Mit dem jüngsten sechsten Bericht des Weltklimarats (IPCC) und dem Krieg in der Ukraine wurde es wieder deutlich: Ohne eine Veränderung der Agrarproduktion lässt sich eine Begrenzung der Erderhitzung nicht erreichen – und ebensowenig lassen sich Konflikte um Ressourcen und Abhängigkeiten vermeiden. "Was wir auf Äckern und in Wäldern machen, trägt weltweit heftige 20 Prozent zum Ausstoß von Treibhausgasen bei", sagte Alexander Popp, Leiter des Kapitels zu Landnutzung im IPCC-Bericht bei seiner Vorstellung. "Wenn wir etwa die Viehhaltung verringern, Wälder schützen und aufforsten, Moore erhalten und wieder vernässen, dann senkt das den Ausstoß von Treibhausgasen. Mehr noch: Böden und Pflanzen können sogar CO2 wieder aus der Atmosphäre herausholen."
Dass der Schutz der Ökosysteme, Wiederaufforstung und nachhaltige Landwirtschaft essentiell sind, um die gefährlich hohen Treibhausgaswerte zu senken, erkennt auch die Politik an – handelt jedoch nicht danach. Zwar bergen optimierte Anbaumethoden und CO2-Speicherung durch Aufforstung laut IPCC-Bericht auch große Potenziale, sie sind aber wesentlich kostenintensiver, als Produktions- und Verhaltensänderungen bei Fleisch und Milchprodukten.
Eine neue Studie der Universität Bonn zeigt, dass deswegen wiederum besonders die Industrieländer in der Pflicht sind. "Damit die Erde uns auch in Zukunft ernähren kann, müssen die Industrienationen den Verzehr von Fleisch deutlich reduzieren – im Idealfall um mindestens 75 Prozent", heißt es in einer Meldung dazu. Die Studie wertet den aktuellen Stand der Forschung zu verschiedenen Aspekten des Fleischkonsums aus. Dazu zählen neben den Auswirkungen auf Umwelt und Klima auch Gesundheits- und wirtschaftliche Effekte. Ein Fazit der Forscher: In geringen Mengen Fleisch zu essen, kann durchaus nachhaltig sein. Die Ergebnisse erscheinen in der Zeitschrift Annual Review of Resource Economics, aus der auch die obigen Grafiken stammen.
Der unsichtbare Preis
In den Ländern des Nordens und Westens ist der Fleischverzehr pro Kopf besonders hoch. So in der EU jede Bürger*in rund 80 Kilogramm Fleisch pro Jahr zu sich. Im umkämpften Warenpreis sind die externen ökologischen Kosten nicht enthalten – doch die Nutztierhaltung schädigt massiv Klima und Umwelt, durch hohen Flächenverbrauch und Treibhausgasemissionen.
Beispielsweise erzeugen Wiederkäuer Methan, das die Erderwärmung beschleunigt. Tiere setzen zudem nur einen Teil der verfütterten Kalorien in Fleisch um. Um dieselbe Zahl an Menschen zu ernähren, braucht man bei Fleisch daher entsprechend mehr Fläche. Das geht zu Lasten der Ökosysteme, da weniger Raum für den natürlichen Artenschutz bleibt. Wer zu viel Fleisch isst, lebt zudem gefährlich – Fleisch in Übermengen ist nicht gesund und kann chronische Krankheiten begünstigen.
Es gibt also gute Argumente, den Konsum tierischer Lebensmittel stark einzuschränken. „Würden alle Menschen so viel Fleisch verzehren wie die Europäer oder die Nordamerikaner, würden wir die Klimaziele weit verfehlen, und viele Ökosysteme würden kollabieren“, erklärt Studienautor Prof. Dr. Matin Qaim vom Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn.
„Wir müssen unseren Konsum daher deutlich senken, idealerweise auf 20 Kilogramm oder weniger jährlich. Der Krieg in der Ukraine und die dadurch entstehenden Engpässe für Getreide auf dem Weltmarkt zeigen zudem sehr deutlich, dass weniger Getreide an Tiere verfüttert werden sollte, um die globale Ernährung sicherzustellen.“ Derzeit wandere rund die Hälfte der weltweiten Getreideproduktion in den Futtertrog.
Massen-Vegetarismus ist nicht die beste Lösung
Dabei muss mensch nicht vollkommen auf Fleisch verzichten. Das Plädoyer für einen vollkommenen Verzicht auf Fleisch, sich also ausschließlich vegetarisch oder vegan zu ernähren, ist zwar für viele Menschen eine konsequente Lösung. Doch ein ohnehin unwahrscheinliches vollständiges Umschwenken auf pflanzliche Ernährung wäre laut Studie sogar falsch.
Denn es gibt viele Regionen, in denen sich keine pflanzlichen Lebensmittel anbauen lassen. „Wir können uns nicht von Gras ernähren, Wiederkäuer aber sehr wohl“, verdeutlicht Qaims Kollege und Koautor Dr. Martin Parlasca. „Wenn sich Grasland nicht anders nutzen lässt, ist es daher durchaus sinnvoll, darauf Vieh zu halten.“ Gegen eine schonende Weidehaltung mit nicht zu vielen Tieren sei auch aus Umweltsicht wenig einzuwenden.
Und gerade in ärmeren Regionen fehlt es zudem an pflanzlichen Quellen für hochwertige Proteine und Mikronährstoffe. So lassen sich Gemüse und Hülsenfrüchte nicht überall anbauen und zudem nur zu bestimmten Zeiten ernten. „In solchen Fällen sind Tiere oft ein zentrales Element für eine gesunde Ernährung“, betont Parlasca. „Für viele Menschen sind sie außerdem eine wichtige Einnahmequelle. Wenn die Einkünfte aus Milch, Eiern oder auch Fleisch wegfallen, kann das für sie existenzbedrohend sein.“
Ohnehin seien nicht die ärmeren Länder das Problem, verdeutlichen die Autoren. Bei ihren Bewohnern steht Fleisch meist viel seltener auf dem Speiseplan als in den Industrienationen. Vor allem die reichen Länder müssen daher den Fleischkonsum reduzieren.
Steuer auf Fleischprodukte sinnvoll
Doch im Moment ist davon wenig zu spüren. Zwar gibt es mehr Vegetarier als früher, der Fleischkonsum sinkt europaweit gesehen aber nicht. Am höchsten ist er jedoch in Nordamerika und Australien. Professor Qaim hält es für wichtig, auch über höhere Steuern auf tierische Lebensmittel nachzudenken. „Das ist sicher unpopulär, zumal es mit einem zehn- oder zwanzigprozentigen Aufschlag wahrscheinlich nicht getan wäre, falls er eine Lenkungswirkung entfalten soll“, sagt er. „Fleisch verursacht jedoch hohe Umweltkosten, die sich in den aktuellen Preisen nicht widerspiegeln. Es wäre durchaus sinnvoll und gerecht, die Konsumentinnen und Konsumenten stärker an diesen Kosten zu beteiligen.“
Erst vor kurzem hatte das Umweltbundesamt für eine Mehrwertsteuersenkung zur Förderung pflanzlicher Produkte plädiert. Wie im factory-Magazin Steuern gezeigt, ließe sich auch durch die Einführung von Ressourcensteuern, die Naturentnahme und -verbrauch in Wert setzen, die Kosten für ebensolche erhöhen – und damit die ökologische Produktion attraktiver machen. Einrichten müsste dies aber die Politik,
Mehr Bildung für Nachhaltige Entwicklung insgesamt könnte auch die Sensibilität zumindest bei den Nachwachsenden erhöhen, so dass von diesen vielleicht sogar mehr Druck auf die Älteren ausgehen könnte. So fordern die Autoren fordern, das Thema „nachhaltiger Konsum“ verstärkt in die schulischen Curricula zu integrieren.
Auch in der Ausbildung zukünftiger Lehrkräfte müssten diese Inhalte besser berücksichtigt werden. „Wir müssen sensibler für die globalen Auswirkungen unserer Entscheidungen werden“, betont Qaim, der auch Mitglied im Exzellenzcluster PhenoRob sowie (wie sein Kollege Martin Parlasca) im Transdisziplinären Forschungsbereich „Sustainable Futures“ der Universität Bonn ist. „Das gilt nicht nur beim Essen, sondern auch für das T-Shirt, das wir beim Discounter kaufen, um es einen einzigen Abend auf einer Party zu tragen.“
Dass eine mehr pflanzenbasierte Landwirtschaft auch Auswirkungen auf den Erhalt der Artenvielfalt hat, ist klar: So ließe sich die enorme Entwaldung zum Beispiel im Amazonas und im angrenzenden Cerrado für die Futtermittel- und Fleischproduktion aufhalten. Wie wichtig die Biodiversität für den Erhalt der Lebensgrundlagen und der Wirtschaft ist, lässt sich im factory-Magazin Vielfalt nachlesen. Und das factory-Magazin Steuern thematisiert, wie entsprechende Änderungen nur mit Steuern gelingen können.