Freiheit
Die Freiheit in Zeiten des Klimawandels
Über die Freiheit, das Richtige tun zu können
Behindern Bürokratie und Verordnungen eine bessere Wirtschaft? Oder braucht es stattdessen mehr Umweltauflagen für eine klimaschützende Wirtschaft? Wenn Verbrauchsmessungen von der Autoindustrie durchgeführt werden oder die Gebäude-Energieeinsparverordnung zu mehr statt weniger Ressourcenverbrauch führt, läuft etwas falsch. Eine Circular Economy und ressourceneffiziente Unternehmen benötigen andere Rahmenbedingungen.
Von Klaus Dosch
Beim Tanken kann ich mich jedes Mal ärgern. Der Bordcomputer meines Autos meldet einen Durchschnittsverbrauch von 5,1 Liter Diesel auf 100 Kilometer (l/km) für die letzte Tankfüllung. Ich fahre vorsichtig, in der Spitze kaum schneller als 120, in der Stadt schwimme ich mit, keine Ampelspurts, kein „sportliches“ Brausen durch Landstraßenkurven. Sozusagen mit einem rohen Ei zwischen Schuhsohle und Gaspedal. Bei dieser Fahrweise erwarte ich einen wesentlich geringeren Verbrauch, 3,6 Liter auf 100 Kilometer hatte der Verkaufsprospekt versprochen. 3,6 l auf 100 km! Das schaffe ich seit zweieinhalb Jahren nicht. Und es liegt nicht an der Fahrweise: Früher war ich mit meinem „Dreiliter“-Auto aus dem Jahr 2000 tatsächlich mit dem angegebenen Verbrauch ausgekommen, mal etwas mehr, mal sogar deutlich weniger. Der Rekord stand auf 2,4 l/100km. Mit den jetzt 42 Prozent Mehrverbrauch über der Prospektversprechung liege ich genau im Mittelfeld der 20 Fahrer, die der Plattform spritmonitor.de ihre Verbrauchsdaten zur Verfügung stellen. Kein Ausreißer also. Aber warum ist das so?
Ein Verbrauchstest für falsche Versprechen
Der Grund liegt im Neuen Europäische Fahrzyklus (NEFZ). Nach diesem Testzyklus wurden seit 1996 die Emissionen von Fahrzeugen gemessen – und damit auch deren Kraftstoffverbrauch. Dieser NEFZ scheint ein Produkt durchaus erfolgreicher Lobbyarbeit der Autoindustrie zu sein. Der Fahrzyklus dauert knapp 20 Minuten. Er wird auf einem Rollenprüfstand im Labor absolviert. Zwei Drittel der Zeit wird eine Stadtfahrt simuliert, ein Drittel eine Überlandfahrt mit einer Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h für 10 Sekunden. 20 Prozent des Fahrzyklus steht das Fahrzeug. Die durchschnittlich abgerufene Motorleistung beträgt rund 4 Kilowatt (kW; 5,4 PS), die maximale Leistung zur Beschleunigung des Fahrzeuges 34 kW (46 PS). Das entspricht in etwa der Motorleistung eines VW Käfers der späten Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts.
Neben den völlig realitätsfremden Geschwindigkeiten und Beschleunigungen wurden andere Rahmenparameter besonders autoindustriefreundlich festgelegt: Extrem hoher Reifendruck ist erlaubt, damit sinkt der Rollwiderstand. Die Batterie ist vollgeladen, die kraftzehrende Lichtmaschine kann daher abgeklemmt werden. Die Außentemperatur liegt bei kommoden 20 bis 30 Grad Celsius, Klimaanlage, Heizung und Lüftung bleiben abgeschaltet. Selbst Veränderungen an der Motorelektronik wurden (und werden) zur Verbrauchs- und Emissionsreduktion eingesetzt. Und zum Schluss dürfen nochmal vier Prozent Toleranz abgezogen werden.
Es scheint, als hätten die Ingenieure in den letzten 20 Jahren diesen Fahrzyklus immer besser begriffen. Die vermeintlichen Effizienzgewinne der Fahrzeuge haben sich größtenteils als Luftbuchungen herausgestellt. Trotzdem wird er nach wie vor für die Berechnung der PKW-Flottenverbräuche herangezogen. Und, große Überraschung: Trotz einer signifikanten Reduktion des Flottenverbrauchs sinken die Treibhausgasemissionen im Verkehr nicht.
Die Unfreiheit der Ingenieure
Nun ist der NEFZ zum Glück seit 2017 durch einen neuen Fahrzyklus abgelöst, der deutlich näher an der Realität zu sein scheint. Mein Auto, das mit dem 3,6 l/100 km NEFZ-Normverbrauch, verbraucht nun nach dem neuen WLTP - Zyklus zwischen 5,2 und 5,5 l/100 km (WLTP = Worldwide harmonized Light vehicles Test Procedure). Flottenverbräuche als Grundlage eventueller Strafzahlungen der Autoindustrie werden allerdings in einer Übergangszeit immer noch basierend auf dem NEFZ berechnet. Die näher an der Realität liegenden Emissionswerte des WLTP würden sonst zu erheblichen Strafzahlungen der Autoindustrie an die EU führen.
Das alles ist ausgesprochen bitter, wurde doch mehr als 20 Jahre die Intelligenz der Ingenieure nicht zur tatsächlichen Reduktion von Verbrauch und Emissionen genutzt, sondern zur meist völlig legalen Optimierung der Testbedingungen eines PKW auf dem Emissionsprüfstand.
Nicht auszudenken, in welche Richtung sich der Automobilmarkt entwickelt hätte, wenn die wahren Kraftstoffverbräuche der immer stärker werdenden SUV, Minivans und Limousinen berücksichtigt worden wären und zu einer Strategieänderung geführt hätten. Und dabei sprechen wir hier noch nicht über den so genannten Dieselskandal, für den findige Ingenieure Abschalteinrichtungen für Abgastests entwarfen, um die Grenzwerte für Stickoxide einhalten zu können.
Die Norm verschiebt die Bilanz
Ganz ähnlich sieht es in einem weiteren ebenso wichtigen Sektor aus: beim Haus- und Wohnungsbau. Seit 1977 werden die Heizenergieverbräuche durch Wärmeschutz- (WSchVO) bzw. Energieeinsparverordnungen (EnEV) gedeckelt. Den Grenzverbrauch von damals weit über 300 Kilowatt pro Quadratmeter und Jahr (kW/m2/a) unterschreiten genehmigungsfähige Gebäude mittlerweile deutlich mit unter 55 kWh/m2/a: Eine Einsparung von rund 85 Prozent.
Trotzdem wird über eine weitere Verschärfung der EnEV bzw. des neuen Gebäudeenergiegesetzes debattiert. So sind in den mittlerweile erreichten „Energieverbrauchsregionen“ der aktuellen EnEV 2016 Gebäude denkbar – und werden auch realisiert – für deren Errichtung die notwendigen Baustoffe um Faktoren mehr Primärenergie verbrauchen und Treibhausgase emittieren, als in 50 Jahren der Nutzung. Dabei ist es der Atmosphäre doch völlig egal, ob die Treibhausgase aus der Beheizung oder der Produktion der Baustoffe stammen.
Während beim E-Auto der hohe Ressourcenaufwand für die Produktion in der Kritik steht, scheint er beim Bauen völlig egal zu sein. Dabei gehört der Sektor zu den rohstoffintensivsten und damit klimarelevantesten Wirtschaftsbereichen: 90 Prozent (560 Mio. t) aller in Deutschland verwendeten mineralischen Rohstoffe werden jedes Jahr zur Herstellung von Baustoffen eingesetzt, und Bauabfälle machen 54 Prozent des deutschen Abfallaufkommens aus. Angesichts der Verschiebung des Treibhausgasaustoßes von der Nutzungs- hin zur Produktionsseite wäre längst ein Gebäuderessourcengesetz mit Blick auf den Lebenszyklus von Gebäuden nötig, wie es nun endlich die Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen fordert.
Verbindliche Emissionsziele statt Innovationsverhinderung
Beide Beispiele zeigen, wie eine vermeintlich industriefreundliche Rahmensetzung Innovationen verhindert und damit die Freiheit zur Entwicklung der jeweils besten Lösungen behindert. Besser für den Automobilsektor wären verbindliche Emissionsziele unter Realbedingungen gewesen, die von Autogeneration zu Autogeneration kontinuierlich gesenkt und damit dem langfristigen deutschen Emissionsreduktionspfad angepasst worden wären. Damit wäre ein Innovationswettbewerb angestoßen worden, dessen Ziel im besten Fall ein lebenszyklusweit treibhausgasneutrales Fahrzeug gewesen wäre. Die Motorleistung wäre vermutlich nicht gesteigert, sondern eher reduziert worden, ein Tempolimit längst kein Thema mehr. Pseudoinnovationen, die vom Versagen der Autoindustrie in den letzten 20 Jahren ablenken, wären uns vermutlich erspart geblieben.
Statt aus diesem Desaster zu lernen, tappt die Politik heute erneut in die gleiche Falle und statt ein langfristiges Ziel vorzugeben und auf dem Weg dorthin einige Wegmarken zu benennen, wird nun der Verbrennungsmotor zu Grabe getragen. Elektrisch soll die automobile Fortbewegung zukünftig sein. Und damit CO2-frei. Es wird eine Technologie vorgegeben, über deren Sinnhaftigkeit durchaus Uneinigkeit herrscht: Während das Bundesumweltministerium in einer im Oktober 2019 veröffentlichten Publikation einen Vorteil von 16 Prozent für das Elektroauto feststellt, gibt es andere Studien, die beide Antriebsarten bestenfalls gleichauf sehen. Alle sind sich einig: Die Batterie erzeugt das Gros der Treibhausgasemissionen. Je größer die Batterie, desto weiter lässt sich elektrisch fahren, desto größer ist aber auch der CO2-Rucksack des Fahrzeuges. Da Autofahrer keine Reichweitenangst mögen, werden sich die Batterien wohl noch weiter vergrößern – und damit der Treibhausgas-Rucksack des Autos. Solange Elektroautos wider besseren Wissens rechnerisch mit Null-Emissionen durch die Gegend stromern, gibt es keinen Innovationswettbewerb um die CO2-ärmste Lösung. Der „göttliche Ingenieur“ arbeitet stattdessen an größeren Batterien, mehr Komfort, mehr Leistung. Da die mit der Rohstoffproduktion für die Batterien verbundenen Emissionen nicht in der deutschen Treibhausgasbilanz auftauchen, wird der Beifall groß werden. Die globalen Treibhausgasemissionen dürften dabei allerdings kaum sinken.
Das ganze Auto und das ganze Haus
Wirklich intelligent wäre es, Rahmenbedingungen so zu setzen, dass ein Wettbewerb um die beste Lösung angestoßen wird. Beim Auto geht es um Mobilität. Also geht es darum, lebenszyklusweit Treibhausgasemissionen für den Personentransport zu minimieren. Wenn die Politik dabei ambitionierte Minderungskorridore über 20 Jahre festlegt, können die Ingenieure loslegen. Und nicht nur die: Womöglich kommen am Schluss Lösungen heraus, die Hightech-Automobile mit ganz neuen Geschäftsmodellen verbinden. Franz Vranitzky, ehemaliger Österreichischer Kanzler, beklagt die österreichische Tendenz, Innovation als letztes Glied einer Kette zu sehen, deren erstes Glied die öffentliche Förderung ist. Wer sich die deutsche Förderpolitik der Elektromobilität ansieht, weiß, dass es diese Tendenz nicht nur in Österreich gibt.
Beim Wohnen kann es ähnlich gehen. Wird Schritt für Schritt eine Grenze für den lebenszyklusweiten Verbrauch des Gebäudes an natürlichen Ressourcen abgesenkt, verändert sich die Baukultur. Weg vom ressourcenfressenden Manufakturgebäude hin zu intelligenten, flexiblen, kreislauffähigen und modular konzipierten Bauwerken, wahrscheinlich sogar in Kombination mit neuen Wohnmodellen. Verändern wir die Rahmenbedingungen hingegen nicht, bekommen wir phantastisch schöngerechnete Gebäude, die sogar mehr Energie produzieren als sie verbrauchen – die Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen allerdings wird kaum sinken, ein Beitrag zur notwendigen ressourcenintelligenten Baukultur für das 21. Jahrhundert wohl ausbleiben.
Die Freiheit zur Innovation braucht Ziele statt Grenzen
Wettbewerb und ein von möglichst intelligent konzipierten Rahmenbedingungen geleiteter freier Markt sind bislang das wirkungsvollste Steuerungsinstrument unserer Wirtschaft. Es ist allerdings ein Paradigmenwechsel notwendig, zu dem Emissionspreise und Ressourcensteuern gehöhren (siehe factory 2-2019 „Steuern“). Der größte Gefallen, den man der Wirtschaft tun kann, wäre es, Innovationen durch gemeinwohlorientierte und klimarelevante Auflagen zu stimulieren und herauszufordern. Ein erderhitzendes Weiter-so ist garantiert, wenn wir wie bisher die Wirtschaft in weiche Watte packen und ihr selbst die Innovationsdynamik überlassen – um die so genannte unternehmerische Freiheit zu schützen.
Um es fürs Standort-Marketing deutlich zu sagen: Deutschlands USP (Unique-Selling-Proposition) auf den Märkten der Welt sind die innovativen Produkte seiner Wirtschaft. Sie sind der Konkurrenz oft ein Schrittchen voraus. Wie hilfreich wäre es da, den Innovationseifer der Wirtschaft zu unterstützen. Leider sieht die Realität anders aus. Gutbezahlte Lobbyisten werfen sich ziemlich erfolgreich vermeintlich schützend vor die Industrie und stellen sich so notwendigen Veränderungen in den Weg – siehe NEFZ, EnEV etc. Auf diese Weise behindern sie jedoch ressourceneffiziente Innovationen. Die Politik müsste diese Lobby-induzierten Normen durch spezifische Zielvorgaben ersetzen, wenn sie mehr Klimaschutz will.
Klaus Dosch leitet die Faktor-X-Agentur in Inden im rheinischen Braunkohlerevier bei Aachen, die sich für besonders klima- und ressourcenschonendes Bauen mit einer um den Faktor X (z. B. 2 oder 4) verbesserten Ressourceneffizienz einsetzt.
Alle Beiträge zum Thema lesen Sie im gleichnamigen factory-Magazin Freiheit. Das Magazin im praktischen DIN A 5 Querformat lässt sich kostenlos laden und ist angenehm lesbar auf Bildschirmen und Tablet-Computern. Wie immer ist es dazu vielfältig illustriert und enthält sämtliche Artikel, dazu entsprechende Zahlen und Zitate. Online im Themenbereich sind ebenfalls einige Beiträge verfügbar – dort lassen sie sich auch kommentieren und bewerten.
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