Design
Die Mittel des Transition Designs – und ihre Begrenzung
Ohne eine wirksame Entkopplung von Naturverbrauch und materieller Wohlstandsproduktion werden sich Klima- und Artenkrise nicht begrenzen lassen, darin sind sich Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sogar einig. Doch die dafür notwendigen seit Jahrzehnten bekannten Lösungsansätze für nachhaltige Produktions- und Dienstleistungssysteme sind in den Märkten weiterhin nur marginal vertreten. Die herrschenden Marktbedingungen fördern weiter den linearen Ressourcenverbrauch statt den Übergang zur Verringerung von Absatz und Bedarf.
Von Christa Liedtke und Christoph Tochtrop, Carolin Baedeker und Julius Piwowar
Mit fortschreitendem Klimawandel und Verlust der Arten werden die Handlungs- und damit Gestaltungsspielräume zur Korrektur und zum Erhalt der Lebensgrundlagen immer kleiner. Fakt ist, dass ressourcenleichte Lebensstile und Produktionssysteme Voraussetzung dafür sind, die planetaren Grenzen einzuhalten und sich an den Prinzipien sozialer Gerechtigkeit zu orientieren, wie die UN-Wissenschaftsräte für Klima (IPCC) und Ressourcen (IRP) feststellen. Doch von deren Umsetzung zeigt sich bisher wenig – in manchen Sektoren entwickeln sie sich gar in die falsche Richtung – wie ein Forscher*innenteam um Johan Rockström kürzlich bestätigte. Ressourcenleichte Produkt- und Dienstleistungssysteme sind und bleiben rar im Markt.
Dabei ist klar: Wir müssen den materiellen, ökonomischen Wohlstand vom Naturverbrauch lösen und Lebensstile finden, die uns – unabhängig vom Naturverbrauch – eine gesteigerte Lebensqualität ermöglichen. Der Weltressourcenrat IRP verweist dabei auf das Modell der doppelten Entkopplung und betont den Stellenwert des Designs ressourcenleichter Technologien, Produkte und Services.
Als ökologisch verträglichen Rahmen haben Wissenschaftler*innen des Wuppertal Instituts einen Rohstoffverbrauch berechnet, der weltweit bei acht Tonnen pro Person und Jahr liegt. Davon sind wir hierzulande weit entfernt: 2023 registriert der öffentlich verfügbare Ressourcen-Rechner des Wuppertal Instituts einen Durchschnitt von 29 Tonnen. Der durchschnittliche Verbrauch der Menschen in Deutschland dürfte noch rund 5 Tonnen darüber liegen.
Lösungen bekannt, - jedoch kaum umgesetzt
Die Lösungsstrategien sind seit Jahrzehnten bekannt. Wohlstandswachstum und eine gesunde Umwelt sind nur dann möglich, wenn Produkte und Dienstleistungen so gestaltet sind, dass sie entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette ressourcenleicht sind und kaum Abfall produzieren. Sie müssen sich zudem an den menschlichen Bedürfnissen orientieren und einen hohen individuellen und sozialen Nutzen bieten.
Fakt ist auch, dass sich die Nachhaltigkeit von Produkten und Dienstleistungen zu großen Teilen in der Design-Phase entscheidet. Bereits hier werden wesentliche Weichenstellungen für die Energie- und Materialverbräuche in der Herstellung wie auch in der Nutzung vorgenommen. Auch die Entsorgungs- und Recyclingmöglichkeiten sind wesentlich durch Festlegungen im Design bestimmt.
Schon 1995 stellte der Gründungspräsident des Wuppertal Instituts Ernst Ulrich von Weizsäcker deswegen die provokante Frage, ob Designer*innen Teil des ökologischen Problems oder der ökologischen Lösung seien. Da Designer*innen klassischerweise von produzierenden Unternehmen dazu beauftragt werden, Produkte zu entwickeln, die als Massenware verkauft werden oder zu wirtschaftlichen Wohlstand führen, könnte man sie daher eher als Teil des Problems betrachten. Denn die von ihnen gestalteten Produkte verursachen über ihren Ressourcen- und Energiekonsum den Klimawandel, Gesundheitsbelastung und über 90 Prozent des Artenschwunds und der Wasserbelastung.
Eine tatsächlich nachhaltige Entwicklung benötigt daher entsprechend nachhaltige Produkt-Dienstleistungssysteme, die von entsprechend ausgebildeten Designer*innen entworfen werden, die ihrerseits von Unternehmensverantwortlichen angesichts entsprechender Marktbedingungen dazu beauftragt werden.
Die Realität sieht zur Zeit allerdings anders aus: So wird beispielsweise das Thema „Bio“ werbewirksam kommuniziert, der Marktanteil von Biolebensmitteln beträgt 2023 jedoch lediglich sieben Prozent (4 %, 2011). Auch moderne Sharing-Mobilitätskonzepte sind vielerorts zwar vorhanden, in der Realität steigen aber Motorisierungsgrad, Größe und Gewicht pro Auto wie auch die Zahl der Allradantriebe in Deutschland. So waren im Jahr 2010 noch 511 Pkw pro 1.000 Einwohner*innen zugelassen – inzwischen sind es 579 Pkw.
Hinzu kommen Herausforderungen, die in der Nachhaltigkeits-Disziplin als Rebound-Effekt beschrieben werden: Wer z. B. in Energiesparmaßnahmen oder Bio-Lebensmittel investiert hat, fühlt sich moralisch auf der richtigen Seite und hält es für gerechtfertigt, an anderer Stelle öfter „unökologisch“ zu konsumieren.
Wirklich effektive Lösungen erfordern deshalb Ansätze, die ein Neudenken von Produktions- und Konsummustern ermöglichen. Diese Ansätze müssen über rein technische Perspektiven sowie Effizienz- und Recycling-Strategien hinausgehen.
Mit MIPS zum Faktor Zehn der Dematerialisierung
Am Wuppertal Institut wurde dazu – lange bevor Kreislaufwirtschaft ein geflügelter Begriff war – von Friedrich Schmidt-Bleek das MIPS-Konzept entwickelt. Es steht für Material Input Pro Serviceeinheit und setzt das eingesetzte Material in ein Verhältnis zum gestifteten Nutzen der Serviceeinheit. Es berücksichtigt auch, dass der Material Input dadurch reduziert werden kann, bereits genutztes Material, also recyceltes Material, wieder einzusetzen. Dies benötigt meist erheblich weniger Energie und Ressourcen.
Rohstoffe so zu verarbeiten, dass sie immer wieder genutzt werden können, ist zwar ein wichtiger Pfeiler, um zu nachhaltigen Produktionsstrukturen zu kommen, doch macht das Bild des Kreises auch all zu schnell ein Versprechen auf, das nicht gehalten werden kann: Denn jeder Umformungsprozess geht mit Material- und Energieverlusten einher.
Schmidt-Bleek wies schon 1995 auf die thermodynamischen Sätze hin, die aus seiner Sicht wegen der Materialverluste, auch wenn eine Kreislaufwirtschaft etabliert wäre, nur eines nahe legen: die Dematerialisierung unserer Wirtschaft als Geschäftsmodell zu etablieren – um mit so genannten Negatonnen, also Tonnen des Ressourcenerhalts, Geld zu verdienen.
Um Verlusten in Produktion und Konsum zu begegnen und Negatonnen zu fördern, entwickelte er das Faktor 10-Konzept: die
Länder des Nordens sollten mit einem Faktor 10 weniger an Ressourcen eine ähnliche Lebensqualität gestalten. Der Ansatz enthält auch eine Gerechtigkeitsperspektive, denn global wird damit eine Stoffstromreduktion um den Faktor 2 angestrebt.
Ressourceneffizienz im -Reallabor entwickeln
Um zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft zu kommen, ist daher die Gestaltung von Produktions-Konsumsystemen notwendig, die zu einer absoluten Reduktion des Ressourcenverbrauchs beitragen. Es genügt nämlich nicht die Produktions- und Wiederaufbereitungprozesse, also den Anfang und das Ende im Lebenszyklus, zu verbessern. Zusätzlich müssen Nutzer*innen die Gelegenheit erhalten, nachhaltigere Konsumentscheidungen treffen zu können, um so Nachfrage und neue Routinen zu etablieren.
Es ist also eine geteilte Verantwortung: Die Nutzer*innen, die eine Entscheidung treffen, die Politik, die den Rahmen des nachhaltigen Konsums setzt und die Unternehmen, die Produkte und Dienstleistungen anbieten, die es einfacher machen, einen nachhaltigen Lebensstil zu genießen. Notwendig sind also sozialer wie technischer Erfinder*innengeist und entsprechende Innovationen.
Zudem braucht es Versuchsräume für neue Lebenspraktiken und Visionen. Der Reallabor- bzw. Living Lab-Ansatz bietet hier eine Infrastruktur, um eine moderne und nachhaltige Innovationskultur in Forschung und Unternehmen zu etablieren. Dabei steht die frühzeitige Interaktion zwischen z. B. Produzenten, Verwaltung und Nutzer*innen im Mittelpunkt des Innovationsprozesses.
Der Ansatz ermöglicht Unternehmen so, in Kollaboration mit potenziellen Nutzern und Stakeholdern neue Prototypen und Lebensstil-Systeme zu entwickeln und unter realen Bedingungen zu erproben. Das frühe Feedback sowie die Kultur von Trial and Error prägen dabei die Gestaltung.
Sich vom -Transition -Design leiten lassen
Das Wuppertal Institut verbindet diesen Living Lab- bzw. Reallabor-Ansatz mit den Transition Design Ansätzen. Über einen Innovationsprozess mit unterschiedlichen Phasen moderiert dieses Konzept unterschiedliche Maßnahmen und Design Tools. Dabei steht die praktische Anwendung im Vordergrund. Der Transition Design Guide wurde mit dem Ziel entwickelt, die Ausbildung einer neuen Generation von Designer*innen zu fördern, die sich bewusst sind, dass das 21. Jahrhundert keine einfache Fortsetzung des vorherigen sein kann, sondern Umbrüche anstehen, deren Gestaltung Freude bereiten kann.
Neben der ökologischen Nachhaltigkeitsbewertung setzt der Ansatz auf die qualitative Erfassung und das Verständnis von Nutzerverhalten, Routinen und alltäglichen Praktiken, z. B. über Workshops, Interviews und teilnehmende Beobachtungen. Dafür werden Methoden aus dem Bereich Nachhaltigkeitsbewertung, Innovationsmanagement, Social Design, Kommunikations- und Produktdesign, Usability und User Experience Design (UUX) genutzt u. a. mit Fokus auf Akzeptanz, Nutzungserlebnis und Wohlbefinden.
Der Transition Design Guide öffnet dabei den Gestaltungsraum zwischen Spekulation, Szenarien und Realität, zwischen soziotechnischen Systemsprüngen, transformativen Erprobungen und inkrementellen Innovationen. Er übt das Wechselspiel zwischen Innovation und Umsetzung im alltäglichen Handeln und Denken ein und versteht die beteiligten Menschen als kollektive Gestalter*innen unter professional transformativer Begleitung durch ausgebildete Designer*innen, die darüber zum Teil der Lösung werden.
Beratende Institutionen wie die Effizienz-Agentur NRW (EFA) beobachten die Entwicklung aufmerksam und übersetzen sie in Teilschritte für eine unternehmerische Transition des Management von KMU. Dadurch bildet sich ein Hand-in-Hand-Gehen von Design-, Ressourcen- und Nachhaltigkeitsforschung, mit dem Fokus auf eine Umsetzung in Geschäftsmodellen und Markt.
Ressourceneffiziente zirkuläre Produkte entstehen lassen
So zusammenarbeitend wurden prototypische Produkt-Dienstleistungssysteme für die Bereiche Kühlen und Heizen entwickelt und erprobt. Im vom BMBF geförderten Verbundprojekt “Circular by Design” entstand z. B. eine Kühl-Gefrierkombination, die den Ansprüchen einer Kreislaufwirtschaft folgt. Das Grundprinzip ist eine modulare Konstruktion, so dass das Kühlgerät parziell repariert, erneuert und recycelt werden kann, seine Lebensdauer sich dadurch wenig aufwändig für Nutzer*innen und Produzent*innen verlängern lässt. Die einzelnen Bauteile sind dazu mit digitalen Produktpässen und Reparaturanleitungen versehen.
Im Comfort Lab-Projekt, an dem die EBZ Business School und das Design Studio “Inbestergesellschaft” beteiligt sind, wurde auf diese Weise eine digitale Plattform entwickelt, die die Kommunikation zwischen Haustechnik und Büronutzer*innen anhand so genannter Comfort Stripes vereinfacht. Die Ergebnisse zeigen, dass so Verbrauchseinsparungen von bis zu 30 Prozent möglich sind – ohne dazu viele neue Ressourcen zu investieren, sondern lediglich durch Ermächtigung der relevanten Systemakteur*innen, insbesondere der Nutzenden.
Die Abschlusspublikation zum ReziProK-Projekt (Ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft – Innovative Produktkreisläufe) des BMBF enthält viele weitere innovative Ideen zu ressourcenleichten Produkt-Dienstleistungssystemen. Sich davon inspirieren zu lassen, lohnt in jedem Fall. Doch selbst mit den kreativsten Investitionen wird es unter den herrschenden Marktbedingungen schwer werden, die Wirtschaft auf den Pfad der Klimaneutralität zu bringen. Ein wirksames Transition Design muss auch die Strukturbedingungen konsequent umgestalten und mit entsprechenden Preissignalen ressourcenleichte Produktions- und Dienstleistungssysteme durchsetzen.
Prof. Dr. Christa Liedtke leitet die Abteilung Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren am Wuppertal Institut und ist Professorin für Nachhaltigkeit im Design an der Bergischen Universität Wuppertal. Christoph Tochtrop ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wuppertal Institut und Doktorand an der Folkwang Universität der Künste. Dr. Carolin Baedeker ist stellvertretende Abteilungsleiterin und Co-Leiterin des Forschungsbereichs Innovationslabore. Julius Piwowar ist dort wissenschaftlicher Mitarbeiter.
Tafel 8: Desmonema
Discomedusae, Scheibenquallen
Zu den Schirmquallen oder Scheibenquallen gehören etwa 130 Arten. Sie vermehren sich abwechselnd ungeschlechtlich durch Abschnürung von Larven und geschlechtlich durch Metagenese. Ihre Körper bestehen zu 98 Prozent aus Wasser, manche sind nur ein paar Millimeter groß, andere haben bis zu zwei Meter Durchmesser. Die Tentakel können bis zu 30 Meter lang werden, mit giftigen Nesselkapseln am Ende.
Eine der schönsten, immer wieder reproduzierten Darstellungen aus den „Kunstformen der Natur“ ist die Tafel der Scheibenquallen. Das Phyletische Museum der Universität Jena besitzt noch das Exemplar, anhand dessen Haeckel seine Beschreibung erarbeitete. Haeckel benannte sie taxonomisch nach seiner ersten Frau Anna Sethe (1835 – 1864). Die Tentakel sind auf der Tafel 8 zu einer „Jugendstil-Ornamentik“ von Arabesken arrangiert. Das Spiel der Fäden führt den Blick, der Organismus wird inszeniert, sein Bewegungsmuster und seine Organisation werden begreifbar. Haeckel nutzte die Sichtweise des Jugendstils, das zeigt auch die Gestaltung seines Wohnhauses „Villa Medusa“ mit ihren Deckendekoren.
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