Baden gehen

Privat statt Staat?

Die Wasserprivatisierung sehen Regierungen und öffentliche Versorger häufig als Ausweg aus den steigenden Infrastrukturkosten – die Wirtschaft sieht es als Geschäftsfeld der Zukunft. Viele Privatisierungen sind jedoch bereits gescheitert. Was wollen Coca Cola, Veolia, Nafta und TTiP – und wie nachhaltig ist Wasserprivatisierung?

Von Elisabeth Voß

Die Privatisierung der Wasserversorgung ist oft keine freiwillige Entscheidung. So verknüpften zum Beispiel Anfang der 1980er Jahre der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank die Kreditvergabe an Länder des globalen Südens mit der Verpflichtung, Strukturanpassungsprogramme durchzuführen. Später wurde dies auch den ehemaligen Ostblockstaaten auferlegt. Die aktuellen Verhandlungen der so genannten Troika (IWF, Europäische Zentralbank und EU-Kommission) mit Griechenland zielen in die gleiche Richtung. Die kreditnehmenden Staaten mussten und müssen unter anderem die Infrastrukturen ihrer Daseinsvorsorge privatisieren. Die EU-Mitgliedsstaaten haben sich untereinander mit dem europäischen Stabilitäts- und Wachstums­pakt von Maastricht verpflichtet, ihre Neuverschuldung auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu beschränken. Da bleibt kaum finanzieller Spielraum, so dass Privatisierungen oft als einziger Ausweg erscheinen, wenn Investitionen notwendig werden.

Doch mit der Privatisierung der Infrastrukturen der Wasserversorgung gibt die öffentliche Hand ihre politischen Gestaltungsmöglichkeiten aus der Hand. Daseinsvorsorge gilt unter Investoren als lukrative „Anlageklasse“, denn die Rechnung zahlt die davon abhängige Bevölkerung. Die Investoren sind am schnellen Profit interessiert, nicht am langfristigen Erhalt der Infrastrukturen. Ein bekanntes Beispiel ist London, wo neben steigenden Gebühren und sinkender Wasserqualität auch massive Wasserverluste durch Lecks in den Leitungen auftreten, so dass der Wasserdruck oft kaum noch zur Versorgung ausreicht.

Als Alternative zur Privatisierung bilden klamme Kommunen mit Privatunternehmen „Öffentlich-private Partnerschaften“ (ÖPP oder PPP = Public Private Partnership). Für einen Zeitraum von beispielsweise dreißig Jahren gibt die öffentliche Hand die Bewirtschaftung der Wasserversorgung in die Hand der Privaten oder gründet mit diesen gemeinsame Firmen. Mit streng geheim gehaltenen Verträgen werden die Gewinne abgesichert. In Deutschland monieren die Rechnungshöfe regelmäßig zu hohe Kosten solcher Verträge für die öffentliche Hand – jedoch können sie den Schaden nachträglich nur benennen, nicht verhindern.

Ob privat oder öffentlich-privat: In jedem Fall wird die Wasserbewirtschaftung dem Ziel der Gewinnmaximierung unterworfen. Die Wasserpreise steigen und denen, die nicht zahlen können, wird das Wasser abgestellt. In manchen Ländern werden Prepaid-Automaten in den Häusern installiert, so dass nur nach Vorauszahlung Wasser aus dem Hahn fließt. 

Eine andere Form der Wasserprivatisierung ist der weltweit expandierende Handel mit Trinkwasser in Flaschen. Die Konzerne Nestlé, Danone, Coca Cola und Pepsi sind die Größten in diesem Geschäft. Die kanadische Publizistin und Trägerin des Alternativen Nobelpreises Maude Barlow bezeichnet diese Firmen als „Raubtiere“ und „Wasserjäger“. Sie errichten weltweit Pump- und Abfüllanlagen, die der lokalen Bevölkerung nicht nur sprichwörtlich das Wasser abgraben, denn der Grundwasserspiegel sinkt und die natürlichen Gewässer verschmutzen. Das teure Flaschenwasser können die Leidtragenden sich nicht leisten.

Schadensersatz für entgangene Gewinne

Nachdem in Berlin ein Volksentscheid 2011 die Offenlegung der Privatisierungsverträge mit RWE und Veolia erzwang, kaufte die Stadt diesen ihre Anteile am gemeinsamen Wasserunternehmen ab und zahlte ihnen Hunderte Millionen Euro für entgangene Gewinne. Solche Strafzahlungen sind keine Einzelfälle, sondern werden zunehmend in internationalen Verträgen verankert. 

So gibt das 1993 zwischen Kanada, Mexiko und den USA abgeschlossene Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA Investoren das Recht, vor privaten Schiedsgerichten gegen Staaten zu klagen, die mit gesetzlichen Regelungen zum Beispiel die Natur oder die Rechte von Beschäftigten schützen wollen und Schadstoffobergrenzen festlegen. Die Schiedsverfahren sind langwierig und teuer, und spezialisierte Anwaltskanzleien wie Freshfields oder White and Case verdienen außerordentlich gut daran. Am Ende werden dann in den meisten Fällen den Investoren ihre entgangenen Gewinne in Millionen- oder gar Milliardenhöhe als Schadensersatz zugesprochen.

Nach dem gleichen Muster soll das fast fertig verhandelte Kanadisch-Europäische Handelsabkommen CETA funktionieren sowie das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA. Beide sind in der Öffentlichkeit aus verschiedenen Gründen höchst umstritten. Noch gefährlicher wird wahrscheinlich das Dienstleistungsabkommen TiSA, das streng geheim zwischen mehr als fünfzig Staaten verhandelt wird. Es soll Investoren umfangreiche Rechte in sämtlichen Dienstleistungsbereichen einräumen. Jeder Versuch, die Daseinsvorsorge im Interesse der Allgemeinheit zu gestalten und nicht der maximalen Gewinnerzielung zu unterwerfen, könnte dann Schadensersatzforderungen nach sich ziehen.

Im April 2015 wurde Argentinien von einem Schiedsgericht der Weltbank verurteilt, dem Konzern Suez für entgangene Gewinne seit 2006 insgesamt 405 Millionen Dollar Schadensersatz zu zahlen. Mitte der 1990er Jahre hatte Argentinien die Wasserwerke in Buenos Aires mit aktiver Unterstützung der Weltbank privatisiert. Vorher hatte der damalige Präsident Carlos Menem die Wasserpreise drastisch angehoben. Die privaten Betreiber von Aguas Argentinas – ein Konsortium unter Führung der französischen Konzerne Générale des Eaux (heute Veolia) und Lyonnaise des Eaux (heute Suez) – glänzten mit anfänglichen Preissenkungen und zusätzlichen Anschlüssen. Die protestierenden Gewerkschaften wurden ruhig gestellt, indem Gewerkschaftsfunktionäre Beteiligungen am Unternehmen erhielten. Nach der Privatisierung wurde die Hälfte der Belegschaft entlassen. Die Preise für Neuanschlüsse und Wasser selbst stiegen bald wieder, und wer nicht zahlen konnte, dem wurde das Wasser gesperrt. Durch die Verzögerung zugesagter Investitionen kam es zu gesundheitsgefährdenden Verschlechterungen der Wasserqualität. Nach jahrelangen ergebnislosen Verhandlungen ließ Präsident Nestor Kirchner die Wasserbetriebe 2006 rekommunalisieren. Aguas Argentinas hatte nur etwa 10 Prozent seiner vertraglichen Verpflichtungen eingelöst. Zuletzt hatte Suez selbst angekündigt, sich aus dem Konsortium zurückzuziehen, und gleichzeitig 1,7 Milliarden Dollar Schadensersatz gefordert.

Eine nachhaltige Wasserversorgung für alle?

Die eine richtige Lösung für die Wasserversorgung gibt es nicht. Zu unterschiedlich sind die Voraussetzungen in den Ländern und Regionen der Welt. Weltweit gilt jedoch: Wasser ist ein Menschenrecht. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen (UN) hat im Juli 2010 mit großer Mehrheit das Recht eines jeden Menschen auf sauberes Wasser festgestellt. Dieses Menschenrecht ist noch lange nicht für alle verwirklicht. Im Weltwasserbericht 2015 stellen die UN fest, dass 750 Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser haben. Die Privatisierung der Wasserversorgung ist ein Irrweg, den zu viele Menschen mit ihrer Gesundheit oder sogar mit ihrem Leben bezahlen müssen. Denn wer Durst hat, nimmt zur Not auch verschmutztes Wasser zu sich, was als eine der hauptsächlichen Todesursachen im globalen Süden gilt.

Weltweit ist deswegen ein deutlicher Trend zur Rekommunalisierung zu beobachten. Wurde im Jahr 2000 nur in drei Fällen die vormals privatisierte Wasserversorgung in öffentliche Hand überführt, stieg die Anzahl auf 180 im Jahr 2014. Ausschlaggebend sind oftmals Forderungen aus der Bevölkerung, dass die Wasserversorgung der Allgemeinheit dienen soll und nicht privaten Profitinteressen. Um dies sicherzustellen, reicht es jedoch nicht aus, dass die Unternehmen in öffentlichem Eigentum sind. Entscheidend ist ihre demokratische Steuerung und Kontrolle. Als Vorbild für eine solche Demokratisierung gilt die brasilianische Großstadt Porto Alegre. Dort wurde schon 1989 erstmals eine partizipative Haushaltsplanung eingeführt. Im Rahmen von Bürgerhaushalten wird auch über Investitionen und Preisgestaltung des staatlichen Wasserbetriebs DMAE entschieden. Die Pariser Wasserbetriebe Eau de Paris wurden im Jahr 2010 rekommunalisiert. Um die Bevölkerung in grundsätzliche Fragen der Unternehmensführung einzubeziehen, wurde ein bürgerschaftliches Gremium, das Observatoire, eingerichtet. Dieses hat ein uneingeschränktes Informationsrecht und soll die Wasserbetriebe beraten.

Während in Städten und Ballungs­räumen eine transparent und demo­kratisch ausgestaltete öffentliche Wasserversorgung die beste Lösung ist, kann in ländlichen Regionen die Bevölkerung selbst oft wirksamer ihre Versorgung sicherstellen. Auch wenn staatliche Institutionen korrupt oder eng mit Konzerninteressen verwoben sind, ist die Wasserversorgung in den Händen derjenigen, die das Wasser auch selbst nutzen, besser aufgehoben. Wo diese nicht aus eigener Kraft in der Lage sind, genossenschaftliche Versorgungsstrukturen aufzubauen, ist die Hilfe zur Selbsthilfe durch Nichtregierungsorganisationen gefragt. Hier kommt es darauf an, dass die Entwicklungsorganisationen ohne Gewinnerzielungsabsichten arbeiten und nicht Teil einer Hilfeindustrie sind, die sich zuerst selbst hilft oder Markterschließung für Privatunternehmen betreibt.

Eine wichtige Maßnahme, um dauerhaft die Wasserversorgung für alle sicherzustellen, ist das Verbot der Privatisierung. Uruguay war das erste Land, das aufgrund einer Volksabstimmung bereits 2004 das Recht auf Wasser und das Verbot der Privatisierung in seiner Verfassung verankerte. Ecuador verlieh dem Recht auf Wasser 2008 Verfassungsrang. Das erste europäische Bürgerbegehren für das Menschenrecht auf Wasser war 2013 mit fast 1,9 Millionen Unterschriften erfolgreich. Ein Versuch konservativer Parteien, diesen Erfolg mit einer Gegenresolution zunichte zu machen, scheiterte im September 2015 im EU-Parlament. Die Wasserversorgung soll nicht von den Freihandelsabkommen TTIP und TISA erfasst werden.

Aus der Zivilgesellschaft kommen weitere wichtige Impulse für das Recht auf Wasser. Maude Barlow hat mit der Bürgerrechtsbewegung Council of Canadiens die Bewegung der „Blue Communities“ gegründet, die sich für Wasser als öffentliches Gut einsetzt. Das Trinken von Leitungswasser soll wieder zum Normalfall werden, statt abgefülltes Wasser von Konzernen zu verwenden, das neben dem Wasserraub auch unglaubliche Mengen von Plastikmüll verursacht. Neben Kanada gibt es auch erste Ansätze von Blue Communities in der Schweiz. Als Alternative zu konzernfreundlichen Handelsverträgen haben etwa 50 Organisationen aus verschiedenen europäischen Ländern ein „Alternatives Handelsmandat“ entwickelt. Eine Welthandelspolitik, die die Rechte aller Länder und aller Menschen respektiert und die natürlichen Lebensgrundlagen schützt, soll transparent und demokratisch gestaltet sein, indem sowohl die Parlamente gestärkt werden als auch die Bevölkerung an wirtschaftlichen Entscheidungen beteiligt wird.

Elisabeth Voß ist studierte Betriebswirtin und Publizistin in Berlin. Sie schreibt für Oya, Contraste und andere. Ihr Wegweiser Solidarische Ökonomie ist jetzt bei AG SPAK Bücher in einer Neuauflage erschienen.

Literaturempfehlungen:

Mario Candeias, Rainer Rilling, Katharina Weise (Hrsg., 2009): Krise der Privatisierung – Rückkehr des Öffentlichen, Karl Dietz Verlag, Berlin

Harald Klimenta, Maritta Strasser, Peter Fuchs u.a. (2015): 38 Argumente gegen TTIP, CETA, TiSA & Co – Für einen zukunftsfähigen Welthandel. AttacBasisTexte 48, VSA Verlag, Hamburg.

Lori M. Wallach: Zwanzig Jahre Freihandel in Amerika, in Le Monde Diplomatique, 11.06.2015

Public Services International Research Unit (PSIRU), Transnational Institute (TNI) und Multinational Observatory (2015): Festgestellt – Globaler Trend der Rekommunalisierung des Wassers

Food & Water Watch (2014): Reading’s Water Lease and the Costs of Privatization

Food & Water Watch (o.D.): Buenos Aires – Collapse of the Privatization Deal

Corporate Europe Observatory (CEO), Transnational Institute (TNI), CAMPACT und PowerShift (2014): Profit durch Un-Recht – Wie Kanzleien, SchiedsrichterInnen und Prozessfinanzierer das Geschäft mit dem Investitionsschutz befeuern

Filme:

Kernfilm (2010): Water makes Money – Wie private Konzerne mit Wasser Geld machen.

DokLab (2012): Bottled Live – Die Wahrheit über Nestlés Geschäfte mit dem Wasser, ARD Mediathek

Antiprivatisierungsinitiativen:

Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB)

Wasser in Bürgerhand (W!B)

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