Die Bahnstrecke Abelitz-Aurich ist so ein Beispiel. Ende 1993 legte die Bahn die Strecke still. Gleichzeitig wuchs angesichts der Energiewende das Auricher Unternehmen Enercon. Das stellt Windkraftanlagen her, deren Komponenten wie auch die Länge der Rotorblätter immer größer und schwerer wurden, der Transport auf der Straße damit schwieriger. Enercon wollte nur in den Standort investieren, wennn die Strecke reaktiviert wird. 2008 war es soweit.
Ein Viertel seiner Strecken hat das deutsche Eisenbahnnetz seit den 1950er Jahren bereits verloren, mehr als 15.000 Kilometer Strecke. Nach der Wende besonders im Osten. Dennoch ist das Potenzial für Streckenreaktivierungen immer noch erheblich, so eine Studie des Ifo-Instituts. Sie ist ressourcenleichter und kostengünstiger als der Neubau – besonders wenn sie noch nicht entwidmet sind.
Und vor der Reaktivierung steht auch noch die Sanierung des noch betriebenen Netzes an. Damit sind nicht Milliardenverlust-Programme wie das unterirdische Bahnhofsprojekt Stuttgart21 gemeint, sondern Erhalt und Erneuerung einer bedeutenswerten "kritischen Infrastruktur". Jede/r, die/der Bahn fährt, kennt die Verspätungen und Störungen, die abgehängten Orte wegen Streckenstilllegungen. Umgekehrt jede/r Autofahrer*in die Staus- und Lkw-Schlangen, weil Fern- und Güterverkehr über die Straßeninfrastruktur be- und überlasten.
Laut Umfragen würden Millionen Menschen in Deutschland auf umweltfreundliche Verkehrsmittel wechseln, wenn die Bedingungen stimmen. Aber die staatliche Finanzierung befördert selbst in Zeiten der Wende Infrastrukturbedingungen des automobilen Individualverkehrs.
Straße statt Schiene?
Zudem erfordert die notwendige Emissions- eine Antriebswende für den Straßenverkehr, und diese wäre am umwelt- und ressourcenschonendsten, würde sie durch den Ausbau des Schienenverkehrs umgesetzt. Der war 2022 immerhin schon zu 62 Prozent elektrifiziert, 2030 sollten es 75 Prozent sein – und hat bereits insgesamt eine wesentlich bessere Klima- und Ökobilanz: Sowohl der Ressourceneinsatz für Bau als auch für Betrieb und Nutzung ist beim Schienenverkehr günstiger als beim Straßenverkehr. Und Ressourcenschutz nicht nur der beste Klimaschutz …
Stattdessen planen Bundesregierung und Bahn Berichten zufolge eine Milliarde Euro aus dem Etat für die Bahn-Infrastruktur zu streichen – das Geld soll in die Straße fließen. Nach verschiedenen verständnislosen Medienberichten, warnen nun auch die acht deutschen Eisenbahnverbände vor diesem Irrweg – sie befürchten ebenfalls erhebliche verkehrspolitische, ökonomische und ökologische Folgen. Statt der Kürzungen bei der Bahninfrastruktur fordern sie, klimaschädliche Subventionen abzubauen.
Dabei war die Ampel-Koalition noch mit hehren Zielen in der Verkehrspolitik angetreten: Bis 2030 sollten sich die Fahrgastzahlen auf der Schiene verdoppeln und deren Anteil am Güterverkehr auf 25 Prozent steigen, so der ambitionierte Koalitionsvertrag.
Um dieses Ziel zu erreichen und den enormen Nachholbedarf bei Sanierung und Ausbau des Schienennetzes anzugehen, wollte die Ampel in erheblich höherem Umfang Geld für die Schiene zur Verfügung stellen. Zwischenzeitlich waren zusätzliche Investitionen von 45 Milliarden Euro bis 2027 geplant!
Rolle rückwärts für alle
Nun droht die Rolle rückwärts, schreiben die Verbände in ihrer gemeinsamen Pressemitteilung. Bereits im laufenden Haushalt seien die Mittel für den Aus- und Neubau der Schiene zurückgefahren worden. Mit einer Umschichtung von einer Milliarde Euro im Haushalt 2025 zugunsten des Straßenbaus stelle die Regierung ihre eigenen Ziele in Frage.
Die Eisenbahnverbände kritisieren diese Überlegungen scharf. Sie warnen vor dramatischen Konsequenzen für die bereits heute – durch jahrzehntelang vernachlässigte Infrastruktur – eingeschränkte Leistungsfähigkeit der Branche und für die Klimaziele.
Eine solche Kürzung stünde in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Bedarf der Schieneninfrastruktur und konterkarierte alles, was sich die Ampel in der Verkehrs- und Klimapolitik vorgenommen habe, warnen die acht Verbände.
Schon für die anstehenden Streckensanierungen würden dadurch die Mittel knapp – vom notwendigen Kapazitätsausbau im Netz oder der Elektrifizierung weiterer Strecken ganz zu schweigen.
Die zeitlich vorgezogene Eigenkapitalerhöhung bei der Deutschen Bahn ändere nichts an der Mittelkürzung als solche, führe außerdem zu einem noch schnelleren Anstieg der ohnehin schon hohen Trassenpreise und verschlechtere damit die Chancen der Schiene im Wettbewerb mit der Straße, so die Verbände.
Milliarden für das Falsche
Die Beschleunigungskommission Schiene habe bereits 2022 in ihrem Abschlussbericht darauf hingewiesen, dass es für einen zielgerichteten Ausbau des Schienennetzes dringend mehr Verlässlichkeit bei der Finanzierung brauche. Ohne sie sei langfristige Planung nicht möglich.
Die Verbände fordern deshalb die Einführung eines mehrjährigen Infrastrukturfonds für die Schiene, wie es sie in Österreich und der Schweiz schon lange gibt. Dies würde die Schienenfinanzierung dem Einfluss alljährlicher haushaltspolitischer Verteilungskonflikte entziehen und gäbe der Branche Planungssicherheit.
Haushaltslöcher ließen sich zudem besser durch den Abbau umweltschädlicher Subventionen stopfen, heißt es von den Verbänden. Diese hatte auch der Koalitionsvertrag vorgesehen. So könnten mehr Fahrgäste, Kunden im Güterverkehr und das Klima profitieren.
Die acht großen Bahnverbände (G8) sind die Allianz pro Schiene (ApS), der Bundesverband SchienenNahverkehr (BSN), DIE GÜTERBAHNEN (NEE), mofair, der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), der Verband der Bahnindustrie (VDB), der ökologische Verkehrsclub Deutschland (VCD) und der VPI – Verband der Güterwagenhalter in Deutschland.
Mehr zum Aufruhr um die Deutsche Bahn und den Folgen von geplanten Streckenstreichungen im Osten Deutschlands in der taz. Dort auch das Zitat aus der New York Times: „Einst war die Deutsche Bahn der Goldstandard des Schienenverkehrs in Europa, heute ist sie weit entfernt von dieser Spitzenposition“.
Tatsächlich bleibt den deutschen Regierungen keine Wahl: Sie müssen die umweltfreundliche Verkehrsinfrastruktur ausbauen und die umweltschädliche umbauen, wenn sie Grund- und Freiheitsrechte vertreten wollen – darauf deuten die bisherigen und anstehenden Klimaklagen und Gerichtsentscheidungen hin.
Quellen: G8-Pressemitteilung, taz, Google-News