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Mehr Gold im Müll als in der Mine

Auch wenn wir die Kunst der Abfalltrennung beherrschen, sieht wahre Kreislaufwirtschaft anders aus. Dr. Christian Hagelüken ist Director EU Government Affairs bei der Umicore AG. In der Nähe von Antwerpen betreibt das Unternehmen eine High-tech-Anlage für das Recycling von Elektronikschrott, Akkus und anderen technischen Abfällen.

Ein Interview von Bert Beyers

Wie hoch ist der Gehalt an Gold in den Leiterplatten, die Sie in Antwerpen angeliefert bekommen?

Die Leiterplatten sind in der Regel relativ hochwertig, das sind zum Beispiel Motherboards von Computern. Darin sind zwischen 200 und 250 Gramm Gold die Tonne.

Wie ist das im konventionellen Bergbau?

Im weltweiten Schnitt liegt der Goldgehalt im Bergbau bei unter 5 Gramm pro Tonne. Teilweise wird Computerschrott ja auch in Schwellenländern recycelt, in den so genannten Hinterhofbetrieben.

Wie hoch ist denn dort die Effizienz der Verarbeitung?

Wenn man mit modernen, hochwertigen Verfahren solche Leiterplatten metallurgisch recycelt, dann kann man heute sehr hohe Ausbeuten erzielen. Von den 200 oder 250 Gramm Gold gewinnen wir deutlich über 95 Prozent zurück. Und nicht nur das Gold, sondern auch Palladium, Silber, Kupfer, Zinn, Antimon und viele andere Bestandteile. In den Hinterhofbetrieben geht es eher um eine Art Rosinenpicken, das auf bestimmte Wertmetalle setzt, vor allem Gold und Kupfer. Und selbst beim Gold liegt die Rückgewinnungsrate nur im Bereich von 25 Prozent. Abgesehen davon treten in den Hinterhofbetrieben ganz erhebliche Umweltbelastungen auf.

Um welche Metalle geht es beim Elektronikschrott?

Ich würde den Fokus nicht nur auf Edelmetalle wie Gold, Silber und Palladium, sondern auf weitere Technologiemetalle wie Kobalt, Antimon oder Indium und Basismetalle wie Kupfer, Nickel und Zinn legen; eine gewisse Sonderstellung haben die Seltenen Erden. Technologiemetalle, zu denen Edel- und Sondermetalle gehören, werden in Zukunft noch sehr viel wichtiger, denken Sie an Elektromobilität, Photovoltaik oder Windkraftanlagen. Wir haben eine explodierende Nachfrage nach diesen Metallen gesehen und deshalb bildet das Recycling einen wichtigen Baustein, um uns auch langfristig den Zugang zu diesen Metallen zu sichern und zu erhalten.

Theoretisch könnten Metalle beliebig oft genutzt werden. Wie sieht die Realität aus?

Bei vielen Technologiemetallen liegt die Recyclingrate bei unter 1 Prozent. Gold aus Elektronikbauteilen wird in der Größenordnung von 15 Prozent recycelt und bei Palladium sind es unter 10 Prozent. 

Wo sind die Löcher?

Probleme treten entlang der ganzen Recyclingkette auf: Erstens bei der ungenügenden Erfassung, zweitens bei der unzureichenden Stoffstromverfolgung nach der Erfassung, drittens kommen dazu zum Teil schlechte und ungeeignete Recyclingverfahren und viertens die technischen Grenzen des Recyclings.

Wo sind die Lücken bei Elektronikschrott?

Trotz Gesetzgebung sind auch bei uns die Sammelquoten für viele Elektronikgeräte noch immer unbefriedigend, denken Sie z. B. an Handys oder ähnliche hochwertige Kleingeräte. Es gibt auch heute noch eine Menge Geräte, die eigentlich Schrott sind, die auch in Ländern außerhalb Europas keinen echten Marktwert mehr haben, die aber trotzdem durch dubiose/illegale Exporte oder minderwertiges Recycling verloren gehen. Das fängt an bei fliegenden Händlern, die Haushaltsauflösungen machen. Das können Ströme sein, die vor/bei kommunalen Sammelstellen oder später in der Kette verschwinden. Eine Menge Akteure sind mit dem Etikett Recycler unterwegs. Vielfach sind sie aber nur Händler oder im besten Fall Vorbehandler. Die Herkunft der Abfallwirtschaft ist teilweise die „Schmuddelecke“. Einige Akteure sehen ausschließlich die Kosten und haben sehr wenig Interesse an qualitativ hochwertigem Recycling und transparenten Stoffströmen. Da ist noch viel altes Denken, wir brauchen aber mehr Ethik in der Recyclingbranche.

Welche Lösungsansätze gibt es?

Kurzfristig sollte ein Zertifizierungssystem eingeführt werden durch das sichergestellt wird, dass Elektronikschrott entlang der gesamten Kette bis zur Endverwertung nur in qualitativ hochwertigen Recyclingprozessen verarbeitet wird. Dadurch ließe sich auch Transparenz über die realen Stoffströme erzielen. Ich persönlich glaube, wenn wir wirklich Kreisläufe schließen wollen, müssen wir mittelfristig bei Komsumgütern auch echte Anreize schaffen, die in den Geschäftsmodellen begründet sind.

Ein Beispiel?

Da reden wir dann über Leasingmodelle für Produkte und in Einzelfällen auch Pfandsysteme. Es geht dann weniger darum, ein Produkt als Eigentum zu besitzen, sondern seine Funktion optimal nutzen zu können. Im heutigen System, gerade im Bereich Elektronik, wird produziert, dann wird das Produkt verkauft, der Erstnutzer hat es eine Zeitlang, dann verkauft er es vielleicht über Ebay weiter. Man verliert völlig den Überblick, wo dieses Gerät ist. Und es gibt, wenn nicht gerade guter Wille vorhanden ist, wenig Veranlassung, solch ein Gerät ins hochwertige Recycling zurück zu geben.

Denken wir das Ganze einmal weiter.

Wenn Sie heute eine Produktionskette haben, ob das ein Auto oder ein Computer ist, dann haben Sie im Vorfeld sehr ausgefuchste Distributionssysteme mit just-in-time-Belieferung. Man weiß ganz genau, wann welches Zulieferteil am Produktionsstandort ankommt und wo es aktuell ist. Da ist eine extrem hohe Transparenz in der Versorgungskette. Das wird durch technische Verfahren unterstützt, durch Kennzeichnung, durch GPS-Systeme, teilweise werden auch Fahrten verfolgt. Im end-of-life-Bereich sind wir dagegen noch in der Steinzeit. Im Prinzip könnte man viel von der Technik, die bei der Produkterstellung zum Einsatz kommt, auf den end-of-life-Bereich übertragen. Es ist durchaus denkbar, dass bestimmte höherwertige Geräte mit einem RFID-Chip versehen werden und sich damit über die ganze Kette verfolgen lassen. Wenn Sie in ein Textilgeschäft gehen und ein Jackett vom Haken nehmen, nicht bezahlen, dann piept es am Ausgang. Derselbe Ansatz könnte prinzipiell auch bei Containern mit Elektronikschrott im Hafen greifen.

Wie sind die Zeiträume für Ihre Vision?

In spätestens 20 oder 30 Jahren, hoffe ich, haben wir dieses ganze Ressourcenthema systemisch durchdrungen und angegangen. Wir haben dann eine Kombination von durchgängig moderner Technik, hoher Transparenz, anderen Geschäftsmodellen und einem viel stärkeren Willen der Hersteller, end of life als einen integralen Teil ihrer Produkte zu sehen. Außerdem haben sie ein Interesse daran, dass die enthaltenen Teile und Substanzen zurückkommen, um die Versorgung von Neuprodukten sicher zustellen. Das wird sich auch im Design der Produkte niederschlagen. Wenn wir irgendwann auch besser kontrollierte Ströme von Gebrauchtgeräten haben, die in Afrika genutzt werden...

Wie Computer, Autos, Waschmaschinen...

… dann wird man die dort sicherlich auch am Lebensende soweit vorbehandeln, wie es sich lokal machen lässt – um daraus dann komplexere Teile wie Leiterplatten, Akkus oder Magnete zu geeigneten Hochtechnologieanlagen zurückführen, wo immer die auch sein mögen. Ich gehe davon aus, dass ein Großteil in Europa sein wird.

Christian HagelükenChristian Hagelüken ist Director EU Government Affairs bei dem belgischen Materialtechnologie-Konzern n.v. Umicore S.A. mit Hauptsitz in Brüssel. Umicore ist weltweit führend in der Produktion und im Recycling von Spezialwerkstoffen und Metallen (z. B. Kobalt, Germanium, Nickel, Zink, Gold, Silber und Platin-Gruppenmetalle). Das börsennotierte Unternehmen beschäftigt etwa 14.300 Mitarbeiter, die im Jahr 2010 einen Umsatz von rund 9,7 Milliarden Euro erwirtschafteten. Kunden sind die weiterverarbeitende chemische Industrie, die Automobil-, Baustoff-, Schmuck- und Elektroindustrie.
Bert Beyers ist Autor und Journalist. In factory schrieb er zuletzt zum Thema Wachstum.

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