Digitalisierung
Grüne Welle: Vernetzen für die Verkehrswende
Bringt die Digitalisierung den ökologischen Wandel im Verkehr voran? Vor allem Städter setzen dank Smartphone-Apps bereits auf Car- und Bikesharing statt auf Besitz. Ob das allein schon ausreicht, ist fraglich. Ein Blick in den Norden Europas zeigt, wohin es gehen könnte.
Von Susanne Götze
Innerhalb weniger Jahrzehnte hat sich Finnland vom Agrar- zum Hochtechnologieland entwickelt. Anlässlich der Feierlichkeiten zu 100 Jahren Unabhängigkeit schickte die Regierung allen finnischen Handynummern ein „Happy Birthday“. Was bei uns als Überwachungs- und Kontrollgestus wahrgenommen würde, ist bei den Finnen Teil des Nationalstolzes: Im „Handyland“, wie es von deutschen Medien getauft wurde, ist die Mobilfunkbranche einer der wichtigsten Wirtschaftszweige. Nicht nur, dass praktisch jeder Einwohner mindestens ein Handy besitzt, vor allem die Datenvolumina sind die größten und die Preise die niedrigsten in ganz Europa. Kein Wunder also, dass die Finnen in Sachen Digitalisierung bereits viel mehr ausprobieren, während in Deutschland die digitale Spaltung – also das lückenhafte Breitbandangebot – immer noch Wahlkampfthema ist.
Und die Experimentierfreude der Finnen ist ungebrochen groß. So kündigte die finnische Hauptstadt an, ihren Straßenverkehr durch eine Handy-App zu revolutionieren. Ab 2025 soll es in Helsinki ein umfassendes Mobilitätssystem geben, über das die Menschen flexibel Busfahrten buchen, Fahrräder und Autos leihen und Taxis ordern können. Die Idee dahinter: den öffentlichen Nahverkehr so einfach und günstig zu machen, dass private Autos in der Stadt überflüssig werden.
Kern des Konzepts ist eine Smartphone-App. Sie soll die Nutzer in Echtzeit darüber informieren, welche Optionen sie haben, an einen bestimmten Ort zu gelangen. Die App schlägt vor, wie man am besten von A nach B kommt, und zeigt an, was das kostet. Ob Leihgebühr für Fahrrad oder Auto, Ticket für Bus oder Tram oder Taxigebühr – abgerechnet wird zentral über das System.
Die Digitalisierung erlaubt den Sprung
Den Anfang für das „smarte Mobilitätssystem“ nahm Helsinki vor vier Jahren mit „Kutsuplus“, einem innovativen Minibus-Service. Via Smartphone konnte man dem System den gewünschten Einstiegs- und Zielort mitteilen. Aus den eingehenden Anfragen ermittelt dieses dann optimale Routen für die kleinen Busse. Das Angebot war günstiger als eine Fahrt mit dem Taxi, aber teurer als der herkömmliche öffentliche Nahverkehr.
Doch auch im technologieversessenen Finnland gehen manche Ideen mitunter nicht auf: Obwohl sich über 20.000 Nutzer registriert hatten, musste Helsinki den Kutsuplus einstellen. Der Grund: der „smarte“ Minibus-Service war einfach zu teuer. Dennoch wurde die Software, die aus der Nachfrage blitzschnell Routen errechnete, nicht ganz umsonst entwickelt. Die Technologie findet derzeit bei einem ähnlichen Projekt in Washington D.?C. weitere Anwendung.
Das Helsinki-Beispiel zeigt: Neue Formen von Mobilität liegen im Trend und werden derzeit weltweit ausprobiert. Möglich wird das durch flächendeckendes Internet und Mobiltelefone, die nicht nur in Industrieländern mittlerweile zum Alltag gehören.
Und auch wenn es dabei immer wieder Rückschläge zu verzeichnen gibt, so wird doch gleichzeitig eine bedeutende Menge an neuem Wissen generiert, die unsere Fahrgewohnheiten schon bald grundlegend ändern könnten. Doch kann die digitale Vernetzung wirklich zu einer ökologischen Verkehrswende beitragen? Oder fördert sie das Auto eher sogar noch und treibt den Strom- und Spritverbrauch in die Höhe?
„Wenn alle Verkehrsmittel digital vernetzt sind und der Nutzer ohne viel Aufwand bequem seine Route planen kann, ist die Bereitschaft höher, auf mehrere Verkehrsmittel zuzugreifen“, glaubt Marc Schelewsky vom Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ). Das Institut arbeitet seit Jahren an einer besseren Vernetzung zwischen Auto, Bahn, Bussen und Leihfahrrädern. Jedoch habe sich die Hoffnung einiger Unternehmen, die mit der Vernetzung Geld verdienen wollen, bisher nicht erfüllt.
Größer als regional denken
Neue Handy-Apps wie Door2Door oder Switchh kranken daran, dass sie nur einen Teil des Nahverkehrs abdecken und oft nur regional funktionieren. „Intermodale Plattformen wie Switchh, Moovel oder Qixxit verfügen derzeit nur über fragmentierte Angebote“, so Schelewsky. Er sieht deshalb die Zukunft der Vernetzung in einer „flächendeckenden Integrationsleistung“ – das heißt einer Plattform, in der alle Anbieter unabhängig vom jeweiligen Verbundnetz mitmachen. Auf diese könne man dann mit unterschiedlichen regionalen Apps zugreifen und auch Tickets erwerben – wichtig sei aber erstmal eine gesamtdeutsche Vernetzung aufzubauen, an der sich alle beteiligen, von der Deutschen Bahn über die Berliner Verkehrsbetriebe bis hin zum Lidl-Bike. „Dann könnte man mit der App der Stuttgarter Verkehrsbetriebe seinen Aufenthalt in Hamburg planen, von der Bahnfahrt bis hin zum Car- oder Bikesharing“, erläutert Schelewsky.
Auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) hält viel von dieser Idee. Durch diese „Connected Mobility“ würden in Zukunft die Grenzen zwischen ÖPNV- und Individualverkehr „verschwimmen“, heißt es in einem aktuellen Bericht.
Smartphone-begeistert ist auch der Thinktank Agora Verkehrswende. Man gebe seine Präferenzen wie Zeit, Kosten oder CO2-Emissionen in das Gerät ein und lasse sich die optimale Route in Kombination aller Verkehrsmittel berechnen – und könne dann noch die gesamte Reisekette buchen und bezahlen, heißt es in den 12 Thesen zur Verkehrswende. „Der Smartphone-Nutzer wird somit Teil des vernetzten Verkehrssystems, das ihm die für seine persönliche Verkehrsmittelwahl relevanten Informationen in Echtzeit liefert“, wird die Vision ausgemalt. Die Experten schlagen zudem die bundesweite Einführung des E-Tickets vor. Die geplante Abschaffung von Papierfahrscheinen bis Ende 2018 solle allerdings nicht ausschließlich durch die Abrechnung per Smartphone erfolgen, sondern ebenso über eine elektronische Chipkarte, die ohne Mobiltelefon genutzt werden kann.
Dennoch: Auch wenn alles perfekt vernetzt ist und Menschen sich Verkehrsmittel teilen muss das Ziel eine wesentlich emissionsärmere Mobilität sein.
Mit „wahren“ Preisen fahren
Denn sonst passiert das, was man zum Beispiel beim Sharing-Dienst Uber beobachten konnte. Nachdem der Fahrdienst – buchbar über eine App – seine Dienste sehr viel günstiger als herkömmliche Taxen anbot, stieg in New York, wo Uber stark genutzt wird, die Zahl der Taxi- bzw. Uberfahrten in den vergangenen Jahren enorm an.
Allerdings kommt es schon darauf an, was für eine Art Carsharing man nutzt: Während Uber vor allem herkömmlichen Taxifahrern durch Dumping-Angebote schadet, werden beim so genannten Peer-to-Peer-Carsharing private Pkw sinnvoll geteilt – Autos, die ohnehin 90 Prozent der Zeit am Straßenrand stehen. So teilen sich deutschlandweit laut InnoZ bereits 20.000 Autobesitzer ihre Wagen mit über 300.000 Teilnehmern.
Sogenannte Effizienzgewinne erhoffen sich manche Verkehrsexperten auch vom autonomen Fahren: Gemeint sind Autos, die quasi ferngesteuert auch ohne Fahrer auskommen. Die Sachverständigen des SRU sind jedoch skeptisch: Zwar könnten die selbstfahrenden Autos die Elektromobilität befördern und weniger Strom oder Sprit verbrauchen, jedoch aufgrund des hohen Bequemlichkeitsfaktors gleichzeitig das Autofahren wieder attraktiver machen und so die Zahl der Fahrzeuge in die Höhe schießen lassen.
„Das Problem ist, dass wir heute im Verkehr keine Kostenwahrheit haben – wenn Autofahren durch Steuerprivilegien günstiger wird, dann fahren die Menschen logischerweise mehr Auto“, meint Philipp Kosok vom Verkehrsclub Deutschland (VCD). Das bestätigt auch eine Analyse des Wuppertal-Institutes Nutzen statt Besitzen: Sharing allein ist nicht per se besser für die Umwelt. Damit wirklich ein ökologischer Effekt entsteht, müssen die Angebote mit „ökologisch wahren Preisen“ ausgestattet werden. Andernfalls kommt es durch den Preisvorteil sogar noch zu mehr Energie- und Ressourcenverbrauch, so die Bilanz der Studienautoren. „Ökologische Vorteile sind beim Carsharing nur dann erschließbar, wenn sich das Mobilitätsverhalten insgesamt verändert“, schreiben die Autoren. Denn wenn Carsharing am Ende das Fahrradfahren oder die Nutzung des ÖPNV ersetze, sei das ein Widerspruch zu den Zielen einer ökologischen Verkehrswende.
Dennoch scheint es einen allgemein zu beobachtenden Trend weg vom privaten Auto zu geben. So ist vor allem in Großstädten die Zahl der Haushalte ohne Pkw oder Motorrad gestiegen. Fast ein Drittel der Haushalte in Kommunen ab 500.000 Einwohnern verfügt laut Statistischem Bundesamt inzwischen nur über Fahrräder, ein Anstieg um rund zehn Prozentpunkte in den vergangenen zehn Jahren. Bundesweit haben im Schnitt 15 Prozent der Haushalte kein eigenes Auto. „Neben der Digitalisierung und neuen Sharing-Angeboten brauchen wir auch eine neue Verkehrspolitik, damit die Verkehrswende wirklich ökologisch wird“, fordert VCD-Verkehrsexperte Kosok. So würden Dieselautos hierzulande immer noch subventioniert und auch Flugkerosin wird steuerlich bevorteilt. Hingegen müsse der Schienenverkehr hohe Abgaben zahlen. „Wenn diese Ungleichbehandlung zwischen den Verkehrsträgern nicht behoben wird, kann sich auch grundsätzlich nichts ändern“, meint Kosok.
Digitalisierung nur erneuerbar
Das InnoZ in Berlin berücksichtigt hingegen bei der Digitalisierung nicht nur die Verkehrs- sondern auch die Energiewende. Denn auch ein Elektro-Carsharing hilft der Umwelt wenig, wenn es mit Kohlestrom betrieben wird. Digitalexperte Schelewsky und seine Kollegen arbeiten deshalb an einer intelligenten Vernetzung beider Bereiche: Auf dem EUREF-Campus des Europäischen Energieforums in Berlin Schöneberg, der mit 5,5 Hektar Fläche für eine digitale, nachhaltige Stadtentwicklung steht, testen Startups zusammen mit dem Zentrum, wie die Digitalisierung bei der Planung helfen kann.
Dafür wurde auf dem Campus ein intelligentes Stromnetz entwickelt – das sogenannte Micro Smart Grid –, das Angebot und Nachfrage des erneuerbar erzeugten Stroms genau reguliert: Wird beispielsweise im Veranstaltungssaal des Gasometer, wo vor einigen die GüntherJauch-Talkshow produziert wurde, für wenige Stunden viel Strom gebraucht, kann dieser auch aus den rundherum parkenden Elektroautos bezogen werden. Deren Batterien sind dann „reine“ Stromspeicher und werden durch Solarpanels auf den Dächern und einigen vertikalen Windrädern versorgt. Ist die Talkshow vorbei, können die Autos wieder normal aufgeladen werden. Der EUREF-Campus dient ohnehin als Spielwiese für die „schöne neue Welt“ der vernetzten Verkehrswende: Auf dem Gelände gibt es schon lange Leihfahrräder und den selbstfahrenden Bus. Der soll sich schon bald ganz autonom an dem „Smart Grid“ aufladen können – und zwar genau dann, wenn andere den Strom nicht brauchen.
Ganz ähnlich funktioniert es sogar bereits in der „wirklichen Welt“: Die Filialbäckerei Schüren im rheinischen Hilden versorgt mit ihrer Solaranlage morgens die Backstube, während sie ab mittags die eigenen Lieferfahrzeuge lädt – und die der Kunden. Mit 22 Ladepunkten hat „Ihr Bäcker Schüren“ damit bisher den größten öffentlichen Ladepark eröffnet. Das Mobilität, klimaneutrale Produktion und ökologische Produkte verbindende Unternehmenskonzept hat die Effizienz-Agentur NRW deshalb auch gerade mit dem Sonderpreis des Effizienzpreises NRW 2017 ausgezeichnet.
Dr. Susanne Götze ist freie Journalistin und Autorin in Berlin. Sie schreibt seit 2002 in verschiedenen Tageszeitungen und Magazinen über Umwelt- und Klimathemen. Im factory-Magazin Besser bauen schrieb sie zuletzt über die Entwicklung im Rheinischen Braunkohlerevier Einmal Perspektive, bitte!.
Weitere Beiträge zur Digitalisierung und ihren möglichen Wirkungen auf Ressourcen- und Klimaschutz, auf soziale Gesellschaften und Individuen gibt es im gleichnamigen factory-Magazin Digitalisierung. Das ist reich illustriert und enthält sämtliche Artikel im kompakten Tablet-Format, dazu entsprechende Zahlen und Zitate. Es lässt sich kostenlos laden und ist angenehm lesbar auf Bildschirmen und Tablet-Computern. Online im Themenbereich sind zunächst nur einige Beiträge verfügbar – dafür lassen sie sich dort auch kommentieren und bewerten.
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