Schuld und Sühne
Kein Wandel ohne Risiko
Ressourceneffiziente Innovationen und eine Energiewende sind nicht möglich ohne Investitionen. Doch zur Geldanlage gehört auch das Risiko des Kapitalverlusts. Die neuen amtlichen Sorgen um Sicherheit und Regulierung hingegen führen nicht zu mehr Nachhaltigkeit. Statt zu gängeln, sollte der Staat Interesse und Risikobewusstsein wecken. Bürger dürfen zwar wählen und mit Teilkasko Auto fahren, doch bei der Geldanlage sprechen Politiker ihnen die Mündigkeit ab.
Ein Standpunkt von Susanne Bergius
Die globale Finanzkrise kostete Privatanleger ein Vermögen. Hausgemachte Pleiten wie die des Windprojektierers Prokon prellten zig Tausende Menschen. Die Bundesregierung zog daraus den Schluss: „Otto Normalverbraucher“ ist davor zu behüten, in derartige Fallen zu tappen. Der Graue Kapitalmarkt gehört reguliert: all diese heiklen Anlageklassen, wie Genussrechte oder geschlossene Fonds, die Lieschen Müller und Max Mustermann angeblich nicht durchschauen. In ihrem Eifer meinte die Regierung es zunächst zu gut. So trieb sie beispielsweise Genossenschaften total in die Enge. Einem seit mehr als 160 Jahren bewährten Geschäftsmodell und einer der sichersten Anlageklassen überhaupt drohte der Untergang. Die Regulierung erschwere sowohl die Entwicklung einer neuen, an sozialen und ökologischen Werten orientierten Bankarbeit als auch von selbstorganisierten Finanzierungsformen der Zivilgesellschaft, kritisierte Ende Januar Thomas Jorberg, Chef der für ihr nachhaltiges Wirtschaften mehrfach prämierten GLS Bank.
Bürgerschaftliche Beteiligungsformen sind für eine nachhaltige Entwicklung unerlässlich. Dazu gehören auch Finanzierungen durch Genussrechte, geschlossene Fonds, Bürger-Aktiengesellschaften oder Schwarmfinanzierungen (Crowdinvesting) durch eine große Schar von Menschen. Die Bürger geben Geld für z.?B. die regenerative Energieversorgung, ökologischen Landbau, Mehrgenerationenhäuser oder ressourcenleichte Produktinnovationen. Alle diese so finanzierten jungen Firmen oder Projekte hätten nämlich keine Chancen, von herkömmlichen Banken auch nur einen Cent zu bekommen. Gleichwohl fürchten die unter Reputationsschäden leidenden Banker darin eine Konkurrenz, die ihre traditionellen Geschäftsmodelle bedrohen könnte. Genossenschaftler und andere kluge Leute haben jetzt die Gefahr gebannt: Der Bundestag hat das vom Finanzausschuss deutlich angepasste Kleinanlegerschutzgesetz Ende April verabschiedet. Damit bleiben Chancen erhalten für innovative Finanzierungskonzepte zugunsten verantwortlicher Geschäftsmodelle sowie einer Gemeinwohlökonomie.
Keine Warnung vor den Konventionellen
Bei sozialen Projekten etwa wird die Prospektpflicht bis zu einer Schwelle von 2,5 Millionen Euro ausgesetzt, was einschließlich des Fremdkapitals Investitionen von bis zu zehn Millionen Euro ermöglicht. Auch bei der jungen, stark aufstrebenden Form des Crowdinvesting sind Investitionsvorhaben von bis zu 2,5 Millionen Euro (statt zuvor einer Million) von der Prospektpflicht befreit. Ein kleiner Anleger kann ohne Schwierigkeit bis zu 1000 Euro investieren, will er aber mehr anlegen, muss er per Selbstauskunft darlegen, dass er sich mit den Risiken beschäftigt hat. Sinnvoll ist, dass Werbung und Prospekte derartiger nun „hellgrauer“ Anlagen künftig vor den Risiken und einem möglichen Totalverlust warnen müssen. Gut auch, dass die Parlamentarier 2016 prüfen wollen, ob sich die Ausnahmen von der Prospektpflicht bewähren oder ob nachzubessern ist. Da Prospekte aber kein Garant sind, wie der Fall Prokon zeigte, wäre ein kürzeres, verständlicheres Informationsblatt erforderlich, das Vergleiche erleichtert. Derartiges forderte die Opposition – bisher vergeblich.
Aber das komplette Verbot der Nachschusspflicht kommt einer Überbemutterung der Kleinanleger gleich. Zwar muss beim „Nachschuss“ ein Anleger im Krisenfall zusätzlich Geld geben. Aber erstens sind die Beträge oft überschaubar. Und zweitens: Wer für sein Auto eine Teilkaskoversicherung abschließt, weiß, dass er nach einem Unfall für den Schaden am eigenen Fahrzeug oder den Totalverlust selbst aufkommen muss, was unter Umständen sehr teuer werden kann. Etwas, das Politik und Verbraucherschützer den Menschen zutrauen. Jedoch nicht eine auf 5000 Euro begrenzte Nachschusspflicht – wie etwa bei der GLS Bank, die in 40 Jahren keinen einzigen Unfall verursacht hat.
Besonders absurd ist dies vor dem Hintergrund, dass sich vermeintlich ‚sichere’, weil regulierte Anlagen als zunehmend unsicher entpuppen. Das lehrten die Internetblase, die Finanzkrise und die Immobilienblase. Auch andere Gründe sorgen dafür, dass Aktien traditioneller Erfolgskonzerne abstürzen. Wie die Aktie von BP, die nach der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko 2010 um die Hälfte einbrach und sich bis heute nicht erholt hat. Oder Aktien von Atom- und Kohlestromversorgern wie RWE oder E.On, die Jahrzehnte glaubten, die Gefahren von Atommeilern sowie die globale Herausforderung des Klimaschutzes und die einsetzende Energiewende nicht ernst nehmen zu müssen – und jetzt kalt erwischt wurden. Ebenso wie gängige Publikumsfonds, die zwar reguliert sind, in denen Aktien oder Anleihen dieser Konzerne stecken. Das trifft Privatanleger sowie die Gesellschaft, auf die meist die Kosten nicht-nachhaltigen Wirtschaftens abgewälzt werden.
Doch in der politischen Wahrnehmung und medialen Vermittlung spielen derartige Risiken von herkömmlichen Anlagen keine so große Rolle wie das Scheitern einzelner Umwelttechnikfirmen – selbst wenn es bei diesen im Schnitt nicht mehr Totalverluste gibt als bei sonstigen Technologie-Newcomern. So schlimm ein Verlust wie bei Prokon für den einzelnen Anleger sein mag, medial wird hier eine Sau durchs Dorf getrieben, während größere Anlagerisiken gar nicht erst auf den Radarschirm kommen.
Hingegen gab es beim konventionellen geschlossenen Immobilienfonds zum Berliner Bürogebäude ‚Pyramide’ der Fundus-Gruppe, bei dem nach dem Verkauf des Pleiteprojekts die Privatanleger leer ausgingen, keinen derartigen Aufschrei von Medien und Regulatoren, konstatiert Finanzberater Tilo Peter. Dabei sind Fundus dieselben Investoren, die auch schon das Millionengrab des G8-Hotels in Heiligendamm zu verantworten hatten. Vor ökosozialen Anlagerisiken bei Konzernen wird selten gewarnt. Die Berichterstattung folgt meist erst, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist, siehe BP, Fukushima oder Griechenland.
Die Großen steigen aus
Womit wir beim Thema Risikokultur wären. Kapital soll immer sicherer angelegt sein. In der Hoffnung, dass der Satz zutrifft „Wer nichts riskiert, kann auch nicht scheitern.“ Doch wo stünden unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft, gäbe es nicht Menschen, die intelligente Ideen unterstützen und dafür bereit sind, Risiken in Kauf zu nehmen?
Die Energiewende, die Deutschland inzwischen einen Anteil von 28 Prozent an erneuerbaren, klimafreundlichen Energien auf dem Strommarkt beschert, wäre nicht möglich gewesen ohne Menschen, die das Risiko des Kapitalverlusts bewusst eingehen. Innovationen für ressourcenschonendes Wirtschaften bedürfen ebenfalls solcher risikobewusster Menschen. Zumal die Sensibilisierung der Kreditabteilungen in konventionellen Banken für die Chancen von ressourcenleichten Produkten oder Produktionsprozessen - auch für ihr eigenes Geschäft - noch nicht sehr weit gediehen ist. Gerade in Zeiten günstiger Zinsen sollten Banken Unternehmen Investitionen zur Ressourceneffizienz erleichtern.
Aber derzeit dominiert die Sorge um die Sicherheit für den angeblich begriffsstutzigen, unfähigen und kurzsichtigen Verbraucher. Die Bürger sollen zwar die Politiker wählen, aber gleichzeitig sprechen ihnen diese und die Verbrauchschützer ihnen in der Geldanlage das Denken und die Fähigkeit dazu ab – das ist eine merkwürdige Vorstellung von Mündigkeit. Darum bergen die Anstrengungen zur Regulierung – trotz des abgeschwächten Kleinanlegerschutzgesetzes – die Gefahr, dass nötige Strukturwandlungen zugunsten zukunftsfähiger Lebens- und Wirtschaftsweisen im Keim erstickt werden und sich überkommene nicht-nachhaltige Strukturen verfestigen. Bei der Evaluierung der Prospekthaftpflicht 2016 ist das zu beachten.
Immerhin setzt bei Großanlegern ein Umdenken ein, wenn auch weniger aus ethischen, denn aus knallharten ökonomischen Erwägungen. Rund um die Welt steigen kapitalkräftige institutionelle Investoren aus Erdöl- und Kohleunternehmen aus, weil sie den Verlust ihres Kapitals befürchten. Klimaschädliche fossile Energieträger haben keine Zukunft mehr, auch wenn die Branche anderes behauptet. Das machte kürzlich der Norwegische Pensionsfonds jenen klar, die es noch immer nicht begriffen hatten: Der weltgrößte Staatsfonds steigt aus Konzernen aus, die mehr als 30 Prozent ihres Umsatzes mit Kohle verdienen, also auch aus RWE.
Beteiligung ist Verantwortung
Nachhaltige Anlagealternativen – seien es regulierte oder noch wenig regulierte – beachten derart ökologische als auch ethische Kriterien wie Arbeitsrechte schon viel länger. Das schützt zwar nicht vor jedem schwarzen Schaf. Riskante Anlageklassen sind und bleiben riskant, ob nachhaltig oder nicht. Es kann auch dort zu Verlusten kommen. Aber wer öko-soziale Knackpunkte beachtet, vermindert sowohl die Gefahr, an Umwelt- und Sozialverstößen beteiligt zu sein, als auch das Anlagerisiko. Das haben Wissenschaftler mehrfach nachgewiesen, zuletzt in Metastudien der Steinbeis-Hochschule Berlin 2013 und der Universität Kassel 2014 sowie in einer Langzeitstudie der Havard Business School und der London School of Business 2014.
Statt also Verbrauchern ihre Mündigkeit abzusprechen, sollten Regierungsverantwortliche diese Art der Risikominderung bei Kapitalanlagen vorgeben, zumindest bei staatlichen und staatlich geförderten Anlageformen wie Pensionsfonds oder Rentenversicherungen.
Zudem sollte der Staat mehr in die Bildung zu Wirtschaft und Nachhaltigkeit stecken und parallel Interesse dafür wecken. Angefangen vom Schulfach bis zur Berufsausbildung oder dem Studium. Es geht nicht um mehr Geld, sondern um zeitgemäße Inhalte. Denn wer sich für etwas interessiert, befasst sich auch mit komplizierten Themen. Für den Autokauf verbringen Menschen Tage und Wochen, um die Vor- und Nachteile der angepriesenen Modelle abzuwägen und sich zu entscheiden. Warum tun sie das nicht für ihr Erspartes und die Altersvorsorge? Bloß weil das nicht so sexy erscheint wie ein Auto?
Es kann aber durchaus spannend sein, sich mit den Folgen von Geldanlagen zu befassen – mit finanziellen Chancen und Risiken genauso wie mit positiven oder negativen gesellschaftlichen Wirkungen. Es kann als sinnstiftend empfunden werden, Menschen und Geschäftsmodelle zu unterstützen, welche sozial und ökologisch verantwortlich handeln oder gar echten Nutzen für die Gesellschaft bringen. Durch vorausschauendes und langfristiges Investieren zugleich Anlagerisiken zu senken, ist doch erfreulich!
Mit gutem Gewissen hat das nicht zwingend zu tun – vielmehr sind solche Win-win-Situationen erbaulich – genauso wie eigenständig zu denken, eigenverantwortlich zu handeln und etwas zu bewegen. Und diese Fähigkeiten bei Kindern oder Enkeln zu wecken, etwa wenn sie bei einem Spaziergang erfahren, dass die Familie dieses Windrad, jene Solaranlage, den dortigen Bio-Bauernhof oder den hiesigen ressourceneffizienten Möbelfabrikanten mit ermöglicht hat.
Susanne Bergius ist Journalistin für nachhaltiges Wirtschaften und Investieren. Sie schreibt für das Handelsblatt, das Lexikon der Nachhaltigkeit und weitere Medien, moderiert und referiert als Expertin. Mit Thomas Schulz hat sie das Buch CSR und Finance herausgegeben. Sie ist Vorstandsvorsitzende des 2015 gegründeten gemeinnützigen „Netzwerk Weitblick – Verband Journalismus & Nachhaltigkeit e.V.“
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