Selbermachen

Die Ästhetik des Selbermachens

Häkelaktionen vs. Apple-MacBooks, improvisiert vs. industriell: Wie beeinflusst die Do-it-yourself-Bewegung junge Gestalter und was bedeutet das Selbermachen für den Ästhetikbegriff? Wie sehen ressourcenschonende Designprojekte im Zeitalter des Prosuming aus? Mit Prof. Marion Digel von der Folkwang-Universität der Künste in Essen sprach Ralf Bindel.

Frau Professor Digel, schicken Heimwerker-Mentalität, Fab- Labs, und Pre-Fab-Produkte junge Designer in die Arbeitslosigkeit?

Die DIY-Bewegung ist ja nicht neu, sie existiert seit den 1950er Jahren mit Höhepunkten in den Siebzigern. Schon immer haben sich Designer in den Prozess des Selbermachens eingemischt, wie der „Whole Earth Catalogue“ zeigt. Auch heute engagieren sich junge Designer systemisch auf der konzeptionellen Ebene. Sie stellen Pre-Fab-Projekte vor wie den e-desk oder KEEP.

Finden dort Ressourcenschutz und Selbermachen zusammen?

Die Designer reagieren auf die Nachhaltigkeitsdiskussion wie auch auf die DIY-Bewegung mit überraschenden Konzepten. Der e-desk, die Diplomarbeit von Yuki Ishiguro, nutzt den Pedalantrieb eines Nähmaschinentisches zum Aufladen von Handy oder Laptop. KEEP, die Bachelor Arbeit von Johannes Kunz, ästhetisiert und modernisiert die Weiternutzung von älteren HiFi-Geräten. Während man am e-desk arbeitet, lädt man sportlich den Akku des Notebooks, mit KEEP können Tonnen von Elektronikschrott vermieden werden.

Dazu muss man aber schon Lust haben?

Sicher. Beide Arbeiten sind sehr unterschiedliche DIY-Konzepte und setzen auf die ökologische Eigenverantwortung der Konsumenten. Die Konzepte erheben nicht den Zeigefinger, sondern holen die Menschen bei ihrer Lust am Selbermachen und bei ihrer emotionalen Verbindung zu ihren Dingen ab.

e-Desk von Yuki Ishiguro ist seine Diplomarbeit am Fachbereich Gestaltung an der Essener Folkwang Universität der Künste. Der kleine Schreibtisch basiert auf einem alten Nähmaschinengestell, die aber auch heute noch produziert werden. Mit Pedale und Riemen- antrieb erzeugt der Schreibtischarbeiter Strom über einen Gleichstromgenerator. Eine Batterie speichert den Strom und kann ihn über verschiedene Schnittstellen an Laptops oder Mobiltelefone abgeben. Betreuer: Prof. Marion Digel, Prof. Claudius LazzeroniBeide Projekte zeigen auch eine neue Art von Ästhetik.

Der e-desk verbindet die Ästhetik der Industriekultur mit der des Japanischen Minimalismus, während KEEP einerseits die Charakteristik von Geräten aus unterschiedlichen Generationen noch irgendwie „durchschimmern“ lässt, sie aber mit einer neuen Hülle überzieht. Sie überführt die Altgeräte in ein individuelles Wohnumfeld und in das digitale Zeitalter.

Wie wichtig ist diese Ästhetik?

KEEP ist kein neues Gerät, stattdessen werden langlebige weiter genutzt. Das gibt die Möglichkeit, etwas Neues zu bekommen ohne großen Ressourcenverbrauch. Der „Schrumpfschlauch“ lässt Nostalgie durchschimmern, und die Anlage erhält eine neue Identität. Wichtig ist auch, dass das jeder selbst machen kann. Es soll einfach sein – eine Ästhetik des Improvisierten.

Die kommt aber nicht bei allen an?

Bei der Generation der Konsumenten, die im Alter der Studierenden sind, schon. Sie hinterfragt den Ästhetikbegriff der Moderne als Ausdruck des Massenprodukts, auch wenn der Erfolg von Apple das Gegenteil vermuten lässt. Doch selbst da geht es um minimalen Materialeinsatz, wie bei der minimalistischen Ästhetik des Selbermachens.

Gibt es für die zukunftsträchtige Ästhetik des Selbermachens Regeln?

Wenn es überhaupt eine typische gestalterische Charakteristik gibt, dann ist es eher die individuelle Verbindung von unterschiedlichen kulturellen Einflüssen. Sicherlich gibt es wie zu Beginn der Digitalisierung im Grafikdesign gestalterische „Auswüchse“, doch sie führen auch dazu, etablierte Ästhetikbegriffe in Frage zu stellen.

Das bedeutet für Designer?

Die Rolle der Designer manifestiert sich in der Konzeption der Interaktion von Mensch/Objekt oder an Konzepten zum ökologischen Konsumverhalten. Sind die Konzepte offen für Interpretationen des Nutzers, führen sie zu einer Ästhetik des Unperfekten, des Improvisierten und des Veränderbaren. Also zu einem sehr offenen Ästhetikbegriff, der aktiv von jungen Designern gefördert wird.

Glauben Sie an die Durchsetzbarkeit derartiger Projekte?

Wenn die Ästhetik stimmt, und die Lust der Menschen, sich selbst einzubringen, dann wird sich das durchaus stärker verbreiten. Im Moment ist es eine Gegenbewegung zum Massenkonsum, aber ich glaube, dass dieser Trend sich fortsetzt. Wir können so auch Anregungen geben für Konzepte in der weniger entwickelten Welt.

Wie beliebt ist denn unter Designstudierenden die Beschäftigung mit DIY und Ressourcennutzung?

Das hängt natürlich von der Ausrichtung der Hochschule ab. Hier in Essen denken die Studierenden schon mehr über die Sinnfälligkeit von Produktion und Konsum nach. Wenn sie sich als Impulsgeber einbringen können, empfinden sie das sehr viel spannender als nur die Hülle zu gestalten. Diese Designer sind auch sehr beliebt in der Industrie. Weniger in den Styling-Abteilungen, eher in der strategischen Entwicklung.

Die Ressourceneffekte von Projekten wie e-desk oder KEEP sind aber eher gering.

Es geht um die Addition der kleinen Effekte, dem Konsumenten bewusst zu machen, dass er in jeder Hinsicht spart. Das lässt sich auch vermarkten. Ich würde sagen, über die Hälfte der Studierenden will in die Gesellschaft hinein wirken. Ökologie ist dabei nicht der einzige Aspekt des Nachhaltigkeits- Designs. Auch soziale wie Inklusion und Partizipation spielen eine Rolle. Allerdings besteht auch die Auffassung, dass ein Produkt seine Berechtigung hat, wenn es Freude bereiten kann.

Spielt Prosuming, also ein höherer Gestaltungs- und Produktionsanteil beim Konsumenten, eine Rolle für die jungen Designer?

Aber ja. Wir befassen uns ganz stark mit dem Konsumverhalten, befragen in Umfeldinterviews unterschiedliche Nutzer und erproben Konzepte und Modelle gemeinsam mit den Nutzern. Zudem wuchsen die Studierenden bereits im Prosuming-Zeitalter auf. Doch Individualisierung von Produkten hat auch ihre Grenzen. Der Konsument möchte Vorbilder und Orientierung haben. Da ist noch sehr viel Platz für Design.

 

Prof. Marion Digel ist kommissarische Dekanin des Fachbereichs Gestaltung und Lehrende im Studiengang Industrial Design an der Folkwang-Universität der Künste in Essen.

 

Bild 2:

e-Desk von Yuki Ishiguro ist seine Diplomarbeit am Fachbereich Gestaltung an der Essener Folkwang Universität der Künste. Der kleine Schreibtisch basiert auf einem alten Nähmaschinengestell, die aber auch heute noch produziert werden. Mit Pedale und Riemen- antrieb erzeugt der Schreibtischarbeiter Strom über einen Gleichstromgenerator. Eine Batterie speichert den Strom und kann ihn über verschiedene Schnittstellen an Laptops oder Mobiltelefone abgeben. Betreuer: Prof. Marion Digel, Prof. Claudius Lazzeroni

Bild 3 + 4:

EEP ist die Bachelor-Arbeit von Johannes Kunz. Weil Elektronikschrott schon jetzt mit jährlich 40 Millionen Tonnen der am schnellsten wachsende Müllberg ist, soll KEEP Audioprodukte im Wohnbereich, die man eigentlich gerade aussortieren und ersetzen wollte, wieder attraktiv machen. Schließlich befinden sich diese klanglich und beim Energieverbrauch schon seit Jahrzehnten auf konstantem Niveau.

Da fast alle Audiogeräte über Infrarot-Fernbedienungen ansteuerbar sind, übernimmt KEEP die Rolle eines Moderators zwischen den Geräten und ermöglicht frei programmierbar neue bedürfnisorientierte Nutzungs- qualitäten via Smartphone-App. Zur Aktualisierung der Ästhetik schmiegt sich eine Textilhülle um die vormals ungeliebten Produkte und verschmilzt sie so zu einer abstrakten amorphen Struktur. Um diese Skulptur optimal zu präsentieren, stehen verschiedene Optionen, wie Wandhalterungen oder Beingestelle zur Verfügung. Betreuer: Prof. Mariaon Digel, Prof. Claudius Lazzeroni

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