftragtes Rechtsgutachten untermauert das Vorhaben der Verbände und zeigt, dass auch Umweltaspekte mit in ein Lieferkettengesetzt gehören. Morgen, am Mittwoch, 15. Juli 2020, wollen die Organisationen die Ergebnisse der Studie vorstellen.

Das nationale Lieferkettengesetz und ein eventuell entstehendes europäisches könnten Vorreiter einer globalen Vereinbarung werden, dem so genannten UN Binding Treaty on Business and Human Rights. Das kommt nur schleppend voran, würde aber für die fortgesetzte Ausbeutung von Menschen und Umwelt von wesentlicher Bedeutung sein.

Mehr zu Menschenrechte und Handeln im gleichnamigen factory-Magazin Handeln und im Themenbereich online. Zum Thema Geschlechtergerechtigkeit empfehlen wir das factory-Magazin /-in und den Themenbereich Gender.

Bild: Flickr.com, "IMG_6591" by greensefa is licensed under CC BY 2.

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