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Meerwasser minus Salz: Trenntechnik für Trinkwasser

Meerwasserentsalzung ist ein Multimilliardenmarkt. Von den derzeit sieben Milliarden Menschen ist eine halbe Milliarde auf Trinkwasser aus dem Meer angewiesen, Tendenz steigend. Bis zur Mitte des Jahrhunderts wird die Weltbevölkerung auf rund zehn Milliarden Menschen anwachsen. Die meisten dieser zusätzlichen drei Milliarden werden in Küstenregionen leben. Die Trennung des Meerwassers vom Salz ist eine existenzielle Technik des 21. Jahrhunderts.

Von Bert Beyers

Wer die Mittelmeerinsel Gomera besucht, hat die Gelegenheit, eine phantastisch anmutende Felslandschaft zu besichtigen. Ein Muster aus flachen Wasserbassins, unmittelbar an der Küste. Die Sonne lässt das Meerwasser in den Becken kondensieren. Zurück bleibt Salz: eine große Kostbarkeit für die Menschen in der Antike. Sie hatten die Becken damals in den Fels geschlagen.

Zwei Jahrtausende später, auf der anderen Seite des Globus. In der Nähe der australischen Millionenstadt Melbourne, an einem Ort namens Wonthaggi, ist jüngst die größte Meerwasserentsalzungsanlage mit Membrantechnik in Betrieb gegangen. Ein riesiger Industriekomplex, mit Fabrikhallen, kilometerlangen Rohren, Straßen und den dazugehörigen Parkplätzen. Die Anlage produziert 444 000 Kubikmeter Trinkwasser täglich, so viel, wie in 200 Olympia-Schwimmbecken passt. Das abgetrennte Salz geht als flüssiges Konzentrat ungenutzt ins Meer zurück.

Filtration vs. Verdampfung

Die Anlage in Wonthaggi arbeitet mit halbdurchlässigen Membranen, die wie Filter wirken. Das Meerwasser wird mit hohem Druck gegen die Membranen gepresst. Das im Wasser gelöste Salz wird dabei zurückgehalten. Typischerweise sind sechs bis acht dieser Membranen in Elementen mit zylindrischer Form „hintereinander geschaltet“. Die Ausbeute an Trinkwasser beträgt bis zu 45 Prozent des einströmenden Meerwassers, der Rest wird als Konzentrat zurückgeführt. Vorher allerdings wird noch ein Großteil der hydraulischen Energie, die sich in dem unter Druck stehenden Wasser befindet, zurück gewonnen.

Die Membrantechnik hat sich in den letzten Jahren mehr und mehr durchgesetzt. Die Alternative sind thermische Verfahren, die auf der Verdampfung von Meerwasser und Kondensation von Trinkwasser beruhen. Auch die thermischen Anlagen arbeiten in mehreren Schritten. Da sie zugleich große Mengen Kühlwasser benötigen, ist die Ausbeute an Trinkwasser auf 10 bis 20 Prozent des verwendeten Meerwassers begrenzt.

Thermische Verfahren werden überwiegend im Nahen und Mittleren Osten sowie in der Karibik eingesetzt. Das liegt zum einen an ihrem großen Bedarf an Wärmeenergie – in den Ölländern kein Problem. Außerdem hatte sich das Meerwasser im Persischen Golf als eher ungeeignet für die empfindlichen Membranen erwiesen.

Die Meerwasserentsalzung greift zurück auf eine praktisch unendliche Ressource: die Ozeane dieser Welt. Die Grenzen der Technologie liegen in dem hohen Energiebedarf, den großen Investitionen für die industriellen Anlagen und in den erheblichen Ressourcenverbräuchen. Die Membranen müssen im Schnitt alle fünf Jahre ausgetauscht werden und wandern anschließend auf den Müll. Im Jahr gehen Fachleute von bis zu einer Million verbrauchter Wickel­module aus. Ein ungelöstes Problem.

Zurück bleibt Konzentrat

Noch etwas kommt hinzu: große Mengen an Konzentrat, das ins Meer zurückgeleitet wird und teilweise mit Chemikalien versetzt ist. Wie steht es mit der Verträglichkeit für die lokalen Ökosysteme?

Das ist das Spezialgebiet der Meeresumweltwissenschaftlerin Sabine Lattemann, sie arbeitet in Berlin und in Saudi Arabien, wo Trinkwasser subventioniert wird. Dabei ist der Wasserverbrauch außerordentlich hoch, er liegt pro Person zwischen 400 und 600 Litern täglich. Zum Vergleich: in Deutschland sind es rund 130 Liter.

Die Auswirkungen der gigantischen Meerwasserentsalzungsfabriken der Ölländer auf die marine Umwelt sind laut Sabine Lattemann nur schwer einzuschätzen, entsprechende Studien seien mit Vorsicht zu genießen. Anders die Situation in Australien. Die dortigen Anlagen werden unter reger und durchaus kontroverser Beteiligung der Öffentlichkeit geplant und betrieben. Die verwendete Energie wird teilweise über Zertifikate CO2-frei gestellt. Und die Salzlake wird hunderte Meter vor der Küste ins Meer ausgebracht und dort verteilt.

Das Fazit von Sabine Lattemann: Meerwasserentsalzungsanlagen können durchaus umweltfreundlich betrieben werden – so man denn will. Zu berücksichtigen sind auch die Alternativen wie Wasser über weite Strecken zu pumpen, denn die sind ökologisch meist auch nicht ohne.

Trenntechnik fürs Leben

Den Ausbau der Meerwasserentsalzungsanlagen rasant zu nennen, wäre untertrieben. Während der vergangenen fünf Jahre ist die global installierte Kapazität um fast 60 Prozent gestiegen. Für die kommenden zehn Jahre werde der Markt für den Neubau bei rund 50 Milliarden Euro liegen, sagt Claus Mertes von der Deutschen MeerwasserEntsalzung. Für Betrieb und Wartung werde ein Betrag gleicher Größenordnung fällig. Was ist der Grund für diesen Boom? „Weil man ohne Strom leben kann, aber nicht ohne Wasser“, sagt Mertes.

Die deutsche Industrie ist in dem Geschäft gut aufgestellt. An Komponenten für Entsalzungsanlagen liefert Deutschland alles, was gut und teuer ist: Hochdruckpumpen, Energie- und Steuerungstechnik, Dosierstationen, Membra­nen zur Vorbehandlung des Wassers.

Ein Megatrend ist die steigende Energieeffizienz. Benötigten Membrananlagen vor 30 Jahren noch 11 Kilowattstunden Strom, um einen Kubikmeter Trinkwasser zu produzieren, sind es nach Mertes heute 2,5 Kilowattstunden. Im arabischen Raum kostet der Kubikmeter Trinkwasser in der Herstellung 1 Euro bis 1,50 Euro. In Spanien, dem Marktführer von Membrantechnik in Europa, liegt der Preis pro Kubikmeter unter 1 Euro.

Um das Jahr 2000 plante die spanische Regierung, den Fluss Ebro zu verlegen. Große Mengen seines Wassers sollten über Kanäle in die Gegend von Almeria im äußersten Süden geleitet werden, auf die dortigen Gemüsefelder. Umweltschützer liefen Sturm. „Das Wasser des Ebro ist das Blut Aragons“, riefen die Demonstranten. So blieb der Fluss in seinem angestammten Bett. Alternativ wurden Membran-Entsalzungsanlagen gebaut. Die liefern allerdings Wasser mit hohem Restsalzanteil, weniger aus technischen, sondern aus Kostengründen. Das Resultat sind versalzene landwirtschaftliche Flächen, für die wiederum große Mengen aufbereiteten Wassers benötigt werden, um sie vom Salz zu befreien. Es kommt eben darauf an, wie man es macht.

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Bert Beyers ist Autor und Journalist. Für die factory Trennen sprach er außerdem mit dem Rohstoffexperten Christian Hagelüken über Mehr Gold im Müll als in der Mine.

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