Vielfalt

Divers ist besser

Organisationen und Unternehmen sind umso effizienter und sozialer, je diverser und heterogener ihre Belegschaften sind, das ist eigentlich seit langem klar. Personelle und soziale Vielfalt sind wichtig für konstruktive und kreative Lösungen – nicht nur für die gegenwärtigen Herausforderungen, sondern auch für eine ebenso diverse Kundschaft. Diversität in Organisationen ist somit sogar eine zentrale Voraussetzung für den nachhaltigen Unternehmenserfolg. In Deutschland nutzen jedoch noch viel zu wenige Unternehmen die Potenziale des Diversity Managements.

Von Markus Kühlert


Die Notwendigkeit zum Wandel ist für Unternehmen nichts Neues, vielmehr ist er ihr ständiger Begleiter. Schon seit längerem müssen sie ihre Geschäftsstrategien und -prozesse an einem zunehmend komplexeren, dynamischeren und diverseren Marktumfeld ausrichten. Megatrends wie eine globalisierte Wirtschaft, der demografische Wandel, das Aufbrechen geschlechterspezifischer Rollenmuster und steigende Individualisierung können jedoch Unternehmen auch genau den Orientierungsrahmen bieten, den sie durch die Entwicklung neuer Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle für ihre eigene Zukunftssicherung ausfüllen können. Der Transition Design Guide des Wuppertal Instituts beschreibt, wie das gelingen kann.

Um den vielfältigen Herausforderungen und Chancen adäquat zu begegnen, benötigen Unternehmen ebenso vielfältige, kreative und innovative Lösungen. Die Chancen dafür sind mit Mitarbeitenden mit unterschiedlichen Perspektiven wesentlich größer als in homogenen Strukturen. Erforderlich ist eine kreative Zusammenzuarbeit vielfältiger Positionen, um bisher unberücksichtigte Bedürfnisse, Chancen und Herausforderungen in die so genannten Innovationsprozesse zu integrieren.

Mitarbeitende mit unterschiedlichen körperlichen und geistigen Fähigkeiten, von unterschiedlichem Alter, Geschlecht, vielfältiger sexueller Orientierung, ethnischer Herkunft und Nationalität, Religionszugehörigkeit und Weltanschauung können genau deshalb kreativere und innovativere Nutzenversprechen für den komplexen und vielfältigen Markt entwickeln (Übersicht der Dimensionen von Vielfalt in Abbildung 1 im factory-Magazin Vielfalt).

Sie bringen als individuelle Experten*innen ihres eigenen Lebensstiles und ihres sozialen und kulturellen Umfeldes Erfahrungen und Kompetenzen für bedarfsgerechte Innovationsentwicklungen ein und sind somit von zentraler Bedeutung für den Unternehmenserfolg. So können spezifische Bedürfnisse einer Zielgruppe – wie zum Beispiel junge berufstätige Eltern, die sich eine einfache, nachhaltige und gesunde Ernährung für die Familie wünschen – durch Produkte und Dienstleistungen mit der Expertise der Mitarbeitenden – in diesem Fall junge Eltern – nutzerzentriert und quasi „am echten Leben orientiert“ entwickelt werden.

In einer Studie der Jobvermittler-Plattform Stepstone und Handelsblatt Media Group von 2020 messen 70 Prozent der 11.000 Befragten dem „Diversity Management“, also der gezielten Organisation personeller Vielfalt, einen großen positiven Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen bei. Divers aufgestellte Unternehmen sind zudem interessanter für eine breitere Bewerber*innengruppe. Der Studie zufolge würden sich 77 Prozent der Befragten eher in einem Unternehmen mit Diversity Management bewerben – 40 Prozent würden für mehr Vielfalt sogar auf Gehalt verzichten. Eine hohe Diversität kann demnach die Identifikation der Mitarbeitenden mit dem Unternehmen und somit deren Motivation und Leistungsbereitschaft stärken.
 
Laut einer Studie des Statistik-Portals Statista, in der über 80.000 Mitarbeitende aus fünf verschiedenen Ländern (Großbritannien, Österreich, Deutschland, Frankreich und der Schweiz) im Jahr 2019 befragt wurden, besteht ein starker Zusammenhang zwischen der Zufriedenheit der Mitarbeitenden mit dem Unternehmen im allgemeinen und deren Zufriedenheit mit der Diversity Politik des Unternehmens.

Gleichzeitig kann Vielfalt auch zur Krisenfestigkeit von Unternehmen beitragen: „(...) Heterogene Chefetagen stärken laut fast 70 Prozent der Befragten die Mitarbeitermotivation und treffen für zwei Drittel der Teilnehmenden auch in komplexen Situationen eher den richtigen Ton“ (Stepstone und Handelsblatt 2020).

Zugleich ist divers organisiertes Wirtschaften nicht nur Mittel für Zukunftssicherung und wirtschaftlichen Erfolg: Durch ein an Vielfalt orientiertes Wirtschaften leisten Unternehmen einen wertvollen Beitrag für eine gerechte, vorurteils- und diskriminierungsfreie Gesellschaft. Wer am Arbeitsplatz Toleranz und Akzeptanz von Unterschieden erfährt, ist gern auch Botschafter*in für eine offene Gesellschaft.

Was bedeutet das für das Diversity Managment?

Diversity Management (kurz: DiM) ist ein Managementkonzept, das genau hier ansetzt. Es nutzt die Vielfalt der Mitarbeitenden in Unternehmen bewusst als gewinnbringendes Potential für den Unternehmenserfolg und die gesellschaftliche Entwicklung. Um ihre gesamte Leistungsfähigkeit zu wecken, werden sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten für eine bedarfsorientierte Förderung der Beschäftigten aufgegriffen, so beschreibt es die Selbstverpflichtungsinitiative Charta der Vielfalt 2020. DiM umfasst zudem Instrumente zur Planung, Umsetzung sowie Überprüfung einer schrittweisen Implementierung von Vielfalt im Unternehmen über gesetzliche Vorschriften hinaus.

In ihrem Lehrbuch Personal: Diversity Management definiert Swetlana Franken drei Entwicklungsstufen des Diversity Managements: von Stufe eins, die sich von der "Idee der Gleichheit" und "gegen jegliche Diskriminierung" richtet, über Stufe zwei, mit der die individuellen Unterschiede legitimiert und akzeptiert werden, bis hin zu einer dritten Stufe, die den Paradigmenwechsel einläutet und Diversität als Potential erkennt.

DiM ist zudem ein integraler Bestandteil des betrieblichen Nachhaltigkeitsmanagements gemäß des einschlägigen und international anerkannten Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung der Global Reporting Intiative (GRI). Demnach ist verpflichtend darüber zu berichten, wie Vielfalt und Chancengleichheit in Unternehmensstrukturen etabliert werden, insbesondere in Führungs- und Kontrollorganen (Vorstand, Aufsichtsrat, Betriebsrat; Unterschiede zwischen Hierarchien, z. B. Vergleich der Diversität aller Beschäftigten im Vergleich zur Diversität in der Geschäftsführung). Auch nach dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) sollen Unternehmen ihre Ziele und Leistungsindikatoren zur Umsetzung von Vielfalt im Unternehmen offenlegen und darstellen, wie sie gesetzlichen Bestimmungen im Unternehmen umsetzen.

Wie wird Vielfalt in Deutschland reguliert?

Seit 2006 greift in der Bundesrepublik Deutschland das Allgemeine Gleichstellungsgesetz, dessen Anwendungsbereich sich konkret auf den Arbeitsmarkt bezieht. „Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“, heißt es bei der zuständigen Antidiskriminierungsstelle des Bundes. In dem Gesetz werden unter anderem konkrete Anwendungsbereiche, Maßnahmen und Pflichten des Arbeitgebers, das Beschwerderecht und Entschädigungen bzw. Schadensersatz geregt.

So ist der Arbeitgeber auch dazu verpflichtet, notwendige vorbeugende Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen aufgrund der genannten Diversitätsmerkmale umzusetzen. Um die Anforderungen des Gesetzes in der Praxis erfolgreich zu etablieren, wurde im selben Jahr die “Charta der Vielfalt” gegründet – eine Initiative von Arbeitgebenden mit Unterstützung der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Aktuell haben 3.800 Unternehmen dort unterzeichnet. Mit der Charta unterzeichnen Arbeitgebende eine Selbstverpflichtung, Chancengleichheit für ihre Beschäftigten zu stärken. Sie bietet darüber hinaus Unternehmen eine Plattform zur Weiterbildung und Vernetzung.

Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich?

Zehn Jahre nach ihrer Gründung zog die Charta der Vielfalt 2016 eine erste Bilanz: Bis zu diesem Zeitpunkt hatte lediglich ein Drittel der deutschen Unternehmen Maßnahmen für eine diversere Unternehmenskultur umgesetzt und nur 19 Prozent planen dies. Den neueren Studienergebnissen von Stepstone und Handelsblatt Media Group zufolge liegt Deutschland im internationalen Vergleich auch aktuell noch – trotz Verbesserungen – zurück. Nur ein Drittel der 11.000 Befragten gibt an, dass deutsche Unternehmen sich positiv hinsichtlich Diversität entwickelt haben, Frankreich sehen dagegen die Hälfte und Großbritannien zwei Drittel der Befragten weiter vorn. Die Vorreiterrolle Großbritanniens wird auch durch Studienergebnisse beim Datenanbieter Statista bestätigt: Im Vergleich von fünf Ländern sind in Großbritannien die Mitarbeitenden mit der Diversity-Politik der Unternehmen am zufriedensten, gefolgt von der Schweiz, Australien, Deutschland und Frankreich.

Es scheint also, als würden gerade deutsche Unternehmen das Potential von Diversity Management in der Breite noch nicht ausreichend ausschöpfen. Dabei hat es sich längst als ein so einfach zu nutzendes, rein organisatorisches Instrument zur Gleichbehandlung und unternehmerischen Verbesserung erwiesen. Aber offenbar muss sich im deutschen Unternehmertum Diversitätsorientierung zur Zukunftssicherung erst noch etablieren. Organisationen und Unternehmen, die diesen Weg nutzen wollen, können sich von den Best Practice Beispielen der Plattform „Charta der Vielfalt“ inspirieren lassen. Sie zeigen die sichtbaren Erfolge von mehr Diversität in Unternehmen jeder Größe und Branche.


Markus Kühlert ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wuppertal Institut, Forschungsbereich Produkt- und Konsumsysteme in der Abteilung Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren.

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