Glück-Wunsch
Resilient fürs Leben
Glücklich zu sein kann man lernen. An einigen Schulen in Deutschland wird es inzwischen als Unterrichtsfach angeboten. Wie man eine erfolgreiche Karriere entwickelt oder die große Liebe fürs Leben findet, lernt man dort nicht. Selbstbewusst und zufrieden durchs Leben zu gehen, das hingegen schon.
Von Nicole Walter
Sie werden belächelt als Schmetterlings-Pädagogen oder misstrauisch beäugt als Außenposten von Scientology. Wer Glück als Schulfach unterrichtet, braucht ein dickes Fell. An gut 60 Schulen in Deutschland hat das Glück mittlerweile einen festen Platz im Stundenplan, zwischen Mathe, Physik und Geschichte. Obwohl das Wort Glück große Phantasien anregt, geht es in den Klassenräumen nicht um den Sechser im Lotto, die Weltreise oder die ewige Liebe. Sondern darum, im Alltag sein persönliches Wohlsein selbst zu gestalten.
Katja Reuter bringt das schon den jüngsten Schülern bei. Sie unterrichtet Glück an der Grundschule am Obersforstbach in Aachen. Die Mutter von zwei Kindern hat als Tanz- und Bewegungstherapeutin im beruflichen Alltag viel mit Menschen zu tun, die in persönliche Schwierigkeiten geraten sind. „Ich habe gemerkt, was der Leistungsdruck und die Hetze in unserer Gesellschaft mit der Seele machen“, sagt sie. „In der Schule lernt man nicht, wie man das gut in den Griff bekommt, dabei müsste man schon früh damit anfangen.“ Und dann habe der Zufall ihr Ernst Fritz-Schubert geschenkt, erzählt sie augenzwinkernd. Von ihm erzählen viele Glückslehrer mit ehrfürchtiger Begeisterung, so dass man fast wirklich an eine Sekte glaubt. Aber der inzwischen 65-jährige Fritz-Schubert hat den Glücksunterricht in Deutschland geprägt wie kein zweiter, als Schulleiter verfügt er zudem über viele praktische Erfahrungen.
In Aachen war Katja Reuters erste Anlaufstelle nach der absolvierten Glücks-Weiterbildung die Grundschule ihres Sohnes. Die Schulleiterin Maria Schiefer hatte sie schnell auf ihrer Seite. „Das ist ein toller Ansatz“, sagt Schiefer. „Es war ohnehin schon in unserem Schulprogramm verankert, dass wir den Kindern nicht nur Inhalte vermitteln, sondern auch das soziale Miteinander und die emotionalen Aspekte fördern.“ An der Grundschule am Oberforstbach werden inzwischen alle Schüler in Glück unterrichtet. Katja Reuter beginnt jede Stunde in einem großen Kreis, die Kinder werfen sich einen Ball zu und jedes erzählt, worüber es sich an diesem Tag schon gefreut hat. Die guten Eigenschaften, die jedes Kind im Laufe des Unterrichts an sich entdeckt, fasst die Glückslehrerin in einer gemeinsamen „Sonne der Stärken“ zusammen.
Verlassen die Kinder die Grundschule, dann haben sie einiges im Gepäck: „Da ist zum einen der Teamgeist“, sagt Reuter. Und die Kinder würden aneinander wachsen, sie lernten, ihre kreativen Ressourcen zu nutzen und an ihren Zielen dranzubleiben. „Fängt man früh damit an, dann kann man verhindern, dass die Kinder später in den Brunnen fallen“, bringt Reuter es auf den Punkt.
Glück in der Schule ...
Aktuell leiden drei bis zehn Prozent aller Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren unter einer Depression, so das Deutsche Bündnis gegen Depression. Laut einer Unicef-Studie geht es den Kindern und Jugendlichen hierzulande nach objektiven Kriterien wie materiellem Wohlstand, Bildung und Gesundheit ganz gut. Doch sie selbst empfinden sich nicht im gleichem Maß als glücklich, in keinem anderen der 29 untersuchten Länder klafften Objektives und persönliches Glücksempfinden so weit auseinander wie in Deutschland, schreiben die Unicef-Forscher.
Hier setzt der Glücksunterricht an. Gerade in sozial nicht ganz einfachen Stadtteilen ist er von Wert. Helmut Richter und seine Kollegen machen sich am Willy-Brandt-Berufskolleg in Duisburg-Rheinhausen mit Berufsfachschülern auf den Weg zum Glück. Dazu gehört auch, gemeinsam zu kochen und sich mal ein richtig gutes Essen im Restaurant zu gönnen. Vor allem aber geht es darum, seine eigenen Stärken kennenzulernen, gute Momente genießen zu lernen und sich und anderen zu vertrauen. Vier von fünf Schülern haben einen Migrationshintergrund, viele kommen aus schwierigen familiären Verhältnissen. „Deshalb habe ich nach der Lektüre von Fritz-Schuberts Buch gedacht, das ist genau das, was wir hier brauchen“, sagt Schulleiter Richter. „Wir merken, dass durch den Unterricht die Motivation der Schüler auch für andere Fächer wächst, dass ihre Anwesenheit in der Schule steigt, dass sie aktiver ihr Leben planen und sich zum Beispiel besser auf Klassenarbeiten vorbereiten“, erzählt Anke Roeßing, die das Fach unterrichtet. Ganz ähnliche Erfahrungen macht Ingrid Noack, die Glück am Beruflichen Schulzentrum Bietigheim-Bissigheim für 15- bis 17-jährige Wirtschaftsfachschüler unterrichtet. „Wir können nicht nachweisen, dass ihre Noten besser sind, aber die Schüler haben eine höhere soziale Kompetenz als andere, der Zusammenhalt untereinander ist stärker“, sagt Noack. Und: „Sie lernen ihre Schule als Wohlfühlort kennen. Fachleute halten dies für das beste Mittel der Gewaltprävention an Schulen.
Um das Fach Glück fest in der Schule zu verankern, braucht es immer das besondere Engagement der Schüler, Lehrer und Schulleiter. Sie müssen das Fach in die ohnehin vollen Stundenpläne einfügen, die Schulbehörden vom Konzept überzeugen und eine Finanzierung aufbauen, oft mit einer Jahr um Jahr neu erkämpften Mischung aus staatlichen Mitteln und privatem Sponsoring.
... resilient für das Leben
Auch Ingrid Noack absolvierte die Weiterbildung in ihrer Freizeit. Die meisten Übungen aus dem Unterricht hat sie dort selbst erprobt. Ein Beispiel: der Ziel-Skalenlauf. Dabei hält sich jeder Schüler eines seiner Ziele vor Augen. Beispielsweise ein Sieg im 100-Meter-Lauf, das gute Bestehen der nächsten Klassenarbeit. Auf einer Skala von Null bis Zehn, praktisch markiert durch Karten auf dem Klassenboden, stellt er sich dorthin, wo er sich auf dem Weg zum Ziel sieht. Dann kommen seine Mitschüler ins Spiel: Während ihm die einen von rechts seine positiven Eigenschaften wie ein Mantra zurufen – du bist geduldig, du hast Ausdauer, du bist fröhlich – kommen die anderen von links mit den negativen Eigenschaften, faul zu sein oder keine Lust zu haben. Der Schüler in der Mitte schließt die Augen, hört einfach nur zu. „Nach einer Weile hört man nur noch das Gute“, sagt Noack aus eigener Erfahrung. Geht es anschließend erneut um die Frage, wie weit man auf dem Weg zum Ziel vorangekommen ist, dann stelle sich jeder ein oder zwei Schritte weiter vorne hin. „Die Schüler spüren, wie es sich emotional, kognitiv und körperlich anfühlt, wenn man seinem Ziel näher kommt und dass Hindernisse sich mit Hilfe der Stärken überwinden lassen, das motiviert.“
Wenn sich die Schüler dann nach Abschluss der Schule für eine Ausbildung entscheiden und Bewerbungen schreiben, dann greifen sie nicht nur auf ihre im Unterricht betonten Stärken zurück, sondern sie haben auch in praktischen Übungen gelernt, sich zu konzentrieren und zu fokussieren. Und bei der Berufsfindung kommt der Glücksunterricht dann ganz konkret zum Tragen: „Die Schüler lernen bei uns, ihre Stärken und Interessen gut einzuschätzen“, sagt Roeßing. „Dadurch bleibt ihnen viel Frust auf dem Arbeitsmarkt erspart, weil sie eher eine für sie gut passende Ausbildung finden.“
Nicole Walter ist Journalistin in Berlin und schreibt über Themen aus Wirtschaft und Gesellschaft.
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