Freiheit
Das Grundeinkommen zwischen Arbeitsgesellschaft und Absatzförderung
Ein bedingungsloses Grundeinkommen könne eine nachhaltigere Wirtschaftsweise beflügeln, weil es die Menschen von alten Zwängen befreie, sagen die einen. Andere behaupten, dass es bestens mit dem neoliberalen Zeitgeist harmonieren und die Konsumorientierung garantieren würde. Eine „Richtungsforderung“ nach einem Grundeinkommen verhieße ein Ende einer unfreien Arbeitsgesellschaft – nachhaltig würde sie erst mit einer Höchstgrenze für den Konsum.
Von Andres Friedrichsmeier
Freiheit, das war im 19. Jahrhundert wesentlich die Beseitigung ererbter Vorrechte der Wenigen. Im "kurzen 20. Jahrhundert" – den Historikern Ivan T. Berend und Eric Hobsbawm zufolge die Zeit von 1914 bis 1991 – haben Werbung und Marketing den reicheren Teil der Menschheit trainiert, Freiheit eher materiell zu betrachten: Auto, Fernreise, Immobilie.
Sich diese drei zu erarbeiten, markierte in der Welt der Baby-Boomer, der Generation der Ende der 60er Jahre Geborenen, eine Stufe der Reifung zum „freien“ Erwachsenen: die erste (Interrail-)Reise als Unabhängigkeitserklärung vom Elternhaus, das Auto als erster allein beherrschter Ort (auch für Sex), die Immobilie als Garant unbeschränkter Entfaltung bis zum Maschendrahtzaun. Im 21. Jahrhundert sind die Immobilienpreise inzwischen aber so hoch, dass junge Menschen realistischer vom Vorrecht des Ererbens träumen als vom eigenen Erarbeiten. Bei der heutigen Airport-Massenabfertigung empfindet man mehr Flugscham als Freiheit. Und „sozialer Erfolg“ bedeutet nicht länger nur, welche Freiheitskaufkraft das Arbeitseinkommen nach Dienstschluss entfaltet, sondern auch, wie frei die Arbeit ist: Bullshit-Job oder „was Kreatives“? Die Wertewelt der Boomer ist fahl geworden: Ihren Glanz verlor sie durch die Schere zwischen den monetär grundierten (Konsum-)Freiheiten der Wenigen und der in der globalen Digitalökonomie zunehmenden Prekarisierung der Vielen.
Wie frei fühlt sich -Grundeinkommen an?
Spürbar fehlt ein Update für die Definition von Freiheit im 21. Jahrhundert. Wird das Grundeinkommen dazugehören, weil es Ende 2019 sogar im SPD-Vorsitz angekommen ist? Die Frage nach der Freiheit, die sie persönlich empfand, als sie bei meingrundeinkommen.de als 423. Person bedingungslos 12 Monate mit jeweils 1000 Euro gewann, beantwortet Lisa so:
„Mein Umfeld hat sich sehr mit mir gefreut, dafür bin ich wirklich dankbar. Die verschiedenen Optionen, die das Geld dann bedeutete, haben mich jedoch relativ rasch auch überfordert. Prinzipiell hoffe ich auf die Möglichkeit, unseren antrainierten Drang nach individueller Selbstverwirklichung mit neuen gesellschaftlichen Modellen, die mehr auf das Gemeinwohl hin orientiert sind, zu synthetisieren. Das erhöht für mich den Druck. Weil zumindest jede radikale Möglichkeit eine ganze Reihe an Konsequenzen nach sich zieht. Deshalb spare ich das Geld erstmal an, und wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist, werde ich es sinnvoll einsetzen. Auch sehe ich links und rechts von mir Leute, die es mehr verdient hätten oder zumindest auf Anhieb einsetzen könnten, weil sie zum Beispiel vor dem Schritt in die Selbstständigkeit stehen oder aber sehr geringe Einkünfte haben. Trotzdem möchte ich das positive Gefühl, das für mich damit einhergeht, nicht gering schätzen.“
Die Verlockung neuartiger Freiheit ist demnach unscharf, aber spürbar. Trotzdem würden, wie Lisa, die wenigsten ihren Job kündigen und den sprichwörtlichen Roman schreiben. Was bewirkt ein oberhalb der Armutsgrenze angesetztes Grundeinkommen dann überhaupt, abgesehen von der Umverteilung von oben nach unten, der Förderung von Selbstständigkeit und dem Ende der Harz IV-Sanktionsbürokratie?
Noch vor wenigen Jahren setzte an dieser Stelle zuverlässig bizarrer Streit darüber ein, mit welcher Modellarchitektur des Grundeinkommens sich Fortschrittliche von Neoliberalen, wie etwa Milton Friedman oder Thomas Straubhaar, voneinander abgrenzen. Heute ist es populärer, die Modelle einfach praktisch auszuprobieren. Dabei offenbart sich eine Spannung zwischen dem materiellen Gehalt eines Grundeinkommens von sagen wir 1000 Euro, und seinem darüber hinaus weisenden utopischen Anteil: dem Update der fade gewordenen Zivilreligion der Baby-Boomer mit ihrem auf Statussymbole verengten Freiheitsverständnis.
Kern des Streits: Der Bruch mit dem alten Modell
Diese konsumorientierte Zivilreligion trägt als kollektives Sinnstiftungsmodell den Namen „Arbeitsgesellschaft“. Sie umfasst längst nicht alle, die arbeiten, etwa beim Wechseln der Windeln des eigenen Kinds, im Hobbykeller oder ehrenamtlich im Verein. Das Modell folgt erstens dem Glauben, dass über monetäre Arbeitseinkommen wesentliche Teilhaberechte und soziale Position zugeteilt werden sollten – in einer „Gesellschaft“, die als synonym mit „Nation“ vorgestellt wird. Zugespitzte Logik: Wer über kein Arbeitseinkommen verfügt, hat keinen eigenständigen, sondern nur einen abhängigen Wert (Kind, Hausfrau) oder einen prüfbedürftigen, karitativ gönnbaren (Arbeitsunfähige).
Selbst Gewerkschaften versichern uns, dass wir unseren Lohn wert sind, obwohl der eher gewerkschaftsfeindlich klingende Umkehrschluss wäre, dass Arbeitseinkommen im Wesenskern dann gerecht seien, wenn der Tarifstreit gut ausgeht und der Staat mit Steuern und Wohlfahrt ausgleichend nachkorrigiert.
In ihrem Kern ist praktiziert die Zivilreligion der Baby-Boomer zweitens eine Anbetung der Entfremdung; Leistung erfolgt um der Leistung selbst und nicht um des Geleisteten willen; gerade in den Führungsebenen bedeuten Stress und lange Arbeitszeiten Ausweis von hohem Status und nicht etwa von fehlender Freiheit, denn die hat ihr Separatleben in der konsumistischen Freizeit - allerdings gilt das nur für die machtgewohnte „Mitte“ der reichen Staaten, die Besonderheiten belohnt und Standardisierung geringer schätzt.
Drittens schwingt die Leitidee mit, soziale Integration innerhalb eines Landes solle maßgeblich über Großbetriebe erfolgen; also eine Welt, in der Siemens, Daimler & Co dauerhaft Verantwortung für „ihre“ Beschäftigten übernehmen und nicht etwa wachsende Mehrheiten außerhalb dauerstabiler Arbeitsorganisationen tätig sind.
Richtungsforderung: Vom Alten ins Neue
Die Forderung nach einem wie auch immer legitimierten Grundeinkommen will raus aus dieser Wertewelt, steht aber zum Teil noch mitten drin. Ob links wie bei meingrundeinkommen.de oder neoliberal wie im staatlichen Großversuch in Finnland, die Modelle sind im Hier und jetzt vorstell- und ausprobierbar. Als Fundament dafür werden derzeit konkrete Finanzierungsmodelle für eine nationale Umsetzung ausgearbeitet. Für viele Varianten wurde das bereits mit unterschiedlichen Gewichten auf Vermögens-, Verbrauchs- und Einkommenssteuern sowie gekürztem Militäretat durchgerechnet, im Extremfall gar mit Schnitt an der in Deutschland eigentümlicher Weise meist nicht als Sozialleistung interpretierten Rente.
Zu einem anderen Teil schwebt das Grundeinkommen aber bereits in einer naturgemäß unbekannten Zukunft, in welcher die Zivilreligion der Boomer zu einer Sekte neben anderen geschrumpft wäre. Auch Grundeinkommensbefürworter sehen sich noch nicht in dieser Zukunft; auch sie empfänden als provokant, auf einer Party auf die Frage „was machst du so“ anders als mit Auskunft zur status- und einkommenszuweisenden Beschäftigung zu reagieren.
Der Politikwissenschaftler Antoni Negri und der Literaturtheoretiker Michael Hardt finden in ihren gemeinsamen Veröffentlichungen für das Grundeinkommen den Begriff der „Richtungsforderung“. Während die Umsetzung heute bereits anschaulich vorstellbar ist, transportiert die Richtungsforderung aber Prinzipien, die über das Heute hinausgehen: Jeder Mensch hat Wert, „verdient“ Einkommen, und jenseits der Ordnungswelt der Arbeitsgesellschaft locken Freiheiten, die nicht entfremdet sind.
Je deutlicher dieser utopische Gehalt wurde, desto entschiedener ist die konservative Seite aus der Grundeinkommensdebatte ausgestiegen, nachdem sie noch 2010 über den ehemaligen Thüringer Ministerpräsidenten Dieter Althaus bis in die CDU zu hören war. Dieser utopische Gehalt ist wesentlich bedeutender als die Feinheiten der Architektur der Grundeinkommensmodelle. In manchem Schwellenland kann ein Modell in Art und Höhe von deutschem Harz-IV und Kindergeld beachtliches Potenzial als Richtungsforderung entfalten. Gleichzeitig stellt der Grundeinkommensaktivist Werner Rätz für Deutschland fest, dass die bereits auf der bundespolitschen Agenda stehende Kindergrundsicherung und das vom Bundesverfassungsgericht verfügte Ende der Hartz-Sanktionen als veritable Vorstufen zu einem Grundeinkommen gelten können. Weshalb man sich ernüchtert fragt, ob wir es denn vielleicht beinahe schon haben?
Der utopische Gehalt liefert ebenso den Grund dafür, dass die Finanzierungsmodelle all jene, die im Ordnungshorizont der Arbeitsgesellschaft verschanzt sind, nie überzeugen werden: Wenn wir zukünftig weniger an Einkommensziffern orientiert arbeiten, wird das die Einkommensproduktion verändern. Die je nach Perspektive bornierte oder naheliegende Frage, „wer wird dann noch Werte schaffen“, wird auch dann noch gestellt, wenn heutige Experimente längst zeigen, dass Grundeinkommensbezieherinnen wie Lisa ihre Jobs nicht kündigen.
Ein nachhaltiges Grundeinkommen schaffen
Wieder bei der Modellfrage angelangt, sei noch auf eine bisher wenig rezipierte französische Vorschlagsvariante verwiesen. Um das Risiko weiterer Kommerzialisierung menschlicher Beziehungen durch Grundeinkommen zu vermeiden, wird der Aufbau einer nicht monetären, aber gleichwohl einkommenssubstituierenden sozialen Infrastruktur gefordert („Appel pour une civilisation de la gratuité“). Entmonetarisierende Gratisstrukturen und monetäres Grundeinkommen lassen sich auch kombinieren: Ist eine definierte Menge Strom und der Bus für mich gratis, brauche ich weniger Grundeinkommen. Wenn man so unverblümt aus einem System heraus will, in dem Geld zum Selbstzweck geworden ist, ist langfristige Finanzierbarkeit natürlich noch schwieriger abzubilden.
Ein weiterer Haken aller Modelle: Die überzeugendsten Finanzierungsrechnungen sind keynesianisch-national, sie visionieren Geld für die relativ Armen nur der westlichen Nationen als gigantisches Konjunkturpaket. Der Drogeriemarkt-Unternehmer (dm) Götz Werner etwa propagiert Grundeinkommen als Instrument für eine indirekt protektionistische Binnenkonsumförderung. Ressourcen- und klimapolitisch ist die grundeinkommens-induzierte Absatzsicherung eine Beschleunigung der Fahrt gegen die Wand, außer man zöge den logischen Schluss, dass auch die Reichsten nicht unendlich konsumieren dürfen. Notwendigerweise kombiniert man dazu eine garantierte Mindestabsicherung für die menschlichen Bedürfnisse, ob monetär oder gratis, mit einer Höchstgrenze. Die bekannteste Idee dazu heißt „Konsumkorridor“, wissenschaftlich ausgearbeitet seit etlichen Jahren etwa von der Nachhaltigkeitswissenschaftlerin Antonietta Di Giulio.
Und: Beißt sich Höchstgrenze nicht mit Selbstbestimmung? Schauen wir uns an, was der Staat, der seine Bedürftigen mit Hartz-IV-Sanktionen „fordert und fördert“, normalen Eltern für die Erziehung ihrer Kinder „zu mehr Eigenverantwortung und Selbstbestimmung“ empfiehlt, hier das bayrische Staatsinstitut für Frühpädagogik: Ein Taschengeld in regelmäßiger und weder als Belohnung noch als Strafe variierter Höhe „sollte nicht zu niedrig ausfallen, denn das Kind braucht schon einen gewissen Spielraum. Allerdings darf es auch nicht zu hoch angesetzt sein, denn es soll ja lernen, Prioritäten zu setzen.“ Vielleicht müssten auch wir für unsere eigenen Schritte in einer am „Guten Leben“ orientierten Welt einen nachhaltigen Konsum- und Taschengeldkorridor festlegen.
Dr. Andres Friedrichsmeier ist Organisationssoziologe und arbeitet für das Thüringer Bildungsministerium. Im factory-Magazin Steuern (2-2019) schrieb er zuletzt darüber, „warum Umsteuern nur mit und nie durch Steuern gelingt“.
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