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  • Ein Kiebitz mit seinen Jungen. Wahrscheinlichkeit ihn zu sehen oder zu hören gesunken auf 30 Prozent. Bild: NABU, Thorsten Krüger.
  • Ein Natura-2000-Schutzgebiet wird zu Ackerland umgebrochen. Häufigkeit gestiegen auf 70 Prozent. Bild: NABU, Gerd Ostermann.

Naturzustand verschlechtert sich weiter

Der Bericht "Die Lage der Natur in Deutschland" zeigt, dass die Lage dramatischer als erwartet ist. Zwei Drittel der geschützten Arten und Lebensräume sind akut gefährdet, die Vielfalt nimmt weiter ab.

Agrarsubventionen macht der Naturschutzbund Deutschland (NABU) als Hauptursache für den schlechten Zustand aus, unzureichende Schutzbestimmungen und die klamme Situation bei Personal und Finanzen in den Naturschutzverwaltungen kommen dazu. Der neue Bericht zum Zustand der Natur in Deutschland sieht düster aus und gilt den Naturschützern als Alarmsignal. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks stellte den Bericht am heutigen Mittwoch vor. Er wird alle sechs Jahre von den EU-Mitgliedsstaaten aufgelegt, bis 2015 soll daraus ein gemeinsamer EU-Bericht mögliche neue Schutzmaßnahmen einleiten.

Die Bundesrepublik wird darin kein Vorbild sein, denn der deutschen Natur geht es schlecht. Zwar haben Arten wie Wildkatzen, Wölfe, Biber und Eidechsen an Zahl gewonnen, auch einige Lebensräume gelten als besser geschützt. Doch das Gesamtbild entwickelt sich negativ: Überall dort, wo die zunehmende Industrialisierung der Landwirtschaft das Artensterben verursacht, wird der Schutz seltener Tiere und ihrer Lebensräume immer schwieriger, sagte Hubert Weiger, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).

In den Agrarregionen ist der Anteil artenreicher Biotope an der Fläche auf nahezu ein Zehntel geschrumpft, sogar in Schutzgebieten wird streng geschütztes Grünland vermehrt umgepflügt, heißt es im Bericht. Zu den Ursachen des Artensterbens gehört auch die Überdüngung von Böden und Gewässern. Nährstoffeinträge aus der Massentierhaltung gefährdeten sensible Biotope wie beispielsweise Moore und belasten Nord- und Ostsee erheblich. Vor allem Wildbienen und Amphibien sind Opfer des exzessiven Pestizideinsatzes und der Zerstörung von Lebensräumen.

Weiger forderte Länder und Bund auf, mehr für den Schutz der Artenvielfalt zu tun: "Der Pestizideinsatz muss verringert und die Düngeverordnung nachgebessert werden. Und statt zu kürzen muss der Ökolandbau stärker gefördert werden." Notwendig sei auch, EU-Gelder aus den dafür vorgesehenen Programmen für die naturschonende Agrar- und Regionalförderung zu verwenden. Und die Bundesländer müssten zusätzliche personelle Kapazitäten schaffen, den Vertragsnaturschutz finanziell besser ausstatten und die Einhaltung der Naturschutzgesetze strenger kontrollieren.

Wie der Verlust konkret ausssieht, machte Olaf Tschimpke, Präsident des NABU deutlich. Beispiel Vogelwelt: Demnach schrumpft der Bestand jeder dritten Art – und das mit zunehmendem Tempo. So verschwanden in den vergangenen zwölf Jahren über die Hälfte aller Kiebitze und ein Drittel der Feldlerchen. Grund: In der intensiv bewirtschafteten Landschaft finden sie kaum mehr Nahrung und geeignete Brutplätze.

Bei den Lebensräumen sind sogar 70 Prozent in einem schlechten oder unzureichenden Zustand. Und der Trend ist weiter negativ: Wichtige Lebensräume wie artenreiche Wiesen werden in Maisäcker umgewandelt. Alte Eichenwälder werden zu Holzplantagen und die letzten Sanddünen im Binnenland wuchern zu, weil ihnen die traditionelle Beweidung fehlt. „Die neuen Daten zeigen ganz klar, wie die Natur bei uns schleichend verarmt. Das muss ein Weckruf für die Politik sein“, so Tschimpke.

„Obwohl wir in der EU das wahrscheinlich beste Naturschutzrecht der Welt haben, mangelt es schlicht am Willen der zuständigen Bundesländer, es auch umzusetzen“, kritisierte Tschimpke. Erst in der vergangenen Woche hatten NABU und BUND die Naturschutzpolitik der einzelnen Bundesländer analysiert und dabei gravierende Versäumnisse offengelegt (Biodiversitäts-Check der Bundesländer).

Das jetzt vorgestellte schlechte Ergebnis könnte offenbar sogar noch schlechter sein: Der NABU zweifelt die zu positive Bewertung des Zustands der Buchenwälder an. Die Kriterien sein zu großzügig, bemängelt der NABU-Präsident, so dass viele Bundesländer auch eintönige und viel zu junge Wirtschaftsforste häufig als gesunde Wälder bezeichnen, obwohl in ihnen kaum Artenvielfalt vorhanden ist.

Neben dem großen Schatten gibt es einzelne Lichtblicke im Bericht der Bundesregierung: Erfolge gibt es genau dort, wo der Naturschutz konsequent durchgesetzt und finanziert wird. Nutznießer sind etwa der Biber, die Wildkatze und einige Fischarten wie Barbe oder Steinbeißer. Sie konnten sich dank der EU-Vorgaben zur Ausweisung von Schutzgebieten, zur Regulierung der Jagd und zum Gewässerschutz erholen. Das gleiche gilt für einige Vogelarten: Das deutsche Wappentier, der Seeadler, aber auch Kranich, Wanderfalke und einige andere von der EU-Vogelschutzrichtlinie besonders geschützte Arten feiern derzeit spektakuläre Comebacks.

Das ist auch gut so, denn der Erhalt der biologischen Vielfalt ist von großer Bedeutung für ökologische, genetische, soziale, wirtschaftliche, wissenschaftliche, erzieherische, kulturelle und ästhetische Zusammenhänge. Von den meisten Menschen wird Biodiversität auch als Wert an sich geschätzt. Ökonomisch und ökologisch wichtig ist vor allem die durch hohe Vielfalt bedingte höhere Widerstandskraft von Ökosystemleistungen gegenüber Schwankungen, sei es durch Umweltbelastungen, Klimawandel und Krankheiten.

Das sieht auch die Bundesumweltministerin Hendricks so: "Wenn wir gefährdete Tiere und Pflanzen in Deutschland erhalten wollen, brauchen wir eine Kurskorrektur in mehreren Bereichen", sagte sie bei der Vorstellung und nannte als Handlungsfelder Energiepolitik, Landwirtschaft und Hochwasserschutz. Um mehr Flussauen zu erhalten, plädiert die Ministerin für ökologische Maßnahmen wie Deichrückverlegung und Renaturierung.

Ambitioniertes Handeln sei auch im Bereich Landwirtschaft nötig, so Hendricks. Weil die Landwirtschaft für 54 Prozent der Landfläche in Deutschland verantwortlich ist, habe sie auch eine besondere Verantwortung für die biologische Vielfalt. So müssten im Rahmen der Agrarreform die Weiden und Wiesen besser vor einer Umwandlung in Äcker geschützt werden.

Dafür müsse auch der Trend zum Anbau von immer mehr Energiepflanzen gestoppt werden. "Bereits heute wachsen auf mehr als 17 Prozent der deutschen Ackerfläche Energiepflanzen - das reicht", so die Ministerin. Neue Biogasanlagen müssten daher mit Abfall- und Reststoffen gefüllt werden und nicht mehr mit Mais. "Wir müssen die weitere Vermaisung der Landschaft beenden", sagte Hendricks.  Auch ein weiterer Ausbau der Biokraftstoffe der ersten Generation sei für den Naturschutz gefährlich.

Das im Jahr 2010 verabschiedete Biodiversitätsziel der EU verpflichtet seine Mitglieder, den Rückgang von Tier- und Pflanzenarten sowie Lebensräumen bis 2020 zu stoppen und eine Erholung der Artenvielfalt einleiten: Bis zum Ende des Jahrzehnts sollen doppelt so viele Lebensraumtypen und 50 Prozent mehr Arten in einem guten oder verbesserten Zustand sein als noch 2010. Die heute veröffentlichten Daten belegen, dass sich Deutschland weiter denn je von diesem Ziel entfernt. Bis 2020 müssten hierzulande drei Viertel aller Vogelarten (derzeit 50 Prozent), die Hälfte aller anderen Arten (derzeit 25 Prozent in günstigem Zustand) und zwei Drittel der Lebensräume (derzeit 28 Prozent, vor sechs Jahren noch 34 Prozent in günstigem Zustand) in einen ungefährdeten bzw. günstigen oder deutlich verbesserten Zustand gebracht werden.

Ein ausführliches Informationspapier "Zur Lage der Natur in Deutschland", die Ergebnisse von FFH- und Vogelschutzbericht sowie Steckbriefe ausgewählter Arten und Lebensräume finden Sie unter www.bmub.bund.de/P2976.

Mehr über die Bewertung von Natur auch im factory-Magazin Wert-Schätzung und online in Wert und Werte.

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