Glück-Wunsch
Die richtigen Zutaten
Genuss kann ein Stück Glück sein. Doch kulinarischen Lustgewinn gibt es nicht zu kaufen. Weder im Delikatessenhandel, noch im Spitzenrestaurant. Er will mit Sinnlichkeit und Verstand erobert werden. Wie bei Grünkohl oder Schokolade.
Von Klaus Dahlbeck
Macht Grünkohl glücklich? „Natürlich nicht!“, würde Wolfram Siebeck antworten. Er ist seit Jahrzehnten als kulinarische Kontrollinstanz und gefürchteter Gastronomiekritiker in der deutschen Medienlandschaft unterwegs. Erst kürzlich stellte der 85-Jährige dem „grausigen Strunk“ im Magazin Der Feinschmecker ein vernichtendes Zeugnis aus. Es gäbe viele Gründe, so schreibt er, den Grünkohl nicht zu den essbaren Genussmitteln zu zählen. Da drängt sich gleich die Frage auf, ob Nahrungsmittel vielleicht sogar unglücklich machen können? Über den Grünkohl ist noch nichts bekannt, aber das National Institutes Of Health in Maryland, USA, hat die Fettsäure DHA – die in zahlreichen Fischsorten vorkommt – in Verdacht, Depressionen zu verstärken.
Macht Schokolade glücklich? Folgt man der Werbung der Süßwarenindustrie, gibt es daran keinen Zweifel. Auch eine Reihe von Studien belegen, dass Schokolade – neben Zucker – vier weitere Inhaltsstoffe enthält, die Glücksgefühle auslösen können: Phenylethylamin (PEA), Anandamid, Tryptophan und Theobromin. PEA ist eine Verbindung, die im menschlichen Organismus zum Beispiel als Neurotransmitter wie Dopamin auftaucht oder als Hormon Adrenalin seinen Dienst tut. Verliebte haben immer reichlich PEA im Blut. Anandamid steuert im Gehirn den gleichen Rezeptor an wie Tetrahydrocannabinol (THC), der berauschende Stoff aus der Cannabispflanze. Tryptophan dagegen wird im Körper zu Serotonin, dem so genannten Glückshormon umgewandelt, während Theobromin eine Verbindung ist, die entspannend auf die Muskulatur und stimmungsaufhellend wirkt. Es ist vor allem hochprozentige Bitterschokolade zwischen 70 und 85 Prozent Kakaobutteranteil, die laut einer Studie der Chemischen Fakultät der Universität Madrid von 2012, hohe Anteile Serotonin und Tryptophan enthält.
”Ich will keine -Schokolade, …
Sollte es tatsächlich wahr sein, dass nur Nahrungsmittel mit Inhaltsstoffen glücklich machen können, die Drogenpotential haben? Skepsis ist durchaus angebracht, denn sowohl in der Schokolade als auch in anderen Nahrungsmitteln wie Nüssen und Tomaten, liegen die Anteile der Glücksmacher in der Regel unterhalb der Wirkungsschwelle. Am besten gehen wir noch einmal zurück zu den Verliebten, denn sie brauchen keine Schokolade um die ganze Kaskade chemischer Prozesse in Gang zu setzen, die das Gefühl des Glücklichseins erzeugen. Oder um es mit einem alten Schlager von Trude Herr zu sagen: Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann!
Glaubt man der Wissenschaft, spielen gute Beziehungen zu anderen Menschen die wichtigste Rolle für unser Glücksgefühl. Der mit Freunden in heiterer Runde bei einem guten Glas Bier genossene Grünkohl sollte also glücksstiftender sein als die Tafel edler handgeschöpfter Schokolade, die ein vereinsamter Single abends vor dem Fernseher verdrückt. Oder nicht?
Eine Frage, bei der es um die Wurst gehen könnte. Denn auch der Kopf isst mit. Bleibt das Glücksgefühl auch dann noch präsent, wenn man sich beim Essen in gemütlicher Runde Gedanken darüber macht, ob die Mettwurst im großartig schmeckenden Grünkohl wohl von glücklichen Bio-Schweinen stammt? Oder wenn einem schon beim Anblick der Wurst der Appetit vergeht, weil man um die Figur fürchtet? Keine Frage: wahre Glücksmomente beim Essen sind nur dann erfahrbar, wenn die Sorgen ausgeblendet sind. Wenn der Genießer beruhigt zubeißen kann, weil er weiß, dass das Gemüse nicht belastet ist und die Tiere nicht aus Massenhaltung stammen. Und wenn er sich nicht um ein paar Kalorien mehr oder weniger schert.
”Genuss im Überfluss verliert seinen Wert
Wer sein kulinarisches Glück finden will, braucht aber nicht nur die richtigen Produkte und angenehme Gesellschaft. Sogar ein absolutes Lieblingsgericht, tadellos zubereitet, kann enttäuschen, wird es mit der Erwartung goutiert, dass es so schmeckt, wie es die eigene Oma früher gekocht hat. Selbst wenn es genauso schmecken sollte – bekommt man es den dritten Tag hintereinander vorgesetzt, wird der kulinarische Glücksmoment kaum zur Ewigkeit. Genuss im Überfluss verliert seinen Wert und ist vom Glück soweit entfernt wie der Geruch des Grünkohls von dem der Schokolade.
Vernunft ist eine Kategorie, die Glücksmomenten beim Essen oft vorausgeht. Obwohl jeder Genießer von der zufälligen Entdeckung eines kleinen Lokals träumt, irgendwo im Grünen, in das man hungrig einkehrt und feststellt, dass es hier nicht nur allerbeste authentische Familienküche zum barmherzigen Preis gibt, sondern auch, dass die Produkte vom hauseigenen Biohof stammen. Ohne große Erwartungen viel mehr bekommen als man zu träumen gewagt hatte. Was für ein Glück!
Die positive Überraschung im perfekten Moment ist leider eine launige Geliebte, die sich nur selten blicken lässt. Es muss also noch einen anderen Weg geben, das kulinarische Glück zu finden. Wer nicht nur auf den Zufall setzen will, könnte es – bei guten Erfolgsaussichten – mal mit der Regulierung der eigenen Bedürfnisse versuchen. Eine Kunst, die zu erlernen uns nicht in die Wiege gelegt wurde. Wer hat als Kind nicht schon mal so viele Süßigkeiten in sich hineingestopft, dass ihm kotzübel wurde? Welche Erinnerung ist davon geblieben? Wissen wir noch, welche Unmengen wir auf dem siebten Kindergeburtstag von Susanne oder Thomas gegessen haben? Wahrscheinlich nicht. Eher erinnern wir uns an die Farbe des Toilettendeckels im Bad des Hauses.
Kulinarische Leuchttürme zu schaffen ist eine Strategie, die auch mit der Regulierung der eigenen Bedürfnisse zu tun hat. Statt vier mal im Monat zum Italiener um die Ecke zu gehen und immer die gleiche Pizza zu futtern, könnte man alle drei Monate ein sehr gutes Restaurant aufsuchen und sich von außergewöhnlichen Kreationen des Küchenchefs überraschen lassen. Dann riecht und schmeckt man genau hin, wendet sich jedem Gericht aufmerksam zu, erlebt die Textur, wie es im Mund knuspert, schäumt und prickelt, schmeckt Süßes, Salziges und Saures und lässt sich vom Duft der Gewürze verzaubern.
”Wie es im Mund knuspert, schäumt und prickelt …
Doch es ist nicht nur der aufmerksame Konsum einer eindrucksvollen Zubereitung, der kulinarische Glücksmomente verschaffen kann, es ist auch die eigene Aktivität am Herd. Das Kochen für oder mit Familie und Freunden. Erleben, wie ein Rezept, eine Idee zu einem köstlichen Gericht wächst. Wie groß diese Sehnsucht nach Kochen und Essen als Gemeinschaftserlebnis ist, zeigt schon die Zahl der Kochsendungen im deutschen Fernsehen und deren Einschaltquoten. Und das, obwohl das Geruchs- und Geschmacksfernsehen immer noch nicht erfunden ist. Wer die Bedeutung der sozialen Komponente des Kochens in der heutigen Zeit ermessen will, unsere tief verwurzelte Sehnsucht nach Essen als Gemeinschaftserlebnis, der kommt am Erfolg der Koch-Shows nicht vorbei. Die Flexibilisierung der Arbeitswelt, der Zerfall der Großfamilie und die rasante Zunahme an Single-Haushalten haben zwar die Lebenswirklichkeit verändert, aber der Sehnsucht nach Essen als Gemeinschaftserlebnis nichts anhaben können. Koch-Shows sind ein Spiegelbild dieser Sehnsucht, und in dem einen oder anderen Fall tragen sie wohl auch dazu bei, dass ihr Taten folgen.
Am Ende ist es gar nicht so schwer, das kulinarische Glück zu finden, beherzigt man ein paar Regeln. Wenn man zum Beispiel gute Zutaten aus nachhaltiger, ökologischer Produktion auswählt, die einen nicht mit dem Gewissen hadern lassen. Wenn man seine Bedürfnisse regulieren lernt, dem Essen Aufmerksamkeit widmet, sowohl beim Kochen wie beim Verzehr. Wenn man realistisch mit den eigenen Erwartungen umgeht und in Gemeinschaft genießen kann. Ja, dann kann auch der Grünkohl große Momente bescheren. Mit und ohne Wurst.
Klaus Dahlbeck ist Journalist und schreibt seit langem über Genuss in allen kulinarischen Formen und Lagen, unter anderem im Blog Kompottsurfer.
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