Für die Politik wird es eng. Die Menschen wollen nicht so, wie ihre Vertreter*innen. Letztere möchten die Handelsabkommen unbedingt durchsetzen, ihre Wähler*innen lehnen sie ab. Im Oktober gingen 250.000 Menschen in Berlin auf die Straße gegen die geplanten Freihandels- und Dienstleistungsabkommen der EU mit Kanada (CETA) und USA (TTIP) und vor kurzem konnten Initiativen knapp 3,3 Millionen europaweit gesammelte Unterschriften gegen das TTIP-Abkommen an den Präsidenten des EU-Parlaments Martin Schulze übergeben.
Neben den Protesten in Europa macht sich die Ablehnung nun auch in den Bundesländern bemerkbar. Das zeigt eine erste Umfrage in Bayern von TNS Emnid im Auftrag der Bürgerbewegung Campact. Demnach erwartet eine "absolute Mehrheit" von 51 Prozent, dass ihre Landesregierung im Bundesrat gegen das Abkommen stimmt. Selbst die Anhänger der CSU fordern mit einer relativen Mehrheit von 41 Prozent die Ablehnung von TTIP. Nur 33 Prozent der CSU-Anhänger befürworten eine Zustimmung im Bundesrat, 19 Prozent votierten für eine Enthaltung.
In einer zweiten Frage wurde die Einstellung zum Freihandelsabkommen TTIP abgefragt. 55 Prozent der Befragten hielten TTIP für eine "schlechte Sache für Deutschland", nur ein Viertel für eine gute Sache. In abgeschwächter Form bestätigt sich diese Meinung auch unter den CSU-Anhängern: Eine relative Mehrheit (45 Prozent) hält TTIP für eine "schlechte Sache", nur 42 Prozent für gut für Deutschland.
Michael Stanglmaier von Campact interpretiert die Ergebnisse so: "Die Bürger wissen, dass TTIP und sein Vorläufer CETA große Risiken für Landwirtschaft, mittelständische Betriebe und die kommunale Selbstverwaltung bergen." Die Ergebnisse seien ein klarer Auftrag an Ministerpräsident Horst Seehofer: Er müsse jetzt seinen pro-TTIP Kurs korrigieren.
Links und gebildet statt reich und hysterisch
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, ebenfalls Befürworter der Abkommen, sieht sich zunehmend von den TTIP-Gegnern bedrängt. Sie verbreiteten „eine Kultur des Misstrauens“, hieß es in Gabriels Rede beim SPD-Parteikonvent. In einem Interview warf er ihnen „Antiaufklärung“ vor, so die taz. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos hatte er sie als "reich und hysterisch" bezeichnet. Vor der Demo in Berlin hatte Gabriel noch Anzeigen zum Dialog über TTIP geschaltet, das Angebot zur öffentlichen Diskussion von Campact schlug er aber aus – schriftlich wolle er sich auseinandersetzen.
Ob "reich und hysterisch" passt? Sie sind gebildet und stehen politisch links, sie sind nicht mehr die Jüngsten und protesterfahren und sie sehen durch TTIP und CETA vor allem Demokratie und staatlichen Einfluss auf wirtschaftliches Handeln gefährdet. Das ist zumindest das Ergebnis einer Umfrage unter den Protestierenden in Berlin, die das Berliner Institut für Protest- und Bewegungsforschung in Kooperation mit dem Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik (SOCIUM) der Universität Bremen am 10. Oktober durchgeführt hat.
Demnach werden TTIP und CETA von den Demonstrierenden als Ausdruck der Macht der Konzerne und als Gefährdung der Demokratie interpretiert. Es sind also nicht die in der Medienberichterstattung prominenten Themen der Sozial- oder Verbraucherschutzstandards – etwa das Bild des Chlorhühnchens –, die die Menschen mobilisiert haben in Berlin zu demonstrieren. Vielmehr befürchten die Protestierenden grundsätzlich, dass TTIP und CETA eine Gefahr für die Demokratie und die staatliche Kontrolle ökonomischer Akteure sind.
Eine von den Medien nahegelegte Überschneidung zwischen den TTIP-Demonstration und den Ressentiment geladenen Demonstrationen wie Pegida zeigen die Befragungsergebnisse nicht. Zwar waren einzelne Plakate mit diesem Tenor auf der Demonstration nicht übersehbar. Aber unter den Befragten gibt es trotz deutlicher Kritik kein geschlossenes Feindbild von etablierten Medien und Regierenden. Im Vergleich mit anderen Demonstrationen sind es wenige (knapp ein Drittel), die denken, dass das politische System in der Bundesrepublik nicht funktioniert. Das Vertrauen in politische Institutionen und Medien ist vergleichsweise hoch und es geht mit einer relativ positiven Einschätzung der persönlichen Einflussmöglichkeiten auf das Handeln der Regierung einher.
Ein Großteil der TTIP-Demonstrierenden positioniert sich politisch eindeutig links. Linke und Grüne hätten unter den Demonstrierenden eine komfortable absolute Mehrheit. Nur die wenigsten würden für eine Partei stimmen, die sich für die Fortführung der TTIP-Verhandlungen ausgesprochen hat. Nur ein sehr geringer Anteil ordnet sich politisch rechts ein und hat an Pegida-Demonstrationen teilgenommen.
Korrekturvorschläge und wenig Wachstum
Unterdessen hat die EU ihre Vorschläge zur Reform des Investitionsschutzes im Handelsvertrag TTIP offiziell an die USA übermittelt. Sie konkretisieren das System der neuen Investitionsgerichte, welches die Kommission Mitte September der Öffentlichkeit vorgestellt hatte. Investitionsgerichte sollen die gängigen und umstrittenen Schiedsgerichte ablösen. Dennoch entsteht mit ihnen ein öffentlich nicht kontrolllierbares Gerichtssystem parallel zum bestehenden.
Vor kurzem hatten sich nach grünen Unternehmensverbänden auch Mitglieder des deutschen Nachhaltigkeitsrats dafür ausgesprochen, die Nachhaltigkeit in die Handelsverträge zu integrieren. Schließlich wäre eine Anwendung strenger ökologischer und sozialer Kriterien auf den Handel zwischen den beiden Wirtschaftsblöcken der Beginn einer nachhaltigen Weltwirtschaftsordnung. Doch mehr als unverbindliche Absichtserklärungen, die nachhaltige Entwicklung zu fördern, scheint im jetzt veröffentlichten Vorschlag eines Nachhaltigkeitskapitels der EU-Kommission nicht enthalten zu sein.
Die investigativen Crowdjournalisten von Correctiv fanden heraus, dass die ungarische Regierung eine Studie unter Verschluss hält, die nur 0,2 Prozent Wirtschaftswachstum für TTIP voraussagt. Der Anbau von Mais und Wein würde sich nicht mehr lohnen, ebensowenig der Betrieb eigener Schlachthöfe. Wachstum sieht die Studie nur für die europäischen Automobilproduzenten wie Opel, BMW oder Audi. Mercedes Benz, bzw. die Daimler AG, geht sogar vor Gericht gegen TTIP-Gegner. Die hatten vor rund einem Jahr Flugblätter auf einem öffentlich zugänglichen Parkplatz des Konzerns in Berlin zu dem europäischen Aktionstag gegen TTIP verteilt – der Konzern erstellte Strafanzeige, wie erst jetzt zum Prozessbeginn bekannt wurde.
Quellen: Campact, Rheinische Post, IDW-Online, taz, Labournet